Im Interview mit der Unternehmer-Zeitschrift Der Mittelstand fordert Michael Cramer ein Ende der Privilegien für den LKW-Verkehr. So könnte unnötiger Verkehr vermieden werden.
Der MITTELSTAND: Herr Cramer, in Deutschland muss LKW-Maut bezahlt werden, Frankreich verlangt "péage", in Benelux und anderen Staaten brauchen Brummis die Eurovignette. - Was tut Brüssel gegen die Vielzahl unterschiedlicher Maut-Systeme im EU-Binnenmarkt?
Cramer: Brüssel arbeitet bereits seit Jahren daran, dass die unterschiedlichen Straßen-Gebühren in einem einheitlichen Verfahren bezahlt werden können. Das Ziel ist ein "europäischer Mautdienst", der auf der Basis von On-Board-Units funktioniert. Gerade das deutsche System dürfte sich also bestens integrieren lassen.
Bereits im April 2004 haben das Europäische Parlament und der Rat, die Vertretung der Mitgliedsstaaten, eine Richtlinie über die Interoperabilität elektronischer Mautsysteme beschlossen, die eine politische Grundlage für den europäischen Mautdienst geschaffen hat.
Der MITTELSTAND: Wann ist mit einer praktikablen Lösung zu rechnen?
Cramer: Eigentlich sollte bereits bis Juli dieses Jahres das Konzept für die technische und rechtliche Umsetzung vorliegen, doch leider scheint der Prozess zwischen Mitgliedsstaaten und Kommission hier ins Stocken geraten zu sein. Dabei zeigt sich einmal mehr: Wenn Dinge in "Brüssel" nicht vorankommen, liegt dies allzu oft an mangelnder Kooperationsbereitschaft in den nationalen Hauptstädten. Die finnische Ratspräsidentschaft hat das Thema nun erneut auf der Tagesordnung und ich bin zuversichtlich, dass wir bald zu einer Lösung kommen.
Der MITTELSTAND: Der Schwerlastverkehr auf deutschen Straßen hat sich seit den 80er-Jahren verdreifacht. Was sind die Gründe für die exponentielle Zunahme des Güteraufkommens?
Cramer: Ein Becher Sahne legt mitunter 2.000 Kilometer auf europäischen Straßen zurück, um im Supermarktregal zu landen. Skandinavische Krabben machen einen Umweg über Marokko, weil dort das Schälen billiger ist, bevor sie auf englischen Tellern landen. Der Transportaufwand allein im Lebensmittelbereich hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt.
Das liegt mitunter an zweifelhaften Einzelsubventionen, die beispielsweise in Portugal das Produzieren und in den Niederlanden das Verpacken ein und desselben Gutes fördern und so geradezu Verkehr produzieren. Ein Höhepunkt des Unsinns ist ohne Frage die Subventionierung von Tiertransporten, die dazu geführt hat, dass sich die Anzahl auf Europas Straßen transportierter Rinder von Mitte der 80er Jahre bis zum Jahr 2000 verhundertfacht hat.
Der MITTELSTAND: Was wäre aus Ihrer Sicht die sinnvollere Politik?
Cramer: Insgesamt liegt das Problem darin, dass der Transport gerade auf der Straße nur ein marginaler Kostenfaktor für die Unternehmen ist. Das geht zu Lasten der Umwelt und der Menschen, die bei wachsendem Verkehr unter Lärm, Abgasen und Flächenverbrauch zu leiden haben. Aber auch regionale Wirtschaftsstrukturen, die mittelständisch geprägt sind, haben das Nachsehen, wenn kurze Wege aufgrund der Subventionierung der Straße kein Wettbewerbsvorteil mehr sind.
Der MITTELSTAND: Plädieren Sie also für eine Erhöhung der Transportkosten auf der Straße?
Cramer: Zu allererst müssen wir unnötigen Verkehr vermeiden. Die Beispiele dürften gezeigt haben, dass wir hier ein enormes Potenzial haben. Gerade die regionale Wirtschaft würde davon profitieren, ganz zu schweigen von Mensch und Natur.
Zweitens müssen wir den Verkehr von der Straße auf umweltfreundlichere Verkehrsträger wie die Schiene oder Wasserstraßen verlagern und den unfairen Wettbewerb beenden. Denn die Schienenmaut wird auf der nach oben offenen Skala auf allen Trassen und für alle Züge erhoben, die in der Höhe begrenzte Straßenmaut gibt es nur auf Autobahnen und für schwere Trucks.
Die Schweiz erhebt eine Maut, die viermal so hoch ist wie in Deutschland, auf allen Straßen und für alle LKW. Deshalb gibt es dort keine Verlagerung von großen auf kleine LKW und von Autobahnen auf Landstraßen. Die Einnahmen verwendet die Schweiz für Investitionen, die den Transport auf der Schiene attraktiver machen.
Der MITTELSTAND: Die Schweiz ist ein kleines Land - die hingegen EU ein riesiger Wirtschaftsraum. Lässt sich das vergleichen?
Cramer: Mit der Eurovignette haben wir die Chance, externe, durch den Lkw-Verkehr verursachte Kosten etwa für Umwelt- und Gesundheitsschäden, europaweit in die Mauten zu integrieren und so endlich faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.
Auf der anderen Seite müssen wir dafür sorgen, dass der grenzüberschreitende Bahn-Verkehr reibungsloser funktioniert. Die Öffnung der Netze für den Güterverkehr auf der Schiene ab 2007 ist ein wichtiger Schritt, der durch den Ausbau der transeuropäischen Eisenbahnverbindungen milliardenschwer unterstützt wird.
Aber auch vermeintlich kleine Schritte sind wichtig: Der europäische Lokführerschein wird genauso wie das EU-weite Signal- und Zugsicherungssystem ERTMS dazu beitragen, einen europäischen Eisenbahnraum ohne zeitraubende Grenzaufenthalte zu schaffen.
Der MITTELSTAND: Herr Cramer, wir danken für das Gespräch.
erschienen in der Ausgabe 5/2006 - Oktober 2006