Zur Berliner Ehrenbürgerwürde an Nikolai Bersarin

13. November 2003 zur Übersicht

Über die wiederaufnahme des Berlin Nikolai Bersarin in die Liste der Berliner Ehrenbürger

Die Geschichte Deutschlands und die Geschichte Europas in diesem Jahrhundert ist gekennzeichnet von Brüchen: Aus Diktaturen wurden Demokratien, aus Kriegsgegnern politische Partner, aus Erzfeinden gute Freunde.

Kein Wunder, dass auch die Biografien der politischen Akteure nicht bruchlos verliefen. Auch sie sind Spiegelbilder ihrer Zeit oder - um die Biermann-Rede zum 90.Geburtstag von Robert Havemann zu zitieren: " Seiner Zeit entgeht keiner!"

Das Auditorium auf der Geburtstagsfeier konnte hören, dass Biermann die Relegationen des Stalinisten Robert Havemann an der Humboldt-Universität als "Verbrechen" bezeichnete, und ihn im gleichen Atemzug als seinen "besten Freund" für den Widerstand gegen das SED-Regime würdigte. Er nannte Nikita Chruschtschow den "Schlächter der Ukraine", und lobte ihn für seine mutige Rede 1956 auf dem Parteitag der KPdSU, in der er die Stalinschen Verbrechen offenbarte. Diese Rede stärkte in Ost-Europa den Widerstands gegen den Stalinismus. Er bezeichnete Michail Gorbatschow als eine "Kreatur des sowjetischen Geheimdienstes", und dankte ihm gleichzeitig für seine Verdienste um die deutsche und europäische Einigung.

Biermann wies auch darauf hin, dass wir Graf Stauffenberg und die Männer des 20. Juli für das Attentat auf Hitler ehren, obwohl sie als hochrangige Repräsentanten der Hitlerschen Wehrmacht den Faschismus jahrelang gestützt haben.

So kompliziert wie die Geschichte sind auch die Biografien der politischen Akteure. Und gerade die Deutschen, die für das Leid der Völker Europas so viel Verantwortung tragen, müssen um eine differenzierte Position bemüht sein, dürfen Ursache und Wirkung nicht außer acht lassen. Deshalb ist das Argument gegen Bersarin nach dem Motto "einmal Stalinist, immer Stalinist" nicht nur grobschlächtig, es ist auch intellektuell und historisch völlig unter Niveau!
Nikolai Bersarin hat sich um Berlin verdient gemacht, seine "korrekte Amtsführung" wird mittlerweile nicht einmal mehr von der CDU bestritten. Er kümmerte sich erfolgreich um die Wiederbelebung des kulturellen und religiösen Lebens, um die Versorgung der Bevölkerung und auch um die Verfolgung der Straftaten sowjetischer Soldaten.

Als Kronzeuge für seine Verdienste lassen sich zwei Zeitzeugen anführen, die widersprüchlicher nicht sein könnten:

Wolfgang Leonhardt, Mitglied der Gruppe Ulbricht, die 1945 aus Moskau in das zerbombte Berlin eingeflogen wurde, um den Aufbau der Stadtverwaltung zu organisieren. Er wurde vom Anhänger zum Gegner Stalins, eine Wandlung, die er in "die Revolution entlässt ihre Kinder" anschaulich beschrieb. Er spricht sich für den Ehrenbürger Bersarin aus.

Und auch Ernst Lemmer, der ehemalige CDU-Minister für gesamtdeutsche Fragen, beschreibt sein Wirken positiv: "Bersarin schien nichts wichtiger zu sein, als Berlin wieder lebensfähig zu machen. Er nahm seine Aufgabe so ernst und hielt sie für so selbstverständlich, als hätte er sie in seinem eigenen Land durchzuführen".

Unabhängig von ihrer Meinung zu Bersarin bleibt die Berliner CDU-Fraktion aber aufgefordert, sich bei seiner Familie und bei der Öffentlichkeit für die falschen Vorwürfe zu entschuldigen, die in ihrem Namen erhoben wurden: Nikolai Bersarin trage für die Deportation von 47 000 Balten die Verantwortung. Dieser Vorwurf ist zweifelsfrei widerlegt, für diese historische Lüge fehlt noch immer die Entschuldigung.

Gerade die CDU sollte die moralische Meßlatte nicht allzu hoch hängen. Ihr Ehrenbürger Helmut Kohl wird beschuldigt, beim Verkauf von Elf Aquitaine Millionenbeträge widerrechtlich in die eigene Parteikasse geschleust zu haben. Zudem bricht er seit Monaten vor aller Öffentlichkeit die Verfassung, verstößt gegen Gesetze und wird der massiven Aktenunterdrückung beschuldigt. Er konnte offensichtlich zwischen organisiertem Lobbyismus und organisierter Kriminalität nicht unterscheiden.

Ist der Ehrenbürger Helmut Kohl noch zu retten, wenn dieselben Maßstäbe für alle gelten? Darf Helmut Kohl noch Ehren-Bürger der Stadt Berlin sein, wenn er den Ehren-Vorsitz in seiner eigenen Partei aufgeben musste? Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen schmeißen - jedenfalls nicht nach Nikolai Bersarin.

Manès Sperber hat einmal gesagt: "Auch wer gegen den Strom schwimmt, schwimmt im Strom". Das gilt für Michail Gorbatschow, das gilt für die Attentäter des 20.Juli, und das gilt auch für den ersten Stadtkommandanten von Berlin. Deshalb wollen Bündnis 90/Die Grünen, will das Abgeordnetenhaus von Berlin Nikolai Bersarin wieder in die Liste der Berliner Ehrenbürger aufnehmen.