Anrede,
Die BVG sitzt auf einem Schuldenberg von über 800 Millionen Euro und droht an den Zinszahlungen zu ersticken. Wenn die Talfahrt so weiter geht, wird die BVG 2008 etwa die Hälfte ihres Eigenkapitals verbraucht und knapp zwei Milliarden Euro Schulden aufgehäuft haben. Das bedeutet jährliche Zinszahlungen von weit über 100 Millionen Euro. Wenn 2008 der Nahverkehr ausgeschrieben wird und er sich dem europäischen Wettbewerb stellen muss, droht der BVG unter diesen Bedingungen der Bankrott. Das kann niemand wollen, deshalb muss heute gehandelt werden!
Die Beschäftigten der BVG haben in den letzten 10 Jahren viel geleistet. Bei gleichbleibender Jah-reskilometerleistung wurde das Personal von 27.000 auf heute 13.500 halbiert. Die Produktivität und auch der Kostendeckungsgrad - beides wurde verdoppelt. Die Zuwendungen des Senats wurden von 750 auf 420 Millionen Euro ab 2000 gesenkt. Weitere Reduzierungen sind vorgesehen. Das alles haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geleistet, dafür gebührt ihnen Dank auch dieses Hauses.
Trotz dieser gewaltigen Anstrengungen und aller guten Vorsätze: Die BVG kann ihr Kostensen-kungsprogramm, das im Sanierungs-Konzept BSU 2000 vorgesehen ist, nicht einhalten. Die jährli-chen Personalkosten liegen 110 Millionen Euro über dem Plan. Die Sachkosten sind 20 Millionen Euro zu hoch. Von der Einnahmeseite kommt keine Entlastung. Die Fahrgastzahlen sind durch die autofixierte Verkehrspolitik des Senats - verbunden mit dramatischen Tariferhöhungen - um 25 Prozent zurückgegangen. Will die BVG nicht noch mehr Kunden verlieren, verbieten sich weitere Fahrpreiserhöhungen.
Die Personalkosten liegen im Durchschnitt um etwa 30 Prozent über denen der Wettbewerber in Deutschland. Bezieht man die Arbeitszeit mit ein, liegen die Löhne, die ver.di mit der BVG AÖR abgeschlossen hat, um mehr als 40 Prozent über dem Tarif, den dieselbe Gewerkschaft mit der BVG-Tochter BT vereinbart hat. Weil zuwenig BVG-Beschäftigte in die Tochter gewechselt sind, wird sich das Defizit bei den Personalkosten auf 365 Millionen Euro pro Jahr erhöhen. Wenn Senat und BVG heute nicht handeln, ist die BVG morgen pleite. Wir, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wollen das nicht!
Die Verantwortlichen für das Schuldendesaster kann man benennen. Der Senat und die Geschäfts-führung der BVG formulierten 1999 in einem Unternehmensvertrag, der die Zuschüsse an das Un-ternehmen regelte, in § 14 folgendes:
"Zwischen den vertragschließenden Parteien besteht Einverständnis darüber, dass die Zahlungsver-pflichtungen des Landes aus diesem Vertrag nicht ausreichen, um für die Vertragslaufzeit eine aus-geglichene Gewinn- und Verlustrechnung zu gewährleisten".
Das heißt: Dem Senat war klar, dass die BVG mit den gekürzten Zuschüssen nicht auskommen kann und deshalb die Schulden wachsen würden. De facto wurde ein Schattenhaushalt gebildet. Das war keine Sanierung, sondern Bilanzkosmetik des Landeshaushalts zu Lasten der BVG!
Heute, nach vierjährigem Desinteresse des Senats, lässt sich die Krise nicht mehr weiter verschweigen. Der Senat hat - als Eigentümer - die Karre sehenden Auges in den Dreck fahren lassen und hat bis heute keine Idee, wie sie wieder heraus gezogen werden kann. Und deshalb meine Herren Senatoren: Die BVG wird nur dann überleben, wenn Sie als Eigentümer für das Unternehmen Planungssicherheit schaffen. Hier sind auch Sie in der Pflicht!
Bündnis 90/Die Grünen lehnen es entschieden ab, die Finanzprobleme der BVG auf dem Rücken der Kunden zu lösen. Linien zu streichen und Taktzeiten zu verlängern bis die Stadt quietscht, ist nicht nur unsozial und umweltfeindlich - das führt auch immer tiefer ins finanzielle Desaster. Wenn der öffentliche Nahverkehr stetig unattraktiver wird, steigen noch mehr Menschen aufs Auto um, wobei immer höhere Kosten für den Straßenverkehr die Folge sind. Das kann niemand wollen, zudem löst es auch kein Problem. Wir jedenfalls wollen das nicht!
Deshalb ist zuallererst das Personalkostenproblem der BVG zu lösen. Es war ein schwerer Fehler, dass SPD und PDS die BVG beim Solidarpakt mit dem Öffentlichen Dienst ausgeschlossen haben. Die dramatische Finanzsituation der BVG ist seit Jahren bekannt, wurde vom Senat aber immer wieder schöngeredet.
Auch heute noch lehnt Senator Strieder den Solidarpakt für die BVG ab. Das ist unverantwortlich. Deshalb fordern wir, die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, dass der Solidarpakt auch auf die BVG übertragen wird.
So schmerzhaft das für die Beschäftigten auch ist: Zur Rettung der BVG ist das notwendig. Denn es wäre verantwortungslos, den größten Nahverkehrsbetrieb Europas sehenden Auges in die Pleite zu führen. Wir erwarten, dass Senat, Gewerkschaften, Vorstand und Beschäftigte der BVG sich dieser Verantwortung bewusst sind und gemeinsam ein Zukunftskonzept entwickeln, das die BVG sichert und nicht zerstört. Das Ziel muss die Wettbewerbsfähigkeit der BVG im Jahr 2008 sein. Das geht nur, wenn die Personal- und Sachkosten das Durchschnitts-Niveau der Wettbewerber erreichen. Wer heute die notwendigen Anpassungen verweigert, wird bei der Pleite morgen gar nichts mehr bekommen!
Die BVG leidet aber nicht nur unter den finanziellen Belastungen, sondern auch unter den ver-kehrspolitischen Fehlleistungen des Senats. Während der BVG-Fahrschein heute mehr als doppelt soviel kostet, wurden die Parkgebühren seit 1990 konstant gehalten, wenn man mal von den Linden und dem Kurfürstendamm absieht. Allein durch die Tariferhöhungen bei Bus und Bahn und gleich-zeitiger Förderung des motorisierten Individualverkehrs ging der BVG jeder vierte Fahrgast verloren - und damit Jahres-Einnahmen in Millionenhöhe.
Die Weigerung des Senats, die verkehrspolitischen Rahmenbedingungen für die BVG attraktiv zu gestalten, machen dem Unternehmen zu schaffen. Herr Sarrazin, wo bleibt eine Ihrer Folien mit den Parkgebühren in New York und London? Sie wissen, dass in allen Metropolen der Welt die flä-chenhafte Parkraumbewirtschaftung und angemessene Park-Gebühren die Stellschrauben sind, um die Städte vor dem Verkehrsinfarkt zu bewahren und das Umsteigen auf Bus und Bahn zu fördern.
Und in dieser Situation will der Senat die ersten 30 Park-Minuten auch noch umsonst anbieten. Sind sie sich im Klaren, dass damit fehlende Einnahmen verbunden sind und zudem noch mehr Autos in die Innenstadtbezirke fahren? Dass dann noch mehr Leute umsteigen - im Gegensatz zu Ihren Sonntagsreden aber weg von Bus und Bahn und hinein ins Auto? Wer die BVG kaputt machen will, der soll das tun. Wir wollen das nicht, und deshalb sage ich Ihnen: Stoppen Sie diese verkehrspoliti-sche Geisterfahrt.
Wissen Sie, dass das Parken in New York die ersten 30 Minuten genauso viel kostet wie in London die City-Maut - nämlich 8 Euro? Aber am Potsdamer Platz kann man noch immer kostenlos parken. Der Parkschein am Kurfürstendamm ist nur halb so teuer wie in der Innenstadt von Tallinn, wo das Pro Kopf-Einkommen erheblich niedriger ist. Fahrscheine für Bus und Bahn sind in New York und London billiger als in Berlin. Die bessere Rentabilität und die höheren Fahrgastzahlen sind Ergebnis sinnvoller verkehrspolitischer Entscheidungen und nicht vom Himmel gefallen.
Bei uns in Berlin sieht es leider anders aus. Das Busspurnetz wurde nicht erweitert, obwohl Senator Strieder zusätzliche 50 km angekündigt hatte. Vor Jahren schon wurde die Busbeschleunigung ver-sprochen, die allenfalls im Schneckentempo realisiert wird. Die kontraproduktive Entscheidung des begnadeten Verkehrspolitikers Ingo Schmitt, die Busspur am Kudamm erst ab 9 Uhr morgens gelten zu lassen, hat auch unter Rot-Rot immer noch Bestand. Jeder weiß doch genau, dass Busse, die in der morgendlichen rush hour im Stau stehen, Geld kosten, das die BVG nicht hat. Warum tun sie nichts? Wir wollen, dass Busse und Taxis auch in der morgendlichen rush hour von der Busspur am Kudamm profitieren!
Und dann Herr Senator Strieder, ihre chaotische Investitionspolitik, Sie als Meister der halben Sachen sind mitverantwortlich dafür, dass die BVG in Berlin keine Chance hat. Dazu ein Beispiel:
Die Straßenbahnverlängerung Alex II war eigentlich nie umstritten, wenn man von der Autofahrer-Partei FDP einmal absieht. Das Planfeststellungsverfahren war abgeschlossen, die Bauarbeiten hatten begonnen und 5 der 20 Millionen Euro waren bereits ausgegeben. Die BVG erwartete die Inbe-triebnahme für Ende dieses Jahres und rechnete mit Einsparungen von 3 Millionen Euro pro Jahr an Betriebskosten. Wie aus heiterem Himmel, Herr Senator Strieder, kam Ihnen in den Sinn, einen Baustopp zu verhängen. Nun müssen Sie mit ansehen, wie Sie nicht nur von uns, sondern auch noch von der CDU bei der Straßenbahn zum Alex links überholt werden. Stattdessen sanieren sie mit dem eingesparten Geld einen Straßentunnel, der - nach der Beschlusslage dieses Hauses - zugeschüttet werden soll. Sie verfahren hier undemokratisch und verkehrspolitisch widersinnig!
Deshalb: Kommen Sie zur Vernunft, stoppen Sie die Sanierung des Straßentunnels und bauen Sie weiter an der Straßenbahnverbindung Alex II.
Warum blockieren Sie eigentlich immer nur Schienenwege? Und warum fallen Ihnen Begründungen und Finanzierungswege immer nur bei Straßenprojekten, wie z.B. die Tangential-Verbindung Ost ein? Wir brauchen keine neuen Straßenprojekte, sondern Investitionen in den Öffentlichen Nahverkehr, damit die Betriebskosten gesenkt und Arbeitsplätze gesichert werden. Wir brauchen eine andere Verkehrspolitik und eine Konsolidierung der BVG. Nur so werden mehr Fahrgäste Bus und Bahn benutzen, nur so wird die BVG wettbewerbsfähig in die Zukunft fahren.
Eine schwierige Aufgabe, die allen Beteiligten zu schaffen machen wird, die aber nötig ist, damit wir alle, die Kunden und die Beschäftigten der BVG, morgen nicht mit leeren Händen dastehen.
Anrede,
für diese schwierige Ausgabe wird ein Herkules benötigt und kein leichtgewichtiger Luftikus!