"Wir Grünen haben hervorragendes Personal für das Rote Rathaus"

10. Oktober 2014 zur Übersicht

Artikel erschienen in der Berliner Zeitung am 10. Oktober 2014

Bürotüren sind üblicherweise kein Thema für Politiker, für Antje Kapek schon. Beim Interview weist sie auf die Verbindungstür im Dachgeschoss des Abgeordnetenhauses hin, durch die sie als linke Grünen-Fraktionschefin auf kurzem Weg das Gespräch mit der anderen Fraktionschefin Ramona Pop vom Realoflügel suchen kann. Soll heißen: Nach langem Streit arbeite die Fraktion mit- und nicht mehr gegeneinander.

Frau Kapek, eigentlich hat die Stunde der Opposition geschlagen: Wowereit weg, Senat im Standby, BER-Krise dauert an. Aber die Grünen dringen mit der Forderung nach Neuwahlen nicht durch. Die Opposition kann keine Wechselstimmung in Berlin erzeugen. Warum?

Wir haben als Grüne deutlich gemacht, dass Neuwahlen jetzt der einzig richtige Weg sind. Dafür hat sich in Umfragen auch die Hälfte der Berliner ausgesprochen. Ich kann aber verstehen, dass die Leute so kurz nach der Europawahl keine Lust auf Wahlkampf und Plakate der Parteien an der Straße haben. Außerdem ist es von der SPD auf den ersten Blick nicht ungeschickt, eine "Troika" für die Wowereit-Nachfolge aufzustellen, die jedem in der Stadt irgendwas verspricht. Der eine verspricht Haushaltskonsolidierung, der andere Milliardenausgaben. Das verwirrt. Wäre es beim Zweikampf Stöß-Saleh geblieben, wäre es leichter gewesen, die Stadt von Neuwahlen zu überzeugen.

Sie werden der SPD kaum vorwerfen können, dass sie ein breites Personaltableau fürs Rote Rathaus vorweisen kann: der erfahrene Müller, der ehrgeizige Aufsteiger Saleh, der Parteichef und frühere Stadtrat Stöß.

Man muss es der SPD sogar vorwerfen, weil sie ihren parteiinternen Gockelkampf nicht längst geklärt hat. Wenn man die von Ihnen genannten Qualitätskriterien anlegt, können wir Grünen locker mithalten: Wir haben zehn erfahrene Stadträte, zwei Fraktions,- und zwei Landesvorsitzende, die hervorragend geeignet wären, Regierende/r Bürgermeister/in von Berlin zu werden. Außerdem sind wir nicht zerstritten wie die SPD und ziehen an einem Strang.

Die Berliner wollen offenbar trotzdem lieber weiter SPD. Neuwahlen gibt es nicht.

Wir hätten Neuwahlen haben können, bei einer geschlossenen Opposition und mit einigen Stimmen aus den Regierungsfraktionen. Die hätte es wohl gegeben. Aber die CDU wollte lieber kleiner Koalitionspartner bleiben. Und die Piraten haben sich der SPD sofort an den Hals geschmissen aus Angst davor, dass sie bei Neuwahlen untergehen. Die Folge ist Stillstand. Rot-Schwarz hat faktisch beschlossen, bis 2016 nicht mehr zu regieren. Das ist eine Unverschämtheit gegenüber den Berlinern. Wir werden deshalb immer wieder auf die Lähmung der rot-schwarzen Koalition hinweisen, etwa beim für Berlin wichtigen Thema Länderfinanzausgleich: Die Verhandlungen laufen jetzt, aber der Regierende Bürgermeister ist auf Abschiedstournee und kann die Interessen der Stadt nicht vertreten. Kulturpolitik findet in Berlin übrigens auch nicht mehr statt.

Könnte es sein, dass die Berliner von der Grünen-Fraktion wenig mitbekommen haben, weil andere Grüne schon lange die Schlagzeilen bestimmen, vor allem mit der desaströsen Flüchtlingspolitik in Friedrichshain-Kreuzberg?

Das glaube ich nicht. Eine Untersuchung der Hertie School of Governance zeigt, dass das derzeit wichtigste Thema für die Berliner die Wohnungspolitik ist. Und da machen wir Grüne im Abgeordnetenhaus zusammen mit unseren Baustadträten seit Jahren gute Politik. Auch beim BER leisten wir Grünen eine hervorragende Arbeit. Das gilt auch für die Flüchtlingspolitik. Bei aller Kritik, die man an den Zuständen auf dem Oranienplatz oder in der besetzten Schule haben kann, ist es gelungen, die Aufmerksamkeit deutschlandweit auf die betroffenen Menschen zu lenken.

Was haben die davon? Man hat ihnen viel Hoffnung gemacht, die Grünen rufen "Refugees Welcome", aber die Flüchtlinge sitzen jetzt auf der Straße oder in Notunterkünften.

Die Situation der Lampedusa-Flüchtlinge war von Anfang an schwierig. Aber vieles von dem politischen Protest, der vor zwei Jahren mit dem von uns unterstützten Marsch nach Berlin begonnen hat, ist mittlerweile in den deutschen Wohnzimmern angekommen.

Wie sehen Sie als Fraktionsvorsitzende das Handeln der Berliner Grünen in der Flüchtlingsfrage aus heutiger Sicht?

Ich glaube, dass das Anliegen auch heute ein richtiges ist. Aber rückblickend ist die Lehre aus den Ereignissen, dass ein Bezirk die internationalen Flüchtlingsprobleme nicht alleine lösen kann. Er kann auch das Asylrecht nicht ändern. Die grüne Bürgermeisterin Monika Herrmann sagt selbst, aus heutiger Sicht würde man die Besetzung der Gerhart-Hauptmann-Schule nicht noch einmal dulden. Das ändert aber nichts an der grünen Position, dass es bei uns Platz für Menschen geben muss, die wegen Kriegen oder Hungersnöten zu uns fliehen. Auch wenn das Herausforderungen bei der Unterbringung mit sich bringt oder zu Konflikten führt.

Warum sollen Asylbewerber, die etwa in NRW im Asylverfahren sind, nach Berlin kommen, wo es weder genug Wohnungen noch Arbeit gibt? Der Innensenator will den Verteilungsschlüssel so ändern, dass große Städte entlastet werden.

Henkel sagt einerseits, Berlin soll sich um die Olympischen Spiele bewerben, damit die ganze Welt nach Berlin kommt. Wenn es um Flüchtlinge geht, sagt er: Wir wollen die Welt keinesfalls in Berlin. Das ist paradox. Berlin ist wie alle anderen Bundesländer in der Pflicht, die Unterbringungsmöglichkeiten und Angebote für Flüchtlinge auszubauen, und zwar in Zusammenarbeit mit dem Bund. Wir können nicht einfach sagen: Wir schaffen das in Berlin nicht.

Zur Fraktion: Sie vertreten in der Fraktionsspitze den linken Flügel, nachdem der Realo Volker Ratzmann unter heftigem Druck der Linken zurückgetreten ist beziehungsweise wurde. In welchen Punkten ist die Politik der Fraktion durch Sie "linker" geworden?

Wir haben erreicht, dass wir eine Doppelspitze haben, durch die sich die gesamte Fraktion vertreten fühlt. Volker Ratzmann hatte einen anderen Stil. Wir führen die Fraktion moderierend und geben Raum für Ideen. Dabei kommt man in der Öffentlichkeit vielleicht nicht so knallig rüber, aber in der Fraktion sind wir so zu einer konstruktiven Arbeitsweise gekommen. Es ist uns zum Beispiel im Fall des Flughafens Tempelhof gelungen, ein gemeinsames Konzept der Fraktion jenseits der Konfliktlinien zwischen Senat und Initiative zu entwickeln, statt nur Ja oder Nein zu sagen.

Beim Gasnetz und bei der Frage der Olympiabewerbung sieht es nicht so moderat aus. Beim Grünen-Parteitag am Samstag stehen einige Ihrer Fraktionsmitglieder unter einem Antrag auf Nein zu Olympia, andere unter einem Ja-Antrag.

Das ist so nicht richtig. Beim Gasnetz gibt es inzwischen einen gemeinsamen Antrag, der unsere Bedingungen für eine Rekommunalisierung formuliert. Was der Senat bislang vorgelegt hat, reicht noch nicht für eine grüne Zustimmung. Und beim Thema Olympia verbindet uns Grüne die gemeinsame Skepsis, ob dieses IOC und dieser Senat Spiele organisieren können, von denen auch die Stadt etwas hat. Unterschiedliche Auffassung gibt es nur darüber, wie realistisch eine demokratische Reform des IOC und ein Finanzkonzept ohne neue Schulden oder Einsparungen sind.

Sie sind Kreuzbergerin. Dort gibt es wieder Anschläge linker Gruppen auf Neubauten, die als unpassend für den Bezirk abgelehnt werden. Ist dieser Protest akzeptabel?

Ich habe ein Problem mit jeglicher Form von Gewalt. Ich kann nicht gegen Kriegseinsätze sein und gleichzeitig Gewalt vor der eigenen Haustür gutheißen. Besonders verurteilenswert sind Anschläge, die Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Es ist selbstverständlich legitim, Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen zu artikulieren, etwa wenn Menschen durch steigende Mieten ihre Wohnung verlieren. Aber wenn Leben und Gesundheit von Menschen gefährdet werden, hört es für mich auf. Dafür habe ich keinerlei Verständnis.

Das Interview führte Thomas Rogalla.

AUF FRIEDENSMISSION

Antje Kapek, Jahrgang 1976, ist studierte Geografin und Stadt- und Regionalplanerin. Das Grüne liegt bei ihr in der Familie, ihr Vater Frank saß schon in den 80er-Jahren für die grüne Alternative Liste im West-Berliner Abgeordnetenhaus. Kapek machte aber allein ihren Weg durch die Politik und die Partei. 2007 wurde sie Mitarbeiterin beim früheren Berliner Abgeordneten und Verkehrsexperten Michael Cramer im Europaparlament, kommunalpolitische Erfahrungen sammelte sie seit 2008 als Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bezirksparlament von Friedrichshain-Kreuzberg, ihrem Heimatbezirk.

An die Fraktionsspitze der Grünen im Abgeordnetenhaus kam sie 2012 als Vertreterin des von Friedrichshain-Kreuzberg dominierten linken Flügels. Der hatte nach dem Scheitern einer rot-grünen Koalition nach der Wahl 2011 einen Aufstand gegen die aus seiner Sicht zu realpolitische Fraktionsführung angezettelt. Zwecks Lösung des Konflikts führen seitdem Ramona Pop und Antje Kapek die Parlamentsgrünen - offenbar in einer für die Fraktion akzeptablen Weise. Beide bekamen kürzlich bei der Neuwahl des Vorstands jeweils deutliche Mehrheiten.

BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER Hat Grün auch im Büro: Antje Kapek, Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus.

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