SCHRIFTLICHE ANFRAGE
von Michael Cramer (Verts/ALE)
an die Kommission
E-0259/06
Betrifft: Wettbewerbsverzerrung Schiff/Straße im Baltikumsverkehr
Bereits vor sechs Monaten ist die Kommission von verschiedenen Seiten auf eine mit dem Beitritt der neuen Mitgliedsstaaten aufgetretene Wettbewerbsverzerrung im Baltikumsverkehr hingewiesen worden. Zum Ende des Jahres 2005 muss festgestellt werden, dass der Trend zur Rückverlagerung vor allem des LKW-Frachtverkehrs vom Schiff auf die Straße weiter anhält. Diese Tatsache steht ökologisch und ökonomisch betrachtet im Widerspruch zu den erklärten Zielen der Verkehrspolitik der Gemeinschaft.
Neben den bereits bekannten und in einer vorherigen Anfrage beschriebenen Gründen für diese Wettbewerbsverzerrung, die vor allem in den mangelhaften Kontrollen der Dieselmengen, Lenkzeiten und anderen Sicherheitsstandards zu sehen sind, sind nun weitere, besonders aus ökologischer und sicherheitsspezifischer Sicht, bedenkliche Aspekte bekannt geworden:
1. Weiß die Kommission von übergroßen Tanks, die vor allem in den nordöstlichen Mitgliedsstaaten an neuen LKW als Erstausstattung montiert werden und so zumindest formell legal auf europäischen Straßen unterwegs sind?
2. Wie steht die Kommission zu dieser Tatsache, vor allem in Bezug auf Aspekte der Sicherheit und der Ökologie?
3. Ist die Kommission sich der Tatsache bewusst, dass vor allem im Grenzbereich zwischen den nordöstlichen Mitgliedsstaaten und z. B. Weißrussland ein reger "Tanktourismus" betrieben wird?
4. Welche Schritte gedenkt die Kommission zu unternehmen, um diese Wettbewerbsverzerrung einzuschränken, den Kurzstreckenseeverkehr zu stärken und so die Ziele der gemeinsamen europäischen Verkehrspolitik in Bezug auf Ökologie und Ökonomie umzusetzen?
Antwort von Herrn Barrot
im Namen der Kommission
28.7.2006 - E-0259/06DE
1. Die Sicherheitsanforderungen für Behälter für flüssigen Kraftstoff sind in der Richtlinie 2000/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates festgelegt. Es gibt keine Vorschriften für die höchstzulässige Kapazität von Kraftstoffbehältern. Die Größe von Kraftstoffbehältern ist Ergebnis eines vom Hersteller/Betreiber bestimmten Kompromisses zwischen der Autonomie und der Beförderungskapazität des Lkw, unter Berücksichtigung der höchstzulässigen Gewichte und Abmessungen gemäß der Richtlinie 96/53/EG des Rates . Der Kommission liegen keine Angaben vor, die auf einen Verstoß der betreffenden Fahrzeuge gegen diese Richtlinien hindeuten. Die Kommission wird jedoch diese Frage gegenüber den Mitgliedstaaten im Rahmen der Richtlinie 2000/30/EG über die technische Unterwegskontrolle ansprechen.
2. Ökologisch gesehen trifft es zu, dass durch gefüllte große Kraftstoffbehälter das Leergewicht des Fahrzeugs (Tara) erhöht wird. Darüber hinaus bieten diese Fahrzeuge die Möglichkeit, Umwege zu fahren, um anderenorts billiger zu tanken. Dies könnte dazu führen, dass die Fahrzeuge zusätzliche Strecken zurücklegen, wodurch der Kraftstoffverbrauch sowie die Treibhausgas- und Schadstoffemissionen je Beförderungseinheit steigen würden. Dies wäre vom ökologischen Standpunkt aus nicht wünschenswert.
3. Ein weitverbreitetes Tanktourismus-Phänomen, bei dem Fahrzeugbesitzer in Grenzregionen in Nachbarländern mit niedrigeren Mineralölsteuersätzen tanken, könnte erhebliche Auswirkungen auf den Wettbewerb mit anderen EU-Verkehrsunternehmern, nicht nur im Seeverkehr, haben. Es ist jedoch zu beachten, dass Kraftstoffe für Schiffe in den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften grundsätzlich von Verbrauchsteuern befreit sind. Bedenken in dieser Frage bestehen nicht nur im Baltikum, sondern betreffen auch andere Mitgliedstaaten, deren Steuersätze im Vergleich zu den Nachbarländern (Mitgliedstaaten oder Drittländer) hoch sind.
Was Zölle betrifft, so ist der in den Behältern von Kraftfahrzeugen enthaltene Kraftstoff gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 918/83 von Eingangsabgaben befreit. Diese Verordnung erlaubt es jedoch den Mitgliedstaaten, Höchstmengen für in den Hauptbehältern von Nutzfahrzeugen und Spezialbehältern enthaltenen Kraftstoff (200 Liter je Fahrzeug) festzulegen. Die Mitgliedstaaten können außerdem weitere Höchstmengen für Nutzfahrzeuge und Personenkraftwagen in Grenzgebieten festlegen. Für die Mehrwert- und Verbrauchsteuern ist die Richtlinie 69/169/EWG des Rates maßgebend. Auf den in Hauptbehältern enthaltenen Kraftstoff können die Mitgliedstaaten ihre nationalen Vorschriften in Bezug auf Mehrwert- und Verbrauchsteuern anwenden.
4. Im Rahmen ihrer aktiven Politik zur Förderung des Kurzstreckenseeverkehrs weist die Kommission den Herrn Abgeordneten auf die Hochgeschwindigkeitsseewege-Initiative hin, die zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit dieses Verkehrsträgers beitragen wird. Dabei geht es um Qualität, Zusammenarbeit und Partnerschaft der Mitgliedstaaten und der Industrie. Die Hochgeschwindigkeitsseewege sollen durch Zusammenarbeit und Partnerschaft die Güterströme auf lebensfähige, regelmäßig und häufig bediente Kurzstreckenseeverkehrsrouten zwischen EU-Häfen konzentrieren.
Sie sollten gegenüber dem Straßenverkehr wettbewerbsfähig sein und einander ergänzen. Die an der Ostsee gelegenen Mitgliedstaaten sind bei der Planung der Hochgeschwindigkeitsseewege bereits weit vorangeschritten und die Gemeinschaftsfinanzierung eines Rahmenplans für die Ostsee im Rahmen des transeuropäischen Verkehrsnetzes wurde genehmigt.
Darüber hinaus werden die jüngsten Vorschläge der Kommission zur Modernisierung des Zollkodex’ und zur Einführung der elektronischen Zollerklärung anstelle der Papierfassung den Kurzstreckenseeverkehr zweifellos vereinfachen. Das Zollpaket enthält ferner einen Vorschlag für die Verwaltung aus einer Hand mit „einzigen Anlaufstellen“, die sich sehr positiv auf den Kurzstreckenseeverkehr im Verhältnis zum Straßenverkehr auswirken werden.
Die Kommission teilt die Besorgnis des Herrn Abgeordneten hinsichtlich des möglicherweise unlauteren Wettbewerbs zwischen Verkehrsträgern. Sie wird bei den betreffenden Parteien einschließlich der Förderzentren für den Kurzstreckenseeverkehr nachfragen, um sich umfassend über die Frage zu informieren und Möglichkeiten zur Lösung etwaiger Probleme zu prüfen.