Weckruf für mehr Transparenz und Mitsprache

05. Juli 2005 zur Übersicht

Referenden zur EU-Verfassung

Referenden zur EU-Verfassung: Die Zeiten, in denen Europa allein von oben nach unten bestimmt wurde, sind vorbei.

Die Zeiten, in denen Europa allein von oben nach unten bestimmt wurde, sind vorbei. Diese Botschaft aus den Niederlanden ist so eindeutig wie die aus Frankreich. Die große Mehrheit der Bürger ist ausgesprochen pro-europäisch, verlangt aber nach mehr Transparenz und Mitsprache. Das ist kein Grund für europapolitische Verzweiflung, sondern eine Aufforderung an die Politik, sich stärker für und mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit ihren Wünschen und Sorgen zu befassen.

Denn gegenwärtig erleben wir auch, dass Europa nicht mehr "weit weg" ist. Es ist ermutigend - auch wenn ich mir ein anderes Ergebnis gewünscht hätte -, dass 70 % der Franzosen über die EU-Verfassung abgestimmt haben. Nur 40% haben 2004 das EU-Parlament gewählt. Es ist eine neue Qualität, dass in den einzelnen Mitgliedsstaaten die Dienstleistungsrichtlinie schon diskutiert wird, bevor das Europäische Parlament darüber entschieden hat. Und es ist meines Wissens das erste Mal, dass bei der Überschreitung der Grenzwerte für Feinstaub nicht die "realitätsfernen Eurokraten" sondern die Verantwortlichen in Städten und Kommunen zur Rechenschaft gezogen werden.

Die EU braucht jetzt eine intensive und offene Debatte über ihre konkreten Politiken, besonders auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet. Nachdem das Nein offensichtlich ansteckend ist, müssen wir neu auf die Bürger zugehen. Die EU-Staats- und Regierungschefs können nicht einfach ein Moratorium im Ratifizierungsprozess erklären und dann mit 'business as usual' fortfahren.

Auch das Scheitern des EU-Gipfels hat einmal mehr gezeigt, dass die in nationalen Egoismen gefangenen EU-Staats- und Regierungschefs derzeit nicht in der Lage sind, Entscheidungen im allgemeinen Interesse Europas zu treffen.

Ich meine, beides ist eine Anomalie: Dass 40 % des EU-Haushalts in die Landwirtschaft fließen, ist genauso rückwärtsgewandt wie der Britenrabatt, der auch gezahlt werden soll, wenn die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs boomt.

Das Nein der Franzosen und der Niederländer drückt in Wirklichkeit eher eine Unzufriedenheit mit der nationalen Politik aus, als mit der künftigen EU-Verfassung. Wir bedauern, dass das Misstrauen gegenüber den eigenen Regierungen und der EU-Politik zu einem negativen Votum über die Europäische Verfassung geführt hat, die viele positive Aspekte aufweist:

- erstmalige Verankerung der Grundrechtscharta der Vereinten Nationen und der Kriegsprävention in einer Verfassung

- Erweiterung der Parlamentarischen Rechte

- die Möglichkeit europaweiter Bürgerbegehren.
Obwohl auch diese Verfassung verbesserungsfähig ist, kenne ich keinen einzigen Paragraphen, der die bestehende Vertragslage verschlechtert.

Die Menschen werden in den kommenden Monaten die konkreten Entscheidungen der Kommission und des Rates aufmerksam verfolgen. Die Richtlinien zu den Dienstleistungen, zur Arbeitszeit, zu den Softwarepatenten und zur Chemikalienpolitik (REACH) werden zum Lackmustest für die Bereitschaft der EU-Politiker werden, Europas Bürgern zuzuhören.

Wir Grüne sind gegen einen Abbruch des Ratifikationsprozesses. Europas Völker haben ein Recht darauf, ihre Meinung zum Verfassungsvertrag zu äußern. Ein "Ja" der Luxemburger am 10. Juli würde das französische "Non" und das niederländische "Nee" wieder relativieren. Denn am Ende wird Bilanz gezogen. Bereits heute hat sich die Mehrheit der EU-Bürgerinnen und Bürger für die Verfassung ausgesprochen. Zählt man die drei Referenden zusammen, waren 54 % dafür. Natürlich kann nicht zweimal über dasselbe Vertragswerk abgestimmt werden. Ein Votum ohne den widersprüchlichen dritten Teil oder über das Konventsergebnis ohne die Verschlechterungen, die der Rat noch durchgesetzt hat oder über ein europaweites Referendum an einem Tag - all das sollte intensiv diskutiert werden.

Auch das Europäische Parlament muss seine Rolle bei einem Neustart für die Europäische Union spielen. Die Grünen/EFA bereiten sich darauf vor, ihren bestmöglichen Beitrag zu dieser Debatte zu liefern. Am Montag, den 27. Juni, haben wir mit einer Konferenz im Europäischen Parlament, zu der ein weiter Kreis von Vertretern der Zivilgesellschaft, der NGOs und der Gewerkschaften eingeladen wurden, unseren Nachdenkprozess zur Zukunft Europas begonnen.