Michael Cramer in der Welt über den 160. Jahrestag der Märzrevolution.
Am 18. März 1848 besiegten in Berlin die Arbeiter und Bürger im Straßen- und Barrikadenkampf die Truppen des preußischen Königs: Die demokratische Revolution hatte einen Anfang. Am 18. März 1990 fand die einzig freie Wahl in der DDR statt. Dieser Tag könnte ein Zeichen setzen.
Erinnerung an den Befreiungskampf: Am 18. März 1848 besiegten in Berlin die Arbeiter die Truppen des preußischen Königs.
Alle reden von 68. Aber heute, am 18. März, sollte sich das vereinigte und demokratische Deutschland an ein anderes Datum erinnern. Die deutsche Märzrevolution von 1848 feiert ihren 160. Jahrestag. Die als "Völkerfrühling" bekannte Märzrevolution war ein Erfolg von Menschen aller Klassen gegen die Feudalmächte. Sie forderten demokratische Rechte und vor allem Rede- und Versammlungsfreiheit. Nicht nur in Deutschland gab es Aufstände gegen Fürstenwillkür und Absolutismus. Es war eine europaweite Bewegung.
Am 18. März 1848 besiegten in Berlin die Arbeiter und Bürger im Straßen- und Barrikadenkampf die Truppen des preußischen Königs. Als sich die Demonstranten auch durch den Einsatz von Waffengewalt nicht einschüchtern ließen, hatten die Soldaten begonnen, die Befehle zu verweigern und verbrüderten sich mit dem Volk. Die Truppen kapitulierten, und der König wurde gezwungen, vor den "Märzgefallenen" sein Haupt zu entblößen und sich zu verneigen.
Wir wissen, dass der Aufbruch zu Demokratie, Freiheit und Einheit in Deutschland nach nur wenigen Monaten kläglich scheiterte. Denn es gibt geschichtliche Situationen - so der Historiker Heinrich August Winkler - die tragisch sind: "Situationen, in denen das, was dem rückblickenden Betrachter vernünftig erscheint, nicht Wirklichkeit werden konnte, weil die Verhältnisse mächtiger waren als die Vernunft."
Kurzes Gefühl von Freiheit
Schaut man auf die Märzrevolution, können wir "rückblickenden Betrachter" diesen Satz unterstreichen. Sie war ein wichtiger Etappensieg im Kampf um Demokratie in Deutschland und der Versuch, aus dem Flickenteppich der Fürstentümer einen modernen Nationalstaat zu formen. Die 48er Revolution vermittelte vor 160 Jahren kurz das Gefühl von Freiheit und Einheit. Doch die mächtige Realität sorgte schnell dafür, dass dieser kurze Traum platzen sollte. Kleinstaaterei und Feudalismus blieben länger als bei den europäischen Nachbarn das Merkmal der politischen Struktur in Deutschland.
Die Einheit war geboten, wie die Freiheit notwendig war. Die Kleinstaaterei widersprach nicht nur den wachsenden Notwendigkeiten einer sich industrialisierenden Gesellschaft. Es ging auch - und aus dem Blickwinkel eines aufgeklärten Bürgertums in erster Linie - um die nationale Idee, die damals eine fortschrittliche Idee der Befreiung vom Mief der Aristokratie, eine Abkehr von den beharrenden Kräften der Fürstenhäuser war.
Dem politischen Liberalismus hatten die europäischen Nachbarn durch die revolutionären Ereignisse unter anderem in Frankreich Rückenwind verliehen. Belgien gab Europa seit 1830 ein Beispiel für konstitutionell verankerte Freiheitsrechte. In den Deutschlanden hingegen hatte sich nach dem Wiener Kongress 1815 die Restauration breit gemacht und die Verhältnisse feudalistisch eingefroren. Die Einheit kam erst 1871 durch Bismarck- und somit von oben.
Das Ziel der 1848er war auch Einheit
Die 1848er wollten beides - Einheit und Freiheit. Und sie hatten damit eine sehr viel schwierigere Aufgabe zu lösen als die europäischen Nachbarn. Wo der Nationalstaat schon durchgesetzt war, konnten sich die Bürger auf die Freiheitsrechte konzentrieren. Die deutsche Revolution war durch ihr Doppelziel überfordert. Darin lag der Kern ihres Scheiterns. Die Niederlage von 1848 hat der deutschen Entwicklung eine schwere Hypothek hinterlassen: die Ungleichzeitigkeit von Einheit und Freiheit und den Mangel an bürgerschaftlicher, freiheitlicher Tradition im Deutschland des 19. und 20. Jahrhundert.
Die bürgerliche Rechte hat nicht nur in der Kaiserzeit den Mangel an Freiheit und Mitbestimmung akzeptiert und geduldet. Auch die Weimarer Republik litt darunter, dass die liberalen und konservativen Parteien mehr Angst hatten vor dem "kommunistischen Gespenst" als vor einem Verlust von Freiheit und Demokratie. Vom Gedanken der Einheit verabschiedeten sich nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus in zunehmendem Maße große Teile der deutschen Linken. Einen Aspekt vernachlässigten sie dabei sträflich: Für die Deutschen in der DDR ging die Teilung einher mit politischer Unfreiheit. Die Zementierung der Teilung war auch die Zementierung der fehlenden Freiheit.
Mit der friedlichen Revolution in der DDR wurde die Ungleichzeitigkeit von Freiheit und Einheit endgültig überwunden. Dass die einzigen freien Wahlen in der DDR im Jahre 1990 an einem sonntäglichen 18. März stattfinden konnten, war ein Geschenk des Kalenders - ein schönes Geschenk. Heute ist Deutschland vereint - nicht gegen den Willen seiner Nachbarn, sondern in enger Kooperation. Über viele Um- und Irrwege wurde der Traum der deutschen 1848er endlich wahr.
Der 18. März 1848 ist ein wichtiger Tag der deutschen Geschichte, auf den sich alle demokratisch gesinnten Menschen berufen können. Er war der Höhepunkt des Kampfes für ein freies parlamentarisches Leben und ist Symbol für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die überparteiliche Bürgerinitiative "Aktion 18. März", die von allen fünf Fraktionen im Abgeordnetenhaus von Berlin unterstützt wird, fordert anlässlich des 160. Jahrestages, diesen Tag zum nationalen Gedenktag zu erklären. Dem sollte sich auch der Deutsche Bundestag anschließen.
Der Autor ist seit 2004 als Mitglied der Fraktion Grüne/EFA Abgeordneter des Europäischen Parlaments.
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