Die EU stellt Fluggesellschaften ihre 2012 bei Flügen von und nach Europa ausgestoßenen Kohlendioxid-Mengen nicht in Rechnung. Denn sie sieht "bedeutende Fortschritte" in der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (Icao), einen weltweit gültigen marktorientierten Rahmen für die Reduzierung von Kohlendioxid (CO2) auszuarbeiten. Für innereuropäische Flüge gilt die Lockerung nicht. Das stößt auf Kritik der deutschen Luftfahrtbranche. "Die EU-Kommission ist nur den halben Weg gegangen", kritisiert Thomas Hailer vom Deutschen Verkehrsforum. Und der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, Klaus-Peter Siegloch, ergänzt: "Damit stehen die europäischen Airlines im Wettbewerb schlechter da als ihre internationalen Konkurrenten, die überwiegend außerhalb von Europa fliegen und nicht mehr für ihre Emissionen zahlen müssen. Das ist unfair." Darauf weist auch der Verband der europäischen Luftfahrtgesellschaften (AEA) hin, allerdings deutlich moderater als der BDL. AEA begrüßt generell den Schritt der EU-Kommission und appelliert an die "notorisch langsame" Icao, bis zu ihrer Generalversammlung im Herbst 2013 einen weltweiten Ansatz voranzubringen.
Darauf setzt die EU. Deren Experten zufolge hat sich die Organisation gewandelt. Bislang hätte Icao lediglich den EU-Ansatz abgelehnt, die Kohlendioxidemissionen der Luftfahrt mit einem marktorientierten System zu belasten. Mittlerweile gebe sich die Organisation konstruktiv und zeige Bereitschaft, über ein weltweit gültiges – marktorientiertes – System zur Belastung der Emissionen zu verhandeln. Über dessen Machbarkeit bestünde bereits Überseinstimmung. Die Berichte von der letzten Icao-Ratssitzung seien "gute Nachrichten", weil der marktorientierte Ansatz, wie er beim Emissionshandelssystem (ETS) der Kommission verfolgt werde, für Brüssel von außerordentlicher Bedeutung sei.
Als Zeichen, dass sie die Bewegung bei Icao anerkennt und um deren interne Verhandlungen nicht zu belasten, wird die EU "die Uhr anhalten". Damit umschreibt die zuständige Kommissarin Connie Hedegaard den Stopp des ETS. Die EU wird den für April 2013 vorgesehenen Abrechnungstag verstreichen lassen. Dadurch werden die Fluggesellschaften für ihren CO2-Ausstoß im laufenden Jahr bei Flügen von und nach Europa nicht belangt. Die Kommission wird kostenlos ausgegebene Emissionszertifikate für 2012 zurückverlangen und aus dem Markt nehmen. Airlines brauchen auch keine Informationen über 2012 absolvierte Flüge und ausgestoßene CO2-Mengen an die EU zu melden.
Dieses "unwiderrufliche Aussetzen" der Meldepflicht kritisiert der Grüne Europaabgeordnete Michael Cramer scharf. Damit würde "der Emissionshandel für den Zeitraum 2012 außer Kraft gesetzt – und das völlig unabhängig von den Fortschritten in der Icao". Die Kommission will im April 2014 die Luftfahrt-Emissionen für 2013 abrechnen.
Sollte Icao bei der Ratssitzung im Herbst 2013 hinter den von der EU erwarteten Fortschritten zurückbleiben, "brauche ich nicht zu betonen, dass wir dann automatisch wieder beim Emissionshandelssystem der EU sein werden, das jetzt für 2012 ausgesetzt wird", hob Hedegaard hervor.
Der Initiative der Kommission, von der Parlament und Mitgliedstaaten "völlig überrascht" wurden, müssen beide Institutionen noch zustimmen. Die Brüsseler Behörde werde alles tun, um das Verfahren schnell über die Bühne zu bringen, heißt es. EU-Beamte stellen aber klar, , dass die Kommission dabei auf keinen Fall davon abweichen will, innereuropäische Flüge – gleich von welcher Luftfahrtgesellschaft – ohne Unterbrechung im ETS zu lassen. Auf der anderen Seite fordert Cramer, den Vorschlag der Kommission durch "Parlament und Rat als Gesetzgeber" zu "verschärfen". Der Vorsitzende des Umweltausschusses im Parlament, der SPD-Abgeordnete Matthias Groote, kündigt an, den Vorschlag der Kommission sehr sorgfältig zu prüfen. Denn "es gibt eine europäische Gesetzgebung, die wir nicht aufgeben werden."