Von Jürgen Lange
Stolberg. Für Oliver Paasch ist der Termin so wichtig, dass er direkt vom Staatsbesuch in der Delegation des belgischen Königspaars bei der dänischen Königin Margrethe II. zum Stolberger Hauptbahnhof kommt. War in Kopenhagen die Transportlogistik eines der Themen des Ministerpräsidenten der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, so dreht sich am Betriebssitz der Euregio Verkehrsschienennetz GmbH (EVS) in der Kupferstadt alles um die Mobilität in der Grenzregion: Die Schienenverbindung zwischen Stolberg über Breinig nach Eupen soll reaktiviert werden.
Reaktion auf die Autobahn-Maut
Noch im Februar klingt im Gespräch mit unserer Zeitung Heiko Sedlaczek eher zurückhaltend und spricht lediglich von einer Sicherung der Gleisstrecke: »Eine Entwidmung kann nicht im Interesse der Region sein«, so der Geschäftsführer des Zweckverbandes Nahverkehr Rheinland (NVR). Um so deutlicher bringt es Oliver Paasch nun auf den Punkt. »Wir brauchen die Reaktivierung der Strecke von Eupen nach Stolberg«, macht der Ministerpräsident just an dem Tag klar, an dem der Deutsche Bundesrat den Weg frei macht für die Autobahn-Maut. Dabei nimmt der 45-Jährige aus Malmedy die Kupferstadt als Etappenziel ins Visier für Bahnreisende in Richtung Mönchengladbach und Köln: »Das sind für uns attraktive Zentren.«
Etappenziel auf der Bahnreise von Berlin nach Brüssel ist Stolberg an diesem Tag auch für den 67-jährigen Michael Cramer. Der aus Westfalen stammende Wahlberliner ist nicht nur seit 1979 ohne Auto mobil, sondern als Europaparlamentarier der Grünen langjähriger Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und Tourismus ein intimer Kenner des Schienenverkehrs. Unter dem Motto »Die Lücke muss weg« engagiert sich Cramer seit Jahren vor allem für den regionalen Lückenschluss von Eisenbahnverbindungen für das Zusammenwachsen von Europa auf der Schiene.
Schrittweise über 25 Kilometer
Angesichts der Herausforderung im Dreiländereck hat Reiner Priggen seinen Parteifreund schnell überzeugt, sich des Projekts der Reaktivierung der Vennbahnlinie anzunehmen. Der Landtagsabgeordnete ist Mitglied im Beirat der EVS, seitdem 2001 die Euregiobahn auf die Schiene gesetzt wurde. »Ich bewundere die Zähigkeit, mit der die EVS Schritt für Schritt das Gleisnetz für den Personenverkehr ausgebaut hat«. Und Priggen hegt keinen Zweifel daran, dass schrittweise das Ziel Eupen erreicht wird.
Der erste Schritt wird absehbar der Bahnhof Breinig sein. Im Juni soll die Zweckverbandsversammlung des NVR offiziell die Verlängerung der Euregiobahn und damit die Ertüchtigung der Strecke über den Haltepunkt Altstadt hinaus auf den Weg bringen. In ein bis zwei Jahren könnte dann der Regelverkehr aufgenommen werden. Die griffbereiten Pläne zur Reaktivierung erläutern die EVS-Geschäftsführer Thomas Fürpeil und Christian Hartrampf den Mitstreitern. Sie sehen auf dem Weg nach Breinig einen Neubau des Rüstbachviaduktes vor. Für die Ertüchtigung in Richtung Bundesgrenze müsste das Falkenbachviadukt an der Schlauser Mühle saniert werden. Das macht das Projekt nicht gerade preiswert. Aber Fürpeil ist überzeugt, dass die seinerzeit genannten 25 Millionen Euro bis zur Bundesgrenze merklich unterschritten werden. »Es müssen allerdings noch einige Untersuchungen vorgenommen werden«, ist Fürpeil vorsichtig bei einer Bezifferung des Aufwandes für die etwa 13 Kilometer lange Strecke zwischen dem Haltepunkt Altstadt und der Bundesgrenze.
»Die Grenze darf keine Endstation sein«, betont Arthur Genten. Der Schöffe der belgischen Stadt setzt auf einen Anschluss Eupens an das internationale Gleisnetz. Bislang enden die über Welken- raedt eintreffenden Zugverbindungen im Kopfbahnhof der ostbelgischen Metropole. Genten sieht auch mit Blick auf die Autobahnmaut in der Reaktivierung der Gleistrasse ein wichtiges Angebot für Ostbelgien und eine Aufwertung des Eupener Bahnhofs.
Wie viel Geld in die nochmals gut zwölf Kilometer lange belgische Gleisstrecke zwischen der Grenze und Eupen investiert werden müsste, kann Oliver Paasch an diesem Tag nicht beziffern: »Das ist eine Aufgabe unserer Bundesregierung.« Aber die ostbelgische Regierung und Abgeordnete im föderalen Parlament in Brüssel stünden bereits im engen Kontakt mit dem Verkehrsminister, um das Projekt auf die Schiene zu bringen. Und auch dem deutschen Verkehrsminister Alexander Dobrindt hat Paasch die Strecke zwischen Stolberg und Eupen bereits ans Herz legen können.
Für einen Europapolitiker wie Michael Cramer sind die Kosten für den grenzüberschreitenden Lückenschluss »Peanuts« - als wirksame Maßnahme zum Klimaschutz und im Vergleich zu anderen Schienenprojekten der EU. Der Grüne nennt als Beispiel den Ausbau der Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen Lyon und Triest: »Sie wird mit 26 Milliarden Euro beziffert, nur damit fünf statt bislang drei TGV am Tag verkehren können«. Aber solche Fernverbindungen würden nur von fünf Prozent der Reisenden genutzt. 95 Prozent der Kunden bewegten sich innerhalb eines Radius von 60 Kilometern.
In einer von Cramer angestoßenen Untersuchung wird aufgezeigt, dass die meisten Lücken im europäischen Schienennetz da sind, wo Grenzen sind. Oft sind es noch Narben aus Kriegszeiten, wie die gesprengte Rheinbrücke bei Breisach auf der Strecke nach Colmar, oder der Niedergang des Bahnverkehrs Ende des vergangenen Jahrhunderts. Aber zumeist sind es auch nur wenige Kilometer Schiene, die erneuert werden müssten. »Als die Kommission für solche regionalen Projekte ein Programm mit 110 Millionen Euro auflegte, war es schnell überzeichnet«, erklärt Cramer: 18 Projekte mit einem Volumen von mehr als 600 Millionen Euro sind angemeldet. Die Reaktivierung der Vennbahntrasse ist noch nicht dabei.
»Aber wir streben die Aufnahme in ein Interreg-Programm an«, kündigt Oliver Paasch an.
Dabei unterscheidet sich das deutsch-belgische Projekt deutlich von vergleichbaren Vorhaben in Europa, sagt der Kenner Cramer. »Die ganze Region unterstützt das Vorhaben«, erklärt der Parlamentarier, dass bei vielen grenzüberschreitenden Lücken im Netz sich beide Seiten bei weitem nicht immer einig seien.
Das ist in diesem Fall anders: »Alle Kommunen der Städteregion stehen hinter dem Vorhaben«, betont Tim Grüttemeier als Vorsitzender der städteregionalen Bürgermeisterkonferenz: »Es besteht ein großes Interesse an diesem Musterprojekt für die europäischen Regionen«. Und natürlich sei an der Reaktivierung der Vennbahnlinie ganz besonders Stolberg interessiert, wo der Hauptbahnhof immer mehr zu seiner alten Bedeutung als Dreh- und Angelpunkt für den regionalen Schienenverkehr zurückfindet.
Der politische Wille zählt
Dabei sind sich die deutsche und belgische Seite auch einig in der Einschätzung, dass die Wiederbelebung zu einem touristischen Aufschwung führen kann. Neben dem Schienenerlebnis für eingefleischte Bahnfans soll die Strecke auch Wanderfreunden und Nutzern des beliebten Radwegenetzes der Vennbahnroute dienen.
Als nächstes soll die Euregio Maas-Rhein eine Resolution zur Wiederbelebung der Strecke auf den Weg bringen, kündigt Oliver Paasch an. Dann sind es drei Nationen, die sich dafür einsetzen, das Projekt schrittweise umzusetzen. »Es zählt nur der politische Wille«, bekräftigt Michael Cramer. Denn nur dieser sei es, der letztlich die finanzielle Unterstützung auf den Weg bringen könne.