Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zwei Anträge eingebracht, mit denen die Überprüfung hinsichtlich einer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit geregelt werden soll. Für die Überprüfung der Abgeordneten fordern wir - wie in den vergangenen Jahren auch - die Einsetzung eines Ehrenrates. Das wird dankenswerterweise von allen fünf Fraktionen unterstützt. Der zweite Antrag befasst sich mit der Überprüfung der Senatsmitglieder, deren Ergebnis veröffentlicht werden soll.
40 Jahre nach dem Bau der Mauer ist die Trennung von Ost und West noch längst nicht überwunden. Nicht nur nach dem Ende der DDR - auch nach den Erfahrungen mit dem Bankenskandal - ist die politische und persönliche Glaubwürdigkeit der Politik von zentraler Bedeutung.
Berlin ist eine Stadt, in der so viele Menschen unter dem SED-Unrecht gelitten haben, unter Bespitzelung, sog. "Zersetzungsmaßnahmen" der Stasi, Verfolgung und Haft. Deshalb sind wir der Meinung dass diese Stadt nur von Menschen regiert werden darf, die nicht in dieses Unrechtssystem verstrickt waren.
Aus der Vergangenheit wissen wir, dass für die Überprüfung eines jeden Abgeordneten das individuelle Einverständnis notwendig ist. Wir wissen aber auch, dass eine Empfehlung des Ehrenrats für die Betroffenen keinen verbindlichen Charakter hat. Wir appellieren also schon jetzt an die Freiwilligkeit aller Abgeordneten, sich dieser Überprüfung zu unterziehen und den Empfehlungen des Ehrenrates auch Folge zu leisten.
Anders sieht es bei der Überprüfung der Senatsmitglieder aus. Diese sind Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes im Lande Berlin, ihre Überprüfung ist im Stasi-Unterlagengesetz und im Senatorengesetz geregelt. Das Ergebnis dieser Überprüfung wird aber lediglich zu den Personalakten genommen, eine Veröffentlichung ist nicht vorgesehen.
Mit unserem Antrag wollen wir diese Lücke schließen. Insbesondere bei den Mitgliedern des Senats ist das Überprüfungsergebnis von besonderer Bedeutung und hohem Interesse. Deshalb muss es der Öffentlichkeit zugänglich sein, bei nachgewiesener Tätigkeit für das MfS müssen auch Konsequenzen daraus folgen.
Der rot-grüne Senat hatte eine solche Regelung bereits vorbereitet, sie sollte nun schnellstens umgesetzt werden.
Die Frage nach der persönlichen Integrität und Glaubwürdigkeit richten wir nicht nur an jene, die in den Bankenskandal, in Vetternwirtschaft und regelwidrige Parteispenden verwickelt waren. Dafür gibt es den Untersuchungsausschuss.
Wir stellen die Frage genauso an jene, die in Ost oder West für die Stasi gearbeitet haben. Wir halten daran fest, dass das auch für andere Geheimdienste gilt. Wir sind der Meinung, dass die Wählerinnen und Wähler einen Anspruch auf Aufklärung haben.
Immer wieder wird der Schlussstrich unter die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit gefordert. Auch wird die Frage gestellt, wie lange man die Stasi-Überprüfung noch praktizieren will, warum immer wieder die "ollen Kamellen" auf den Tisch kommen.
Zunächst wissen wir aus leidiger Erfahrung, wie mühselig und langwierig die Aufarbeitung einer Diktatur ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur an die öffentliche Debatte über die Wehrmachtsausstellung erinnern. Sie hat nach mehr als 50 Jahren nichts an Aktualität eingebüßt. Wir halten sie auch heute noch für notwendig.
Unabhängig davon spricht gegen ein jetziges Ende der Stasi-Überprüfung aber zweierlei: Die Partei, die früher SED hieß, übernimmt 12 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR erstmals Regierungsverantwortung im Berliner Senat. Sie trug für die menschenfeindlichen Praktiken in der DDR die Verantwortung. So steht es auch im Koalitionsvertrag. Schon deshalb darf die Überprüfung jetzt nicht gestoppt werden.
Zum anderen muss man sich vergegenwärtigen, dass alle Beschäftigte im Öffentlichen Dienst bei ihrer Einstellung überprüft werden. Solange diese Praxis besteht, muss sie erst recht auch für Senatsmitglieder gelten. Das ist ein Gebot der Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz. Das wollen wir nicht verletzen!
In doppelter Hinsicht betroffen von unseren Anträgen ist der Abgeordnete Gregor Gysi, der heute als Senator gewählt worden ist. In den letzten Jahren tauchte im Zusammenhang mit seinem Namen immer wieder der Vorwurf auf, er habe für das MfS gearbeitet. Auch der Deutsche Bundestag hat sich in der letzten Legislaturperiode mit diesen Stasi-Vorwürfen ausführlich befasst.
Der Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestags hat in seinem Bericht (13/10893) eine inoffizielle Tätigkeit für die Stasi von Gregor Gysi "als erwiesen festgestellt" und konstatiert, dass er "unter verschiedenen Decknamen dem MfS inoffiziell zugearbeitet" hat. Seine Anwaltstätigkeit für Bürgerrechtler wie Robert Havemann, Gerd und Ulrike Poppe habe er benutzt, "um im Rahmen seiner inoffiziellen Zusammenarbeit dem MfS Informationen über seine Mandanten zu liefern und Arbeitsaufträge des MfS auszuführen".
In seiner Stellungnahme weist Gregor Gysi darauf hin, dass es dem Ausschuss nicht gelungen sei, die Vorwürfe zu belegen, "weil ich zu keinem Zeitpunkt inoffiziell mit dem MfS zusammengearbeitet habe".
Gegen die Veröffentlichung des Berichts ist Gregor Gysi bis zum Bundesverfassungsgericht gegangen - ohne Erfolg. Der Bericht des Immunitätsausschusses mit der Stellungnahme von Gregor Gysi ist für jeden im Internet einzusehen.
Seitdem sind aber weitere und neuere Vorwürfe öffentlich erhoben worden. Der Schriftsteller Lutz Rathenow, ein ehemaliger Mandant, findet in seinen Stasi-Akten einen Vermerk über ein vertrauliches Gespräch mit seinem Anwalt Gysi.
Und Marianne Birthler, die Leiterin der nach ihrem Vorgänger benannten Gauck-Behörde, verweist im Tagesspiegel vom Mittwoch auf eine "dichte Indizienkette", derzufolge "Gregor Gysi Zuträger der Stasi war".
Nun wissen wir - insbesondere nach den Vorwürfen gegenüber Lothar de Maiziere und Manfred Stolpe - dass die Grenze zwischen Kontakt und Mitarbeit nicht leicht zu bewerten ist. Wir wissen aber auch, dass die inoffizielle Mitarbeit für die Stasi nur in Ausnahmefällen zugegeben wurde, dass es Grauzonen gab und das sich Vorverurteilungen verbieten. Aber eines ist auch klar: Das, was heute schon öffentlich über Gysi und die Stasi bekannt ist, hat in vielen Fällen zur Entlassung aus dem Öffentlichen Dienst oder zur Mandatsniederlegung von Abgeordneten und Stadträten geführt.
Aus all diesen Gründen wollen wir - wie es bei jedem anderen Beschäftigten auch der Fall ist - dass die Vorwürfe geprüft, mit den neuen Erkenntnissen der Gauckbehörde abgeglichen werden und das Ergebnis veröffentlicht wird.
Wodurch sich aber der Fall Gysi eklatant von allen anderen unterscheidet, ist die Tatsache, dass er die Auseinandersetzung über seine Rolle als Anwalt der DDR-Bürgerrechtler auf eine juristische Ebene geschoben hat und jeden, der die Behauptung des Bundestags-Ausschusses wiedergibt, mit Klagen überzieht.
In der SFB-Sendung "Kontraste" "Der Kandidat und seine Vergangenheit" kamen z.B. der SPD-Bundestagsabgeordnete Stefan Hilsberg, und die Bundesbeauftragte Marianne Birthler im O-Ton zu Wort. Stefan Hilsberg, Mitglied im besagten Immunitätsausschuss, fasste das Ergebnis mit seinen Worten folgendermaßen zusammen: "Es lässt sich direkt nachweisen, dass Gregor Gysi Einfluss auf seine Mandanten genommen hat, im Interesse der Staatssicherheit". Marianne Birthler gibt in ihrem Statement die Ergebnisse ihrer Behörde so wieder: "Da Dr. Gysi sich konspirativ mit der Stasi getroffen hat, da er Aufträge entgegengenommen und umgesetzt hat, da er Informationen geliefert hat, können wir davon sprechen, dass über Jahre hinaus er wie ein IM gearbeitet hat."
Die Unterlassungsklagen von Gregor Gysi richten sich nun aber nicht gegen die Personen Hilsberg und Birthler, die diese Äußerungen zu verantworten haben, sondern gegen den SFB, dem er in der 1. Instanz auch untersagen konnte, diese Statements im Internet zu veröffentlichen. Ich finde, das geht entschieden zu weit.
Wenn das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig wird, wenn bundesverfassungsrechtlich geschützte Drucksachen des Bundestages nicht mehr wiedergegeben werden dürfen, dann wird die Meinungsvielfalt der Medien beschnitten. Dann herrscht Diskussionsverbot, wird das Thema "Gysi und die Stasi" zum Tabu erklärt. Und das wollen wir nicht!
Und da bitte ich doch um Stringenz. Sie, Herr Gysi, waren es doch, der als Verteidiger von Mauerschützen immer wieder darauf hingewiesen hat, dass die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit nicht juristisch, sondern politisch geführt werden soll. Sie waren es, der immer wieder die politische Debatte gefordert hat. Und nun, pro domo, setzen sie nur auf die Justiz und wollen ein Diskussionsverbot.
Das Herr Gysi, ist der Unterschied zu allen anderen Fällen. Uns geht es darum, die tabuisierte öffentliche Diskussion wieder zu beleben und das von Ihnen angestrebte Diskussionsverbot nicht Praxis werden zu lassen. Wir wollen nicht den Mief der vergangenen DDR, sondern eine lebendige und diskussionsfreudige Gesellschaft. Wir jedenfalls wollen die Meinungsvielfalt auch in den Medien sichern.
Abschließend möchte ich an Sie, an den soeben gewählten Senator appellieren, die unsägliche Praxis mit den Unterlassungserklärungen aufzugeben. Und an Sie, an die Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin, geht meine Bitte, unseren Anträgen zuzustimmen.
Michael Cramer, 17.01.02