Streit um Pkw-Maut beigelegt: Europaabgeordnete kritisieren Kompromiss

02. Dezember 2016 zur Übersicht

Artikel erschienen über "Dow Jones Newswires" am 2.12.2016

Die Europaabgeordneten Michael Cramer (Grüne) und Ismael Ertug (SPD) haben den Kompromiss im Streit um die deutsche Pkw-Maut kritisiert, den EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Donnerstagabend verkündet hatten. "Die EU-Kommission lehnte eine 1-zu-1-Kompensation der Mautausgaben ab, findet es aber irrsinnigerweise in Ordnung, wenn die Mehrbelastung deutscher Autofahrer durch Steuersenkungen sogar überkompensiert werden soll", sagte Cramer, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Europaparlament. "Am Ende sollen nur ausländische Fahrer die Maut berappen. Das ist antieuropäisch und wird Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof provozieren", so Cramer. Ertug erklärte, wenn die Frage der Diskriminierung von EU-Ausländern nicht völlig ausgeräumt sei, könne "der plötzliche Kurswechsel der Kommission nur als Kniefall von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor Dobrindt gedeutet werden".

Die Kommission hatte vor allem wegen der auch von ihr monierten Diskriminierung von Ausländern ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesregierung betrieben und Ende September Klage vor dem Europäischen Gerichtshof angekündigt. Nun gibt sie sich aber damit zufrieden, dass Fahrzeugbesitzer aus Deutschland bei der Kfz-Steuer nicht mehr um genau den gleichen Betrag entlastet werden, den sie als Maut zahlen müssen, sondern dass die Steuersenkung je nach Umweltstandard der Autos gestaffelt wird. Ziel der Kommission sei gewesen, "die Steuer von der Straßenbenutzungsgebühr zu entkoppeln", betonte Bulc. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass damit Fahrzeughalter nicht mehr wegen ihrer Nationalität unterschiedlich behandelt würden, sondern wegen der Umweltstandards ihrer Autos.

Wobei alle Fahrzeugbesitzer in Deutschland mindestens den Mautbetrag über die Kfz-Steuer zurückbekommen. Für die Halter von Autos mit der Norm "Euro 6" gibt es zusätzlich noch eine Ermäßigung von insgesamt 100 Millionen Euro im Jahr. Dobrindt konnte also verkünden: "Es wird keine Mehrbelastung für inländische Autofahrer geben", was er immer versprochen hatte. Zugeständnisse machte er bei den Preisen für Kurzzeitvignetten, die hauptsächlich von ausländischen Autofahrern gekauft werden dürften. Die Preise für 10-Tages-Vignetten sollen - ebenfalls gestaffelt nach Umweltklassen - von 2,50 bis 20 Euro reichen. Bisher war eine Spanne von 5 bis 15 Euro vorgesehen.

Dobrindt sagte, er rechne trotz der zusätzlichen Steuerentlastungen weiter mit jährlichen Nettoeinnahmen von 500 Millionen Euro durch die Maut. Einerseits wegen der höheren Preise für Kurzzeitvignetten für Autos mit hohem Schadstoffausstoß und weil neue Daten zeigten, dass noch mehr Pkw durch Deutschland durchfahren würden, als bisher geschätzt. Etliche Experten, darunter auch Michael Cramer, bezweifeln diese Einnahmerechnung.

Teil des Kompromisses ist auch die Unterstützung der Bundesregierung für Kommissionspläne, mittelfristig ein europäisches Mautsystem einzuführen. Dabei erwägt sie auch ein entfernungsabhängiges Gebührensystem. Vorschläge soll es im kommenden Jahr geben.

Bis dahin wird die bereits beschlossene deutsche Pkw-Maut, die Dobrindt wegen des Streits mit der Kommission aber auf Eis gelegt hat, noch nicht eingeführt sein. Dobrindt sagte, der Start liege "in der nächsten Wahlperiode". Zunächst müssten die vereinbarten Änderungen durch das parlamentarische Verfahren und dann müsse das System zur Mauterhebung ausgeschrieben und technisch aufgebaut werden, führte er zur Begründung an. Möglicherweise könnten sich die deutschen Mautpläne also auch noch ändern - je nach Ausgang der Bundestagswahl 2017