Berlin - Es ist die nächste Panne beim Chaos um den Berliner Hauptstadtflughafen BER. Die EU-Kommission droht jetzt mit einem Vertragsverletzungsverfahren. Das meldet das ARD-Magazin "Kontraste". Bei der Festlegung der Flugrouten sei gegen EU-Richtlinien verstoßen worden, heißt es in einem Schreiben, das dem Magazin vorliegt.
Die am 26. Januar 2012 festgelegten Flugrouten würden von den vorher in der Planfeststellung angegebenen Routen "erheblich" abweichen und gegen zwei EU-Richtlinien verstoßen. Die Brüsseler Kommission setzt die deutschen Behörden dem Bericht zufolge in dem Brief unter Druck: Wegen des hohen öffentlichen Interesses wird um eine "prioritäre Behandlung" der Angelegenheit gebeten.
Die EU-Kommission kritisiert demnach vor allem, dass für die neuen Flugrouten keine Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgte. Sie würden durch Natur- und Vogelschutzgebiete verlaufen. Genannt werden vor allem Gebiete rund um den Müggelsee in Berlin-Köpenick. Das erhöhe das Risiko durch Vogelschlag und gefährde seltene Vögel wie Fischadler, Kranich, Weißstorch und andere.
In dem Schreiben, aus dem "Kontraste" zitiert, heißt es am Schluss: "Die Kommissionsdienststellen sind der Auffassung, dass die Nichtberücksichtigung der endgültigen Flugrouten in der UVP (Umweltverträglichkeitsprüfung) und der FFH (Flora-Fauna-Habitat)-Verträglichkeitsprüfung für den Ausbau des Berliner Flughafens gegen die Richtlinien 2011/92/EU und 92/43/EWG verstößt und beabsichtigen die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens vorzuschlagen." Schon vor der Festlegung der Routen hatte es Ärger gegeben: Bürgerinitiativen kündigten damals an, eine Beschwerde bei der EU-Kommission vorzubereiten.
Flugrouten sollen nach einem Jahr überprüft werden
Das Verfahren geht auf eine Initiative des Naturschutzbundes (Nabu), der Grünen Liga und der Friedrichshagener Bürgerinitiative zurück, die sich in Brüssel beschwert hatten. Im August 2012 hatten die Kommissionsbeamten die deutschen Behörden deshalb zu einer Stellungnahme aufgefordert. Die Erklärung genügte ihnen offensichtlich nicht.
Franziska Heß, die Rechtsanwältin der Umweltschützer, zeigte sich zufrieden: "Für uns ist es sehr erfreulich, dass die Kommission offenbar den von uns vorgetragenen Argumenten bisher in vollem Umfang folgt. Dies ist ein wichtiger Etappensieg." Im Bundesverkehrsministerium sieht man das anders. Die genannten Richtlinien seien bereits in deutsches Recht umgesetzt worden, sagte ein Sprecher. Aus Sicht der Bundesregierung ergebe sich daraus aber keine Pflicht zur Durchführung der beschriebenen Prüfungen, weil es sich um keine "Projekte" im Sinne der Richtlinien handele. Dies habe man der EU-Kommission auch mitgeteilt.
Allerdings könnten die Routen, die die Deutsche Flugsicherung festlegt, verändert werden, wenn sich herausstellt, dass das Ziel, möglichst wenig Menschen zu belasten, nicht erfüllt wird. Eine erste Bilanz soll spätestens ein Jahr nach Aufnahme des Flugbetriebs erfolgen. Der Imageschaden bleibt jedoch.
Obwohl sich die Frage stellt, inwieweit das Image überhaupt noch Schaden nehmen kann. Erst zu Wochenbeginn war die Eröffnung des Flughafens abermals verschoben worden. Wegen des neuen Desasters hatte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender aufgegeben. Nachfolger soll Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck werden.
Inzwischen wird damit gerechnet, dass der Airport frühestens 2014 in Betrieb gehen kann. Er wird nach jüngster Kalkulation mindestens 4,3 Milliarden Euro kosten, mehr als doppelt so viel wie anfangs angegeben.
Der Grünen-Europaparlamentarier und Verkehrsexperte Michael Cramer sagte "Kontraste": "Dass die EU-Kommission nun über ein Vertragsverletzungsverfahren nachdenkt, zeigt, wie schwerwiegend dieser Verstoß ist. Eine erneute Prüfung der Flugrouten könnte zu Planungsänderungen und Kostensteigerungen führen."