Sinn und Unsinn einer festen Fehmarnbelt-Querung

16. März 2009 zur Übersicht

Michael Cramers Vortrag beim "Nautischen Essen 2009" des "Nautischen Vereins Vogelfluglinie e.V."

 Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich möchte mich ganz herzlich für die Einladung zu diesem nautischen Essen bedanken. Wie man sieht, kann man auf und mit einem Schiff so einiges machen, vieles sogar besser als auf Brücken zum Beispiel. Ein gemütliches Beisammensein wie dieses hier heute kann ich mir nämlich nicht auf einer zugigen Brücke vorstellen. Sie haben mich gebeten, über Sinn und Unsinn einer festen Fehmarnbelt-Querung zu sprechen. Ich muss Ihnen gleich zu Anfang gestehen, dass das Gewicht meiner Rede eher auf dem Unsinn liegen wird als auf der möglichen Sinnhaftigkeit. Denn beim besten Willen kann ich kaum etwas finden, dass für dieses Mega-Projekt spricht. Ganz im Gegenteil: es ist ohne Zweifel das unsinnigste Großprojekt, das derzeit in Europa geplant wird. Und diese Aussage gilt nicht nur umweltpolitisch. Sie gilt auch verkehrspolitisch und ökonomisch. Und sie gilt allemal in dem Jahr, in dem sich die Zeitenwende von 1989 zum 20. Mal jährt.

Die Querung des Fehmarnbelt zwischen Deutschland und Dänemark ist ein typisches Projekt des Kalten Krieges und war schon vor der Wende und der Aufnahme der neuen Mitgliedsstaaten in die EU geplant worden. Seit 1989 hat sich aber Europa gewaltig verändert und die Verkehrsströme nicht minder. Vom schwedischen Trelleborg gibt es heute täglich mehr als 10 Schiffsverbindungen nach Rostock und Sassnitz. Vom dänischen Gedser fahren moderne und schnelle Fährschiffe im Zwei-Stunden-Takt rund um die Uhr nach Rostock.  Zudem wurde mit der Öresundbrücke im Jahr 2000 eine feste Verbindung zwischen Deutschland, Dänemark und Schweden für Straße und Schiene dem Verkehr übergeben. Mit anderen Worten: Zentral-Europa ist mit dem Norden des Kontinents auf verschiedenen Wegen bereits bestens verbunden. Schon dass alleine sollte als Grund reichen, vom Milliarden-Projekt Abschied zu nehmen.

Die Fehmarnbelt-Brücke wäre aber leider nicht nur unnötig - sie könnte jenseits der Umweltschäden auch wirtschaftlich und verkehrspolitisch enormen Schaden anrichten. Sollte die knapp sechs Mrd. Euro teure Fehmarnbelt-Brücke realisiert werden, würden die mit Milliarden-Investitionen modernisierten Häfen in Mecklenburg-Vorpommern und Südschweden absterben.

Nicht nur Ostdeutschland, ganz Ost-Europa würde vom Nord-Süd-Verkehr der EU abgekoppelt. Auch ohne das gigantische Brückenbauwerk ist durch Fähren, die rund um die Uhr im Einsatz sind, eine fließende Brücke entstanden. Selbst wenn - und gegenwärtig spricht nichts dafür - parallel zur Straßenbrücke auch eine Bahnverbindung gebaut würde, könnte die propagierte Verlagerung auf die Schiene nicht stattfinden. Im Gegenteil: Wegen der unfairen Wettbewerbsbedingungen würde der LKW-Verkehr zwischen Skandinavien und Ost-Europa mit kilometerlangen Umwegen über Schleswig-Holstein gezogen. Das wäre auch ökologisch unsinnig, weil die Menschen in dieser Region in Lärm, Stau und Abgasen ersticken würden.

Auch für den Lübecker Hafen wäre eine feste Beltquerung Gift. Etwa 20 Prozent der südschwedischen Verkehre, die heute über Travemünde laufen, würden wegfallen. Die (Straßen)Brücke über den Fehmarnbelt würde dem LKW einen erheblichen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Vergleicht man die Transportleistungen der Ostsee-Häfen, so sind nach Angaben der Industrie und Handelskammer (IHK) Berlin die Passagierzahlen in Kiel seit 1990 um knapp eine halbe Million zurückgegangen. Dass sich die IHK zusammen mit den Grünen gegen ein großes Verkehrsprojekt ausspricht, ist nach meinem Wissen eine Premiere und die sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Auch in Puttgarden, Lübeck/Travemünde und Mukran/Sassnitz ist die Transportleistung zurückgegangen. In Szczecin und Swinoujscie sind sie aber leicht und in Rostock um fast das Dreißigfache angestiegen.

Im Güterverkehr haben alle gewonnen und transportieren heute etwa doppelt so viele LKW-Anhänger. Das gilt für Puttgarden und Lübeck/Travemünde. Nur in Mukran/Sassnitz sind sie zurückgegangen. In Szczecin und Swinoujscie ist der Güterverkehr jedoch fast um das Dreifache und in Rostock um mehr als das Hundertfache angestiegen.

Die einzige Hafenstadt, die beim Personen- und Güterverkehr außerordentlich bis zum jetzigen Abschwung boomte, ist also Rostock. Anstatt dort die Schienenanbindung des Hafens zu verbessern - der Engpass im Knoten wurde durch den Abbau der Gleise nach dem 2. Weltkrieg verursacht - und die Strecke nach Berlin zu ertüchtigen, wird an der Planung aus dem Kalten Krieg festgehalten, um für 6 Mrd. Euro eine Brücke für Straße und Schiene an der falschen Stelle bauen zu können.

Der deutsche Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee hat sich mit seinem dänischen Kollegen Flemming Hansen am 29. Juni 2007 - kurz vor Ablauf der Meldefrist für eine EU-Finanzierung - auf den Bau und die Finanzierung der Fehmarnbelt-Brücke geeinigt. Ende 2007 hat die EU-Kommission grünes Licht für ihren Finanzierungsanteil gegeben. Insgesamt wird Brüssel rund eine Milliarde Euro in das Projekt stecken - angesichts von nur insgesamt acht Milliarden Euro, die für die transeuropäischen Verkehrsprojekte in allen 27 Mitgliedsstaaten insgesamt bis 2013 zur Verfügung stehen, ist dies eine krasse Fehlentscheidung.

Aus gesamteuropäischer Verantwortung sagen wir: Auch in Europa muss zusammenwachsen, was zusammen gehört. Deshalb muss das knappe Geld dort ausgegeben werden, wo die Spaltung durch den ehemaligen Eisernen Vorhang schnellstmöglich überwunden wird und der umwelt- und verkehrspolitische Effekt am größten ist. Für die Transeuropäischen Netze, dem europäischen Verkehrswegeplan, sind im EU-Haushalt bis 2013 acht Milliarden Euro eingeplant. Die beschlossenen 30 Vorhaben sind jedoch leider eine reine Wunschliste nationaler Egoismen. Dort findet man Prestige-Projekte, die zwar viel Geld verschlingen, verkehrspolitisch aber von bescheidenem Nutzen sind. Parade-Beispiel hierfür ist die Fehmarnbelt-Brücke.

Letztendlich liegt die Kostenlast, sollte die Brücke gebaut werden, fast ganz allein auf dänischen und europäischen Schultern. Denn für die Bundesregierung ist der Bau der Fehmarnbeltbrücke - entgegen allen öffentlichen Beteuerungen - keine Priorität. Entsprechend gering fällt ihr Finanzierungsanteil aus, entsprechend wenig tut sie für die Hinterlandanbindung. Das Positionspapier für die konventionellen Güterverkehrsnetze, das zwischen der Bundesregierung, der DB AG und dem Eisenbahnbundesamt abgestimmt wurde, sieht die Führung des Skandinavienverkehrs über die Öresundbrücke vor, die über große Kapazitätsreserven verfügt. Dementsprechend soll auch die Strecke zwischen Hamburg und Flensburg schnellstmöglich modernisiert und ertüchtigt werden.

Eine Ausbauplanung für die Zubringerstrecke zur geplanten Fehmarnbeltbrücke ist demgegenüber in Deutschland nicht priorisiert und deshalb finanziell auch nicht hinterlegt. Gescheitert ist die DB AG angesichts dieser mangelnden Priorisierung auch mit ihrem Antrag, von der EU den eingleisigen Ausbau der Bahnanbindung fördern zu lassen. Denn Europa fördert nur leistungsstarke zweigleisige Verbindungen.

Aber selbst wenn die Schienenanbindung zweigleisig realisiert würde, wäre das Problem noch längst nicht gelöst. Denn die Knoten Hamburg, Bremen und Hannover sind schon heute die Sorgenkinder des Eisenbahn-Netzes. Anstatt die Nord-Süd-Verkehre zu dezentralisieren, sollen sie alle über Hamburg geleitet werden. Das Desaster von kilometerlangen Staus im Güterverkehr und ein Chaos im Personenverkehr rund um Hamburg wären vorprogrammiert.

Auch auf der Straße führt die vierspurig geplante Fehmarnbelt-Brücke geradeweg in ein unauflösliches Nadelöhr. Die bereits existierende Fehmarnsund-Brücke zwischen dem deutschen Festland und der Insel ist nur zweispurig ausgebaut.

Ein weiterer Ausbau ist aus Naturschutzgründen verboten und wird von der Landesregierung in Schleswig-Holstein ausdrücklich auch nicht angedacht. Die Kapazitäten, die milliardenschwer aufgebaut werden sollen, enden also wenige Kilometer später im Stau. Als hätten sie in der Schule nicht aufgepasst, wollen uns die Brückenfetischisten weismachen, dass es sich bei der Erkenntnis, dass eine Kette so stark ist, wie ihr schwächstes Glied, um einen gravierenden Irrtum handeln würde.

Auch ohne das gigantische Brückenbauwerk wächst die Region Schleswig-Holstein/Ostdänemark/Südschweden immer enger zusammen. Seit sechs Jahren fahren moderne Doppelendfähren auf der sogenannten "Vogelfluglinie" Puttgarden-Rødby rund um die Uhr, 96 mal (!) am Tag, das ganze Jahr. Die Überfahrt dauert nur 45 Minuten. Die Schiffe wurden mehrmals so umgebaut, dass sie zusätzlich PKW und LKW mitnehmen können. Die Wartezeiten wurden fast vollständig abgebaut, eine fließende Brücke ist entstanden. Die Fähren sind rund um die Uhr im Einsatz und sehr zuverlässig. Kein Wunder, dass schon heute viele Menschen aus Dänemark tagsüber Kiel, Lübeck oder Hamburg und umgekehrt besuchen.

Die Fähren könnten sogar noch etwas schneller sein, bleiben aber dennoch bei exakt 45 Minuten, um den LKW-Fahrern ihre gesetzlich verordnete Ruhezeit von genau derselben Länge zu ermöglichen. Für Spediteure ist es also keineswegs ein Zeitnachteil, zwischen Dänemark und Deutschland auf die Fähre angewiesen zu sein. Sie sind - ganz im Gegenteil - zu schwimmenden Rastplätzen im täglichen Geschäft geworden. Und die Rastplätze auf dem Schiff sind sicher - nicht so wie auf dem Land. In Deutschland fehlen 20.000 LKW-Parkplätze für die von der EU im Interesse der Straßensicherheit verbindlich vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten.

Schauen wir noch einmal auf das liebe Geld:

Viele dänische Abgeordnete im Europäischen Parlament sprechen angesichts der Finanzplanung von den "dummen Dänen", die fast alle Kosten übernehmen, während in Deutschland bis ins Bundesverkehrsministerium die Devise gilt: "Warum sollten wir die Fehmarnbelt-Brücke ablehnen, wenn wir sie quasi geschenkt bekommen."

Das Urteil über ihre Landsleute will ich meinen dänischen Kollegen überlassen. Doch die Freude über den "geschenkten Gaul" aus Kopenhagen, die meine Landsleute vor allem im Verkehrsministerium offenbar umtreibt, halte ich aus zwei Gründen für alles andere als klug: Erstens bleiben noch immer Lasten von rund einer Milliarde auf deutscher Seite, ergänzt durch den deutschen Anteil der EU-Milliarden. Zweitens steht auch die Regierung in Berlin im Weg, wenn es um eine zukunftsweisende und zielgenaue europäische Verkehrspolitik geht.

Wollte man von den 30 Projekten der Transeuropäischen Netze, dem europäischen Verkehrswegeplan, nur drei Projekte realisieren - den Brenner-Basistunnel zwischen Österreich und Italien, den Eisenbahn-Tunnel zwischen Frankreich und Italien und die Fehmarnbelt-Brücke zwischen Deutschland und Dänemark - wäre das Geld schon mehr als verbraucht, ohne dass auch nur ein einziger sinnvoller verkehrspolitischer Effekt erzielt worden wäre.

Fünf Jahre nach der Wiedervereinigung Europas und 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sind gerade die Eisenbahnverbindungen gen Osten noch immer in einem schlechten Zustand. Die Züge auf der Verbindung von Berlin nach Tallin z.B. brauchen heute noch immer länger als im letzten Jahrhundert.

Damals schaffte die Dampflokomotive die Strecke in 27 Stunden, heute ist man 35 Stunden unterwegs. Von der deutschen Hauptstadt nach Breslau dauerte es einst lediglich zweieinhalb Stunden, heute sind es sechs. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. Angesichts des stetig wachsenden Verkehrs zwischen alten und neuen EU-Mitgliedsstaaten ist diese Situation untragbar.

Aufgrund dieser Situation habe ich zum damaligen EU-Verkehrskommissar Barrot folgendes gesagt: "Wenn Sie nach 5-jähriger Amtszeit der europäischen Öffentlichkeit mitteilen können, dass Sie im 21. Jahrhundert im europäischen Eisenbahnverkehr das Tempo der Dampflokomotive erreicht hätten, wären Sie der größte Verkehrspolitiker aller Zeiten."

Nicht nur angesichts der knappen Mittel müssen alle Planungen deshalb unter zwei Gesichtspunkten überprüft werden: Welchen verkehrspolitischen Effekt haben sie, und wie wirken sie sich auf die Umwelt aus? Eine europäische Verkehrspolitik muss in erster Linie das Zusammenwachsen Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs befördern. Zudem muss aus ökologischen Gründen die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf Eisenbahn und Wasserstraße erreicht werden.

Europa braucht ein dichtes und zeitgemäßes Netz an Eisenbahnverbindungen, von Lissabon nach Tallin, von London nach Athen und von Paris nach Warschau. Soll die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene nicht nur der Sonntagsreden-Pflicht geschuldet sein, müssen statt der kostenträchtigen Prestigeprojekte im "alten Europa" die umweltfreundlichen "Verkehrsprojekte Europäische Einheit", die Eisenbahnverbindungen zwischen den alten und neuen Mitgliedsstaaten, die oberste Priorität in der EU bekommen.

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hat im Februar 2009 im Bundesrat auf die Wachstumspotentiale durch die Fehmarnbelt-Brücke hingewiesen. Er denkt dabei wohl an Wirtschaftswachstum - wachsen wird aber leider nur der Straßen-Verkehr - zum Schaden von Mensch und Natur und gegen jegliche Vernunft angesichts veränderter Verkehrsströme.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

auch wenn es so aussieht - die feste Brücke über den Fehmarnbelt ist noch längst nicht gebaut. Es gibt noch nicht einmal eine Linienbestimmung - geschweige denn eine Planfeststellung mit Baurecht.

Ich bin und bleibe optimistisch - andernfalls könnte man gar nicht in der Politik sein - und von diesem Optimismus möchte ich gerne auch Ihnen etwas abgeben.

Ich habe z.B. zehn Jahre lang gegen den Transrapid Berlin-Hamburg gefighted. Alles schien damals klar - die Finanzierung war gesichert und mit der gültigen Planfeststellung war auch das Baurecht vorhanden. Und dann wurden die Finanzen noch einmal überprüft - und der Transrapid schwebte nicht nach Hamburg sondern ins Museum für Verkehr und Technik. Und da gehört er auch hin.

Und das gilt auch für zwei weitere Projekte, die mittlerweile zur politischen Geschichts-Episode geworden sind: Den Stoiber-Transrapid in München musste das Nachfolge-Duo Huber/Beckstein unmittelbar nach Stoibers Abgang aufgeben. Und auch für dieses Projekt war angeblich die Finanzierung gesichert - bis die realen Kosten die Transrapid-Träume wie Seifenblasen zerplatzen ließen.

Und das dritte Beispiel: Die Brücke über die Straße von Messina, zwischen dem italienischen Festland und Sizilien. Die hatte Berlusconi schon vor mehr als zehn Jahren seinen Landsleuten versprochen. Und als die Italiener Berlusconi durch Prodi ersetzten, war die Brücke plötzlich wieder verschwunden. Heute, nach seinem erneuerten Mandat, schwärmt Berlusconi abermals von diesem Brückenbauwerk. Mit einem kleinen aber umso wichtigeren Unterschied: Er nennt kein Datum für den Baubeginn mehr und auch keins für die Fertigstellung - und einen Finanzierungsplan hat der Multimilliardär noch nie vorgelegt.

Warum sollten diese Erfahrungen bei der festen Fehmarnbeltbrücke keine Rolle spielen? Obwohl man den Verlauf der Brücke noch gar nicht kennt, man sich noch immer über Tunnel oder Brücke streitet und noch keine endgültige Lösung für die Sicherheit der Schiffe hat, soll die Kostenkalkulation, die schon vor Jahren vorgelegt wurde, stabil sein.

Das mag glauben, wer will - ich bin davon noch längst nicht überzeugt. Wir alle kämpfen gegen die feste Beltquerung, solange wir die Chance dazu haben. Wir denken dabei an die vielen schon "sicher" geglaubten Projekte und halten daran fest: Die Fehmarnbelt-Brücke muss daher ad acta gelegt werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!