In den 70er Jahren war ich ein begeisterter Autofahrer. Kein Ferienziel war weit genug: die Algarve in Portugal, die Highlands in Schottland, der Mittelmeerstrand auf Kreta.
Immer war mein Auto dabei, denn es war die billigste Möglichkeit für einen Studenten und Berufsanfänger wie mich, Urlaub zu machen.
Ich fuhr einen Peugeot 404 Kombi mit Dieselmotor. Der Sprit war konkurrenzlos billig - Anfang der 70er Jahre kostete der Liter nur 50 Pf - und da im Kombi auch zwei Personen schlafen konnten, war das Auto nicht nur das billigste Transportmittel, es war auch das preiswerteste Hotel.
Im Berliner Alltag stellte sich die Sache etwas anders dar. Ich wohnte damals im West-Berliner Zentrum, direkt hinter dem KaDeWe. Dort gab es kaum Parkplätze. Mein Arbeitsplatz, eine Schule, war etwa zehn Kilometer entfernt, direkt am U-Bahnhof Neukölln.
Mit der U-Bahn konnte ich ihn einer knappen halben Stunde erreichen. Mit dem Auto, so dachte ich mir, käme ich in einer Viertelstunde zum Ziel. Das funktionierte allenfalls dann, wenn ich Samstags die erste Stunde unterrichten musste, weil die Straßen wie leergefegt waren.
Normalerweise sah es anders aus: Nerviger stop-and-go-Verkehr, hektisches Fahren, um Verspätungen aufzuholen, die ewige Suche nach einem günstig gelegenen Parkplatz.
Glücklich war ich, wenn ich nach getaner Arbeit in der Nähe meiner Wohnung einen Parkplatz gefunden hatte, so glücklich, dass ich ihn ungern aufgab.
Weil ich viele Wege lieber zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegte, wurde ich mit meinem Auto immer immobiler.
Ich kaufte mir eine Monatskarte, die ich immer öfter benutzte. Manchmal ertappte ich mich dabei, dass ich wochenlang das Auto nicht benutzt hatte.
Wenig genutzte Autos, manche nennen sie "Stehzeuge", sind wegen der hohen Fixkosten am teuersten. Deshalb machte ich 1979 den großen Schnitt, verkaufte mein "Wohnmobil" und gehörte fortan zu den autofreien Haushalten, zu denen in Berlin die Hälfte aller Haushalte zählen.
Es dauerte etwa ein Jahr, um sich mit den Berliner Bussen und Bahnen richtig heimisch zu fühlen, zu wissen, welche Linien wohin fahren, wo das Umsteigen attraktiv oder umständlich ist, wo man besser in den ersten und wo in den letzten Wagen einsteigt.
Endlich blieb genügend Muße, um die Zeitung zu lesen. Auch der Kneipenaufenthalt wurde angenehmer: um das zweite oder dritte Bier brauchte ich mir keine Gedanken mehr zu machen, "mein" Fahrer in Bus und Bahn hatte keine Angst vor der Alkoholkontrolle der Polizei.
Da ich nun auch viel Geld sparte - der ADAC schätzt die Autokosten eines Mittelklassewagens derzeit auf etwa 500 Euro im Monat - wurde das Fahren mit Bus und Bahn sehr billig, selbst das Taxifahren war plötzlich kein Luxus mehr.
Als langjähriger Anti-AKW-Aktivist war es ein leichtes auch politisch die Energieverschwendung der autofixierten Verkehrspolitik ins Visier zu nehmen.
So verabschiedete die Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL) 1984 ihr Wahlprogramm mit der "konkreten Utopie der autofreien Stadt", das von der Springer-Presse damals als "Irrsinn des Jahrhunderts" gebrandmarkt wurde.
Diese Konzeption beschrieben wir damals folgendermaßen: "Wir verstehen darunter den Verzicht auf Auto und Motorrad im innerstädtischen Privatverkehr, also für den Weg zur Arbeit, zum Einkaufen, in die Erholungsgebiete usw. Der Lieferverkehr, die Notdienste, die Taxis und ähnliches sind nicht davon betroffen".
Nichts anderes steht übrigens im Senatsbeschluss vom 18.12.1991, in dem CDU und SPD das Verkehrskonzept für die Metropole Berlin festschreiben.
Es ist leicht nachvollziehbar, dass Auto fahren in der Großstadt nervt und stresst. Urlaubsgenuß ohne Auto aber können sich nur wenige vorstellen. Zu teuer ist die Bahn, zu unbequem der Transport des Gepäcks.
Autofreies Leben führt zu einer Veränderung der Urlaubsgewohnheiten. Mir fiel das nicht so schwer, weil ich schon als Autobesitzer das Bergwandern entdeckt hatte. Nun musste ich nicht mehr an den Ausgangspunkt zurückkehren, weil mein Auto dort stand, sondern konnte von A nach B wandern.
Die Unabhängigkeit vom Auto genoss ich besonders, als ich die Alpen von Nord nach Süd und die Pyrenäen von West nach Ost durchquerte. Auch bei meiner Paddeltour auf der Donau von Ingolstadt zum Schwarzen Meer wäre das Auto nur ein Klotz am Bein gewesen.
Wie viele andere Menschen auch, habe ich den Fahrradtourismus entdeckt. Die attraktiven Nebenstraßen in Frankreich, die legendäre Route von Passau nach Wien und die Velorouten der Schweiz bieten Beachtliches.
Leider ist die Infrastruktur für den Fahrradtourismus in Deutschland noch nicht so weit entwickelt wie in Österreich und der Schweiz. Diese traditionellen Urlaubsländer haben längst auch das Radwandern als Wirtschaftsfaktor entdeckt und wissen, dass die Touristen mit dem Fahrrad mehr Geld ausgeben als die mit dem Auto.
Ärgerlich ist für den Radwanderer aber immer noch der ungenügende Service der Bahn. Während man sein Fahrrad zu jedem Flughafen der Welt mitnehmen kann, ist das im Luxuszug der DB AG, dem ICE, noch immer unmöglich.
So werden Fahrradtouristen bei der Anreise zum Startpunkt zum häufigen Umsteigen in Regionalzüge genötigt. Am Wochenende ist es wegen des "Schöner-Wochenende-Tickets" völlig ungewiß, ob in den überfüllten Zügen Platz für die Fahrräder ist.
Eine Reservierung ist in Regionalzügen nicht möglich. Im winterlichen Skiurlaub existiert im ICE dasselbe Problem. Den Familienurlaub per Bahn mit eigener Skiausrüstung wagen nur wenige. Da die Gepäckabteile im ICE abgeschafft wurden, ist es komfortabler, sich die Skiausrüstung am Ferienort auszuleihen oder für die Urlaubsreise ein Auto zu mieten.
Im Verhältnis zu meiner Zeit als Autobesitzer hat sich natürlich in den vergangenen zwanzig Jahren viel verändert. Die dreitägige Autofahrt nach Kreta, insbesondere die 1200 Kilometer "Autoput" durch Jugoslawien, war damals für mich eine Lust, heute eine Horrorvorstellung.
Da sind Flugzeug und Mietwagen nicht nur die schnellere und angenehmere, sondern auch billigere Alternative.
Zehn Jahre nach meinem Autoverkauf wurde ich 1989 in das Abgeordnetenhaus von Berlin gewählt und bin seitdem verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion.
Zu meinen Terminen komme ich mit Bus, Bahn, Taxi und Fahrrad. Bei den kürzeren Distanzen ist das Fahrrad unschlagbar. Bei längeren Fahrten bin ich per bike&ride meist schneller als mit dem Auto.
Ist das Auto z.B. wegen schlechter Verkehrsanbindung und ungünstiger Witterung attraktiver, nehme ich ein Taxi.
Meine täglichen Fahrradtouren ersparen mir den Aufenthalt im Fitnessstudio. Ich bevorzuge aber die öffentlichen Verkehrsmittel, wenn ich während der Fahrt unbedingt noch etwas lesen muss.
Ein Problem für den Fahrgast öffentlicher Verkehrsmittel ist das eingeschränkte Angebot in der Nacht. Jeder Autofahrer fände es zu Recht absurd, wenn er zum Beispiel zwischen 1.00 und 4.00 Uhr nachts die Straßen nicht benutzen dürfte.
In den meisten Städten ist das Angebot für öffentliche Nahverkehrsmittel in den Abendstunden stark ausgedünnt und in den Nachtstunden eingestellt. Selbst in Berlin, wo es keine Polizeistunde gibt, ist das der Fall.
Zwar gibt es ein Nachtbusnetz, doch lautet in der Kneipe nach dem Konzert- oder Theaterbesuch noch immer die bange Frage: "Wann fährt die letzte U-Bahn?" weil nur Eingeweihte wissen, wo und wann die Nachtbusse fahren.
Das Nachtbussystem ist auch touristenfeindlich, weil Kurzbesucher in Berlin gleich zwei Systeme lernen müssten: eins für den Tag und eins für die Nacht.
Die Vision von städtischer Mobilität ist in New York schon verwirklicht. Dort fahren die U-Bahnen 24 Stunden lang an sieben Tagen pro Woche. Die Privatautos sind in Manhattan fast verschwunden, die dort fahrenden Autos sind fast alle gelb lackiert, die Farbe der Taxis.
Für meine Heimatstadt Berlin wünsche ich mir den 24-Stunden-Betrieb von S-, U- und Straßenbahn mit einer attraktiven Kombination des Taxiverkehrs.
Im Vergleich zu anderen Regionen hat Berlin ein breit gefächertes Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln, von dem die Menschen in mittleren und kleineren Städten nur träumen. Aber auch sie leiden unter den negativen Auswirkungen des motorisierten Individualverkehrs wie Lärm, Schadstoffausstoß, Flächenverbrauch, Staus und Unfällen. Deshalb brauchen auch diese Regionen ein gutes Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln, um das Auto stehen lassen zu können.
Eine Abkehr von der Fixierung auf das Auto ist notwendig, um in Zukunft Mobilität zu sichern und Lebensqualität zu verbessern.