Ob die chronique scandaleuse des Berliner Landesamt für Verfassungschutz mit der heutigen Verabschiedung des Reform-Gesetzes ein Ende findet, kann man nur hoffen. Fest steht jedenfalls: Es kann nur besser werden, weil man tiefer im Niveau schlecht sinken kann.
Denn die gezielte und fehlerhafte Indiskretion ungeliebter Mitarbeiter, das gegenseitige Mobbing, die Verwicklung selbst in politische Morde wie beim Schmücker-Skandal, der weit verbreitete Dilettantismus und das permanente Vertuschen und Verdunkeln sind nur reizenden Stichworte vielmehr die stechenden Reizworte. Und die Bespitzelung der Opposition - nicht in Ost-Berlin unter Erich Honecker sondern in West-Berlin unter Eberhard Diepgen waren die Leitkultur der täglichen Praxis.
Kein Wunder, dass sich dieses Skandal-Amt über die Stadtgrenzen hinaus einen zweifelhaften Namen gemacht hat, kein Wunder, dass wir seit Jahren dessen Auflösung forderten und es ist auch kein Wunder - und das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen - dass Innensenator Werthebach, einst oberster Schlapphut der Republik, die Forderung der grünen übernimmt und das Landesamt für Verfassungsschutz auflöst. Herr Senator Werthebach: Herzlichen Dank, den ich auch im Namen von Frau Künast hier ausrichten darf!
Und wenn es noch eines Beweises bedurft hätte für die Richtigkeit unserer Forderung, so steht sie im Begründungstext:
"Das Landesamt für Verfassungsschutz Berlin ist seit Jahren in negativen Schlagzeilen." Es sei unabdingbar, den Verfassungsschutz neu auszurichten.
Und an diesem tag, an diesem Ort und zu diesem Anlass sei mir ein Zitat von Ovid gestattet
"Nicht durch die Kraft höhlet der Tropfen den Stein, sondern durch häufiges Fallen." (Ovid)
Auf unseren Druck und durch die positive Rolle des Datenschutzbeauftragten konnte beim Vorliegenden Reformgesetz Schlimmeres verhindert werden. Die Große Koalition musste den Gesetzentwurf in wesentlichen Bereichen nachbessern. Nicht durchgesetzt haben wir uns - neben der generellen Auflösung von Verfassungsschutzbehörden - mit einer Vorab-Information zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Erreicht wurde aber, dass zukünftig "die näheren Voraussetzungen" für deren Anwendung in einer Verwaltungsvorschrift geregelt werden und diese dem Ausschuss vorab zur Kenntnis gegeben wird.
Darüber hinaus muss der Ausschuss regelmäßig über die Durchführung von Abhörmaßnahmen, Postkontrollen und Lauschangriffen unterrichtet werden. Gegen Ihren Willen, Herr Senator Werthebach, muss dem Ausschuss mitgeteilt werden, in welchen Beobachtungsfeldern solche Maßnahmen ergriffen wurden, aus welchen Gründen dies geschah und zu welchem Ergebnis die Einschränkung von verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechten geführt hat.
Erstmals werden damit Maßnahmen des Verfassungsschutzes einem Controlling unterzogen. Denn bisher wurde dem Verfassungsschutzausschuss nur die Anzahl der jeweiligen Maßnahmen mitgeteilt ohne Angaben darüber, ob sie den Linksextremismus, den Rechtsextremismus, den Ausländerextremismus oder die Spionageabwehr betraf. Das war keine politische Kontrolle, sondern eine Alibi-Maßnahme. Deshalb befürworten wir diese Bewegung in die richtige Richtung!
Die im Gesetzentwurf vorgesehene Vertrauensperson lehnen wir nicht grundsätzlich ab. Wir bleiben aber bei unserer Ansicht, dass diese Aufgabe keine Person aus dem Geheimdienst-Apparat übernehmen sollte. Wir wollen stattdessen eine unabhängige Persönlichkeit, die gewohnt ist, die Arbeit von Behörden für die Öffentlichkeit transparent zu machen. Dafür ist keine neue Institution notwendig, sondern die beim Datenschutzbeauftragten vorhandene Infrastruktur wollen wir nutzen. So wird das z.B. in Niedersachsen praktiziert.
Leider konnte hier auch die beste Männerfreundschaft zwischen Gerhard Schröder und Klaus-Uwe Benneter das Herz der CDU nicht erweichen. Dabei wissen wir doch: Der Datenschutzbeauftragte ist bereits mit der Verfassungsschutz-Materie vertraut, da er bei abgelehnten Akteneinsichtsanträgen von Einzelpersonen angerufen werden kann. Ursprünglich wollte das ja auch die SPD, sie ist aber - wie so oft - aus Koalitionsraison eingeknickt.
Der als Vertrauensperson angekündigte ehemalige Verfassungsschutz-Chef aus NRW, Fritz-Achim Baumann, wird von uns kritisch und misstrauisch beobachtet werden. Denn auch in NRW gab es unter seiner Verantwortung Skandale, in denen er nicht gerade als ein Verfechter von Transparenz und Aufklärung agierte. Erinnert sei nur an den ehemaligen rechtsextremistischen V-Mann in NRW, Bernd Schmitt, der eine Kampfsportschule betrieb, in dem rechtsradikale Skinheads ausgebildet wurden. Darunter befanden sich die späteren Attentäter von Solingen, die einen mörderischen Anschlag auf das Haus der türkischen Familie Genc verübt hatten. Dabei gab es nicht nur zahlreiche Schwerverletzte - drei Kinder und zwei Erwachsene wurden getötet.
Die FAZ vom 10. Juni 1994 wunderte sich über Baumann, weil er den rechtsradikalen V-Mann Schmitt selbst dann noch verteidigte, - "das war szenetypisches Verhalten" - als die Staatsanwaltschaft gegen ihn schon wurden wegen Unterstützung einer verbotenen rechtsextremistischen Organisation ermittelte.
Meine Damen und Herren, Herr Garstka führt sein Amt seit Jahren tadellos. Deshalb halten wir den Berliner Datenschutzbeauftragten für die bessere Lösung!
Anders als im Untersuchungsausschuss-Gesetz - und entgegen unseren Vorstellungen - kann der Ausschuss diese Vertrauensperson nur mit Mehrheit beauftragen. Das bedeutet in der Praxis: die Regierungsparteien bestimmen, wann und zu welchen Themen Untersuchungen durchgeführt werden. Dies ist der grundlegende Geburtsfehler dieser Kontrollinstanz, denn Minderheitenrechte können so nicht gewahrt werden. Sie, meine Damen und Herren von CDU und SPD können im Verein mit dem Innensenator noch so oft beschwören, dass Vertrauen und Transparenz praktiziert werden soll. Diese Konstruktion beschwört exakt das Gegenteil!
Auch das Vorgehen für die zu besetzenden Stellen, lässt uns an Transparenz und Seriosität zweifeln. Bereits im Juni wurden die Stellen ausgeschrieben mit dem Zusatz "vorbehaltlich des Inkrafttretens der gesetzlichen Grundlagen". Zu diesem Zeitpunkt lag dem Ausschuss für Verfassungsschutz aber noch nicht einmal der Entwurf des Gesetzes vor.
Man kann sicherlich davon ausgehen, dass zu diesem Zeitpunkt bereits die Struktur der zukünftigen Abteilung Verfassungsschutz absehbar war, nur der zuständige Ausschuss wurde nicht informiert.
"Neues Klima" beim Verfassungsschutz bedeutet für uns vor allem rechtzeitige und umfassende Information. Als Resümee bleibt uns nur der Blick in Goethes Faust: "Die Botschaft hör‘ ich wohl - allein mir fehlt der Glaube." Erst recht bei diesem Senat.
Michael Cramer, 16.11.2000