Scharfe Kritik an Juncker wegen Maut-Einigung

06. Dezember 2016 zur Übersicht

Artikel erschienen in "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 6.12.2016

Ausschussvorsitzender: Vor vollendete Tatsachen gestellt

Die überraschende Entscheidung der EU-Kommission, Deutschland wegen der umstrittenen Maut für Personenwagen nicht vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen, sorgt weiter für Aufruhr. Vor einer Befragung von EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc im Verkehrsausschuss des Europaparlaments erhob der Ausschussvorsitzende Michael Cramer am Montag schwere Vorwürfe gegen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. "Das hat er selbst inszeniert und an der zuständigen Verkehrskommissarin vorbei durchgezogen. Bulc wurde vor vollendete Tatsachen gestellt und konnte nur gute Miene zum bösen Spiel machen", sagte der Grünen-Politiker dieser Zeitung. Er bekräftige die Einschätzung, dass die Regelung gegen EU-Vertragsrecht verstoße, das "jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit" untersagt.

Die EU-Vertragshüter halten die jetzt in Aussicht gestellte Regelung für konform mit EU-Recht, da sie nicht mehr für alle deutschen Autofahrer eine vollständige Verrechnung der Mautgebühren mit der Kraftfahrzeugsteuer vorsehe. Diese Argumentation lässt Cramer nicht gelten, da unter dem Strich nur Ausländer für die Maut aufkämen. Eine Regelung, wonach allein deutschen Haltern schadstoffärmerer Fahrzeuge jetzt zusätzliche Anreize winkten, könne nur eines sein: eine noch größere Schlechterstellung von Ausländern. Mehrere EU-Staaten erwägen eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. "Wir prüfen in Abstimmung mit Österreich mögliche - rechtliche - Schritte", hieß es am Montag im niederländischen Verkehrsministerium.

Für Erstaunen sorgte ein Bericht der Zeitschrift "Spiegel", die Juncker mit den Anfang September gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel geäußerten Worten "Willst du die Maut?" zitiert. So dürfen Kommissare gemäß Artikel 17 des EU-Vertrags "Weisungen" für Kommissionsmitglieder von einer Regierung "weder einholen noch entgegennehmen". Ein auf die Äußerungen Junckers angesprochener Kommissionssprecher lehnte eine Kommentierung ab. "Die Kommission ist die Hüterin der Verträge und darf sie nicht auf Schleichwegen umgehen", sagte Cramer.