Schädliche Steuergeschenke

25. Juli 2016 zur Übersicht

Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung vom 25.7.2016

Glaubt man den Prognosen der Airlines, wird der weltweite Luftverkehr massiv wachsen. Ohne Gegenmaßnahmen - so die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) - werden die CO2-Emissionen bis 2050 gegenüber dem Niveau von 2006 um fast 300 Prozent wachsen.

Für die europäischen Klimaziele ist das verheerend. Die EU hat sich verpflichtet, ihre CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 um 40 Prozent zu senken. Das kann nicht gelingen, wenn der Flugverkehr unkontrolliert wächst und so die Klimaschutzbemühungen anderer Sektoren zunichtemacht. Der Verkehr ist für ein Viertel der CO2-Emissionen verantwortlich und der einzige Sektor, in dem sie gestiegen sind. Seit 1990 wurden sie in der Wirtschaft um 38?Prozent und in den Haushalten um 24?Prozent gesenkt. Im Verkehr haben sie im selben Zeitraum um 22 Prozent zugelegt.

Natürlich ist der Luftverkehr nicht alleine für diese negative Entwicklung verantwortlich. Doch auch, wenn er derzeit nur 12?Prozent der Treibhausgase im Verkehr ausstößt, wachsen diese so schnell wie in keinem anderen Sektor. Hinzu kommt: In der Stratosphäre sind die Emissionen drei- bis viermal klimaschädlicher als am Boden.

Die Frage nach dem Sinn unbegrenzt steigender Flugzahlen und der damit bedingten Emissionen wird von der Luftfahrtbranche nur halbherzig aufgeworfen. Sie verweist stattdessen auf die starke Nachfrage und das freie Spiel des Marktes. Die Wahrheit ist: Im Luftverkehr sind grundlegende Regeln der Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt. Die Folge ist ein künstlich befeuerter Markt.

Selbstverständlich ist die globale Mobilität ohne das Flugzeug nicht denkbar. Die Beförderung auf langen Distanzen ist oft nur per Flugzeug sinnvoll. Entlegene Regionen oder Inseln dürfen auch nicht abgekoppelt werden - selbst wenn sich das ökonomisch nicht rechnet. Aber wegen dieser Einzelfälle eine ganze Branche milliardenschwer zu subventionieren, ist der falsche Weg.Die Airlines bekommen in der EU nämlich von den Steuerzahlenden jedes Jahr 30 Milliarden Euro quasi „geschenkt“, weil sie - im Gegensatz zur Bahn, deren Kunden das alles bezahlen müssen - von der Kerosin- und auf internationalen Relationen auch von der Mehrwertsteuer befreit sind. Von diesen 30 Milliarden zahlen die Deutschen 11 Milliarden. Dadurch können die Airlines Strecken anbieten, die sich ökonomisch nicht rechnen und Wettbewerber wie die Bahn ausstechen.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und die SPD versuchen dennoch unermüdlich, die 2010 von der schwarz-gelben Koalition eingeführte Luftverkehrsabgabe zu streichen. Dadurch wird der Subventionsregen nur um eine Milliarde pro Jahr gekürzt. Dass auch die Bahn von der Mehrwertsteuer befreit werden soll, habe ich von der „sozial“-demokratischen SPD hingegen noch nie gehört. Denn dieser Betrag ist mit 19 Prozent in der EU der höchste und wird auch nur von sechs Mitgliedstaaten erhoben. Alle anderen EU-Länder verzichten darauf und unterstützen so den grenzüberschreitenden und umweltfreundlichen Schienenverkehr in Europa.

Obwohl milliardenschwer subventioniert, machen von 23 internationalen Flughäfen in Deutschland nicht weniger als 17?(!) Verluste. Die aktuellen Geschehnisse um den Flughafen Hahn zeigen die mangelnden finanziellen Perspektiven erneut eindrucksvoll auf.

Fehlentwicklungen zeigen sich auch in anderen EU-Staaten. In Rumänien zum Beispiel gibt es für neun Millionen Passagiere ganze 17 Flughäfen, von denen lediglich drei rentabel sind. Im Umkreis von 150?Kilometer vom Flughafen in Cluj, der mit der Schiene erreichbar ist, gibt es weitere vier Flughäfen, die 2015 nur 55?000 Passagiere abgefertigt hatten. Vor diesem Hintergrund forderte der dortige Flughafenchef, diese Städte besser untereinander und mit dem Flughafen Cluj auf der Schiene zu verbinden. Das wäre für alle Beteiligten rentabler und ökologischer.

Obwohl in der EU die Nutzer für die verursachten Kosten aufkommen sollen, subventionieren die wenig fliegenden Steuerzahler die Manager und Vielflieger. Das ist nicht nur unökologisch, das ist auch unsozial! Wie man es besser macht, zeigt uns Kanada. Dort ist kein einziger Airport defizitär, weil die höheren Flughafengebühren die wahren Kosten widerspiegeln.

Von einer solchen Sonderbehandlung wie im Luftverkehr können die Kunden der Eisenbahn nur träumen. Der Fernverkehr der Deutschen Bahnmuss sich eigenwirtschaftlich tragen und dabei nicht nur Mehrwert- und Energiesteuer aufbringen, sondern auch happige Gebühren für die Nutzung von Schienen und Bahnhöfen entrichten. Wenn ein Berliner Student nach Paris fahren möchte, wird er eher den Flieger nehmen, weil die Zugverbindung im Schnitt 100 Euro teurer ist.

Viele Bahnverbindungen bleiben so auf der Strecke: So ist die diesjährige europäische Kulturhauptstadt Breslau per Bahn kaum noch erreichbar. Verantwortlich dafür ist vor allem eine Elektrifizierungslücke, die für lediglich 100 Millionen Euro geschlossen werden könnte und die Fahrzeit um zwei Stunden verkürzen würde. Bekämen die Eisenbahnen in Europa jedes Jahr 30 Milliarden Euro geschenkt und wären die Stations- und Trassenpreise deutlich niedriger, hätten wir in der EU ein lückenloses Eisenbahnnetz mit guten Taktzeiten sowie günstigen Preisen. Die Fahrgastzahlen könnten schnell verdoppelt werden. Die Lärm- und Schadstoffemissionen des Luftverkehrs würden drastisch sinken.

In Bozen hat die Bevölkerung mit 70 Prozent gegen den Subventionswahn eines Flughafens gestimmt. Die örtliche Regierung hat daraufhin dem Flughafen die finanzielle Unterstützung entzogen. In Coburg ist das ein Traum. Dort soll mit hohen Subventionen der bayerischen Landesregierung und der Stadt ein neuer Flughafen für Privatflieger gebaut werden, obwohl sich auch dort die Bevölkerung dagegen ausgesprochen hatte. Aber für den Lückenschluss an der bayerisch-tschechischen Grenze zwischen Waldkirchen und Nové Údoli gibt es seit 25 Jahren kein Geld. Obwohl so die Direktverbindung zwischen Passau und Prag wiederhergestellt werden könnte, fehlt der politische Wille.


Das alles zeigt: Der Boom des Luftverkehrs beruht keinesfalls auf den Gesetzen des Marktes. Mit Steuergeldern werden hier die Klimaprobleme befeuert. Natürlich brauchen wir auch bessere Flugzeuge, Kraftstoffe und Flugverfahren. Entscheidender ist aber, dass die umweltfreundlichen Verkehrsmittel nicht künstlich benachteiligt werden. Nur dann können wir Mobilität sichern und das Klima schützen, damit auch unsere Kinder eine Zukunft auf diesem Planeten haben.