Rede von Michael Cramer auf dem Europäischen Tourismusforum in Luxemburg am 17.09.2015

17. September 2015 zur Übersicht

Für die Einladung, als Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und Tourismus im Europäischen Parlament zu Ihnen sprechen zu dürfen, möchte ich mich recht herzlich bedanken. Der Tourismus hat im EP nämlich eine große Bedeutung: Nicht nur der Name des Ausschusses weist darauf hin. Auch die „Task Force Tourism“ und die „Intergroup Tourism“ unterstreichen das.

Verkehr und Tourismus stehen in engem Zusammenhang, wobei für mich der nachhaltige Tourismus sehr wichtig ist. Denn wir wissen, dass Tourismus den Tourismus auch zerstören kann. Deshalb muss er nachhaltig sein.

Naturerbe und Biodiversität müssen wir als Kapital und nicht als störend für den Tourismus begreifen. Empfindliche Regionen wie Inseln, Küsten und Berge sind oft stark vom Tourismus abhängig, sie sind aber auch die ersten, die von Klimawandel und Umweltschäden betroffen sind. Daher müssen Klima- und Umweltschutz eine stärkere Rolle im Tourismus spielen!

Der Verkehr ist nämlich in der EU für ein Viertel der CO2-Emissionen verantwortlich. Das ist schon schlimm. Noch schlimmer ist aber die Entwicklung seit 1990. In der Industrie ist es gelungen, den CO2-Anteil um 32% zu senken, im Verkehr ist er im selben Zeitraum um 28% gestiegen. Der Verkehr frisst also all das doppelt und dreifach auf, was in anderen Sektoren mit Milliarden unserer Steuergelder erreicht wurde. Deshalb werden wir ohne eine Veränderung der Mobilität den Klimawandel nicht stoppen können. Das müssen wir aber, damit unsere Kinder und deren Kinder eine Perspektive haben, auf diesem Planeten zu leben. Ich bin überzeugt, dass wir beides können: die Mobilität sichern und den Klimawandel stoppen!

Die Vielfalt in der EU ist ein Reichtum, deshalb müssen wir sie bewahren! Der Kulturtourismus kann unsere Vielfalt erlebbar machen und das Bewusstsein für unsere Geschichte wach halten.

Historische Ereignisse können auch kulturell aufgewertet werden und internationale Bedeutung bekommen. Der 300. Geburtstag von Friedrich dem Großen war 2012 für die Potsdamer Kulturlandschaft ein besonderer kulturhistorischer Höhepunkt. Aber auch der Fall des Eisernen Vorhangs vor 25 Jahren hat europaweit kulturpolitische Aufmerksamkeit bekommen.

Attraktiv für den Tourismus ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Die EU-Donaustrategie und die für den Ostseeraum sind hervorragende Beispiele für ein koordiniertes Vorgehen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit einer ganzen Region. Dabei ist die Stärkung einer gemeinsamen Identität besonders zu begrüßen.

Auf diese beiden Beispiele möchte ich näher eingehen und sie mit dem Fahrradtourismus verbinden, der in Europa seit mehr als zwei Jahrzehnten mit einer jährlichen Steigerung von mehr als 20%. wächst.

Hier in Luxemburg gibt es nicht nur den Mosel-Radweg, auch in die Infrastruktur der Stadt wird investiert. Und der Hinweis, dass das Radeln in Luxemburg wegen der vielen Berge und Täler nicht so angenehm ist, gilt nicht mehr seit den E-Bikes. Weltweit ist ein Boom der Pedelecs zu beobachten – ohne einen einzigen EuroCent Subvention durch den Staat!

Das E-Bike macht es auch den Partnerinnen leicht, beim Tempo mit den Männern mitzuhalten, wenn diese noch keins haben. Aber eine Herausforderung ist es schon, wenn bergauf die Frauen plötzlich schneller sind und sie die Männer locker überholen.

Radtouristen - das belegen viele Untersuchungen - geben im Urlaub täglich mehr Geld aus als die Autotouristen. Eine Untersuchung des EP hat herausgefunden, dass ein Radtourist 35 € pro Tag ausgibt, ein Autotourist lediglich 10 €. Die Radler sind nämlich keinesfalls arme Leute. Ich kenne viele, die ihren Mercedes im Sommer in der Garage lassen und mit dem Rad ihren Urlaub verbringen. Und wer den ganzen Tag mit eigener Kraft geradelt ist, für den ist der Preis für die Übernachtung und das Essen nicht so wichtig.

Und wenn ich an die Ostsee denke: Die Badesaison dauert vielleicht zwei oder drei Monate, die Radelsaison dagegen ist drei bis viermal so lang. In Finnland, Schweden, der Schweiz und in Österreich werden die Skilanglauf-Loipen nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer als Radrouten genutzt. Die vorhandene Infrastruktur muss nicht mehr monatelang geschlossen werden.

Investitionen in die Fahrradinfrastruktur sind nicht sehr kostenintensiv, der finanzielle Benefit ist aber umso größer. Deshalb ist der Radtourismus nicht nur ein ökologisches sondern auch ein ökonomisches Erfolgsmodell!

Die Donaustrategie beweist das ganz praktisch. 2008 waren in Serbien auf dem Donau-Radweg, das ist die EuroVeloRoute 6, insgesamt 500 Radtouristen unterwegs. Um das zu ändern, schilderte Serbien den Donau-Radweg aus, was mit Hilfe der „Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) auch gelang. Nach nur vier Jahren wurden 2012 am serbischen Donau-Ufer statt 500 nunmehr 13.000 (!) Radler gezählt.

In der EU haben wir 14 EuroVeloRouten, die auf einer Länge von 80.000 Kilometern durch alle Mitgliedstaaten verlaufen. Und der „Europa-Radweg Eiserner Vorhang“ gehört als EuroVeloRoute 13 sowohl zur Donau-Strategie als auch zur Ostsee-Strategie. Er verläuft entlang der Westgrenze der ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten von der Barentssee an der norwegisch-russischen Grenze bis zum Schwarzen Meer an der türkisch-bulgarischen Grenze.

Auf einer Länge von 10.000 Kilometern tangiert er 20 Länder, von denen heute 15 Mitgliedstaaten der EU sind. Wenn ich das vor 30 Jahren gesagt hätte, man hätte mich für verrückt erklärt. Aber das ist unsere Realität, das haben wir erlebt. Er führt auch durch viele entlegene Gegenden, die als damalige „Zonenrandgebiete“ unter der Spaltung Europas sehr gelitten haben. Und heute sind sie attraktiv gerade wegen dieser Geschichte.

In diesem Jahr 2015 erinnern wir uns an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren und an den Fall des Eisernen Vorhangs in Europa. Und beide Daten gehören zusammen. Ohne den Zweiten Weltkrieg hätte es nicht die Spaltung und die Wiedervereinigung Europas gegeben.

Das Projekt „Iron Curtain Trail“, das mit großer Mehrheit aus allen Ländern und allen Fraktionen im Europäischen Parlament beschlossen wurde, verbindet diese Historie. Deshalb ist es nur konsequent, dass Ausschilderung und fahrradfreundlicher Ausbau vom „Europa-Radweg Eiserner Vorhang“ von der EU-Kommission rund um den südlichen Abschnitt mit 1,4 Millionen Euro gefördert wird.

Aber wie gesagt, nachhaltiger Tourismus ist auch ökonomisch interessant. In der EU arbeiten etwa 12 Millionen Menschen im Tourismussektor, der mehr als 12% des Bruttoinlandsproduktes der EU erwirtschaftet. Bis auf wenige Ausnahmen ist die Tourismusbranche ein mittelständiger Wirtschaftszweig, der Arbeitsplätze und Einkommen vor Ort schafft. Deshalb ist der Tourismus ein wichtiges Standbein der örtlichen und regionalen Wirtschaft. Investitionen in die touristische Infrastruktur erhöhen deshalb vor allem die Lebensqualität der einheimischen Bevölkerung.

Und nicht nur die Lebensqualität – auch die Gesundheit. Nicht-Radler sind nämlich dreimal so oft krank wie Radler und Radler haben eine um fünf Jahre längere Lebenserwartung als Nicht-Radler. Das Fahrrad ist als nicht nur aus ökologischen sondern auch aus gesundheitlichen Gründen attraktiv!

Und auch ökonomisch ist das Radeln interessant: In der EU arbeiten in der Fahrradindustrie 700.000 Menschen, das sind mehr als im Bergbau oder in der Stahlindustrie. Im Jahr 2020 werden es eine Million Arbeitsplätze sein. Der jährliche Umsatz des Fahrradtourismus liegt bei 44 Milliarden € und ist damit genauso hoch wie der Umsatz der Kreuzfahrtschifffahrt. Die Kreuzfahrtschiffe stoßen aber pro Tag 1 75kg CO2 aus. Und es gibt einen weiteren Unterschied: Wenn die Kreuzschifffahrt eine Milliarde für die Erweiterung eines Hafen braucht, bekommt sie es meistens problemlos. Aber wenn 10 Millionen für die Verbesserung oder die Ausschilderung von Radrouten benötigt werden, ist das meistens ein großes Problem!

Wichtig ist auch die Fahrradmitnahme in allen Zügen, auch in den Hochgeschwindigkeitszügen. Das hat das EP zwar mit großer Mehrheit schon 2008 beschlossen – aber die Eisenbahnunternehmen wollen das nicht. Sie negieren einfach einen Kundenstamm, der seit zwei Jahrzehnten boomt. Die Urlaubsländer sind einfach clever. In der Schweiz ist das längst Realität und die Österreichische Bundesbahn, die ÖBB, hat damit begonnen, die Railjets nachzurüsten, sodass man in Österreich Ende des nächsten Jahres das Rad in allen Zügen mitnehmen kann.

Der Radtourismus hat also ökologische, gesundheitliche und ökonomische Vorteile. Mit dem Rad ist man schnell genug, um viel zu sehen und langsam genug, um sich das anzuschauen. Zudem kann man Geschichte, Politik, Natur und Kultur  im wahrsten Sinne des Wortes erfahren.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.