Michael Cramer über Mobilität und Klimawandel

01. Oktober 2014 zur Übersicht

Artikel von Marion Busch und Eric Janacek, erschienen in umwelt aktuell am 1. Oktober 2014

umwelt aktuell: Herr Cramer, Sie selbst sind seit 35 Jahren ohne Auto mobil – für eine wirkliche Verkehrswende reicht das leider nicht. Was muss sich in der europäischen Verkehrspolitik in der nächsten Legislaturperiode ändern?
Mit ohne Auto mobil, das stimmt. Aber ich bin kein Exot, denn jeder zweite Haushalt in Berlin hat kein Auto und hier kann man zeigen, dass es auch ohne Auto geht. Mobilität ist ein Wesensmerkmal unserer Gesellschaft. Wer nicht mobil ist, ist ausgeschlossen – das darf nicht sein. Leider können sich viele ein Auto und auch den öffentlichen Verkehr nicht mehr leisten. Beim öffentlichen Verkehr heißt es immer: Das muss sich rechnen, bei den Straßen geht es nicht darum. Wir brauchen in Europa einen fairen Wettbewerb. Das ist die Hauptaufgabe, sonst werden wir das Problem nicht lösen. Unsere Kinder und deren Kinder haben dann auch keine Perspektive, auf diesem Planeten zu leben. Ohne eine Veränderung der Mobilität werden wir den Klimawandel nicht stoppen.
Warum?
Knapp 25 Prozent der CO2-Emissionen in Europa werden durch den Verkehr verursacht, davon 72 Prozent auf der Straße. Noch schlimmer ist, was sich seit 1990 verändert hat: Da haben wir in der Industrie eine Senkung der CO2-Emissionen um 32 Prozent, in den Haushalten um 24 Prozent, im Energiesektor um 16 Prozent. Im selben Zeitraum sind sie im Verkehr um 28 Prozent gestiegen. Das heißt, der Verkehr frisst all das doppelt und dreifach auf, was mit Milliarden unserer Steuergelder in den anderen Sektoren erreicht wurde. Deshalb brauchen wir zumindest einen fairen Wettbewerb unter den Verkehrsträgern.
Wie sieht der aus?
Wenn ich den umweltfreundlichen Verkehrsträger Schiene mit der Straße vergleiche, stelle ich fest: Es gibt in Europa eine Schienenmaut, die gilt für jede Lokomotive auf jedem Kilometer. Bei der Straße ist das eine freiwillige Angelegenheit der Mitgliedstaaten. In Deutschland gilt sie nur auf Autobahnen und einigen Bundesstraßen und nur für Lkws ab 12 Tonnen. Das sind ideale Rahmenbedingungen für die Verlagerung des Verkehrs, aber in die falsche Richtung.
Wie fällt der Vergleich mit der Luftfahrt aus?
Die Airlines werden vom europäischen Steuerzahler jedes Jahr mit 30 Milliarden subventioniert, weil die Fluggesellschaften von der Kerosinsteuer und auf Auslandsflügen von der Mehrwertsteuer befreit sind. Die Bahnkunden müssen das alles bezahlen. Deshalb gab es nach 20 Jahren Bahnreform 15-mal eine Preiserhöhung in Deutschland. Beim Flugverkehr gingen die Preise immer runter und der innerdeutsche Flugverkehr ist seit 1994 um 70 Prozent gestiegen. Dabei schreiben von 23 internationalen Flughäfen 17 rote Zahlen. Verrückt, aber traurige Realität. Deshalb fordern wir: Entweder alle zahlen die Mehrwertsteuer oder keiner. Alle zahlen Kerosinsteuer oder keiner. Dafür setzen wir uns ein. Das heißt in Europa die „Internalisierung der externen Kosten“ und „Nutzerfinanzierung“. Da sind wir uns alle einig, aber nur verbal. Wenn es um die Umsetzung geht, dann hört‘s auf.
Welche Möglichkeiten haben Sie in Ihrer Funktion als Ausschussvorsitzender, eine nachhaltige, gerechte Mobilität voranzubringen?
Zunächst einmal sagen alle, auch Kanzlerin Merkel und Verkehrsminister Dobrindt, die Nutzerfinanzierung sei unumstritten. Aber bei der Umsetzung sieht es anders aus. In der letzten Legislaturperiode waren wir im Europäischen Parlament sehr eisenbahnfreundlich. Auch wenn man sich die transeuropäischen Netze anschaut, da spielt der Straßenverkehr eine geringe Rolle. Die Hauptsache ist der Schienenverkehr, aber bei der Schiene geht es um die Großprojekte und das kritisiere ich. Denn bei den meisten europäischen Korridoren werden die EU-Gelder mitgenommen, um nationale Projekte zu finanzieren.
Zum Beispiel?
Nehmen wir Stuttgart 21: Das ist so verrückt, weil für 10 Milliarden ein neuer Bahnhof gebaut wird, der halb so leistungsfähig ist wie der bestehende. Und die Neubaustrecke nach Ulm, die davon drei Milliarden kostet, wird damit begründet, dass die alte, existierende, über die Geislinger Steige, so steil ist. Der Korridor Berlin-Bratislava ist aber nur dann sinnvoll, wenn er für den Güterverkehr geeignet ist. Denn 70 Prozent der Fahrgäste steigen in Stuttgart ein und aus. Trotzdem werden sinnlos drei Milliarden für die Neubaustrecke ausgegeben, die noch steiler als die Geislinger Steige ist. Auf der anderen Seite fehlen zum Beispiel für die Strecke Berlin-Breslau 100 Millionen, um die Fahrzeit von fünf auf drei Stunden zu verkürzen. Es gibt ganz viele grenzüberschreitende Abschnitte, die im Krieg zerstört wurden. Das Eisenbahnnetz in Europa ist ein Flickenteppich und die Lücken sind genau an den Grenzen. Immerhin wurde in diesem Jahr die Lücke zwischen Sebnitz in Deutschland und Dolní Poustevna in Tschechien geschlossen – 660 Meter. Das als Schneckentempo zu bezeichnen, ist eine Beleidigung der Schnecke, denn die schafft in 25 Jahren mehr als 660 Meter!
Wie schätzen Sie die Mautpläne von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ein? Sind die nun mit EU-Recht vereinbar oder nicht?

Das ist die Quadratur des Kreises, weil nur ausländische Autofahrer belastet werden sollen. Natürlich kommt die Maut so nicht durch, sie ist absolut europafeindlich. Schon 1992 sind Mautpläne des damaligen Bundesverkehrsministers Friedrich Zimmermann deshalb von der EU-Kommission gestoppt worden. Nach wie vor gilt: Die Diskriminierung von Ausländern, auch die indirekte, ist nicht gestattet. Hinzu kommt: Die Vignette ist nicht umweltfreundlich, weil Wenigfahrer genauso viel zahlen wie Vielfahrer. Wer wirklich Geld haben will, sollte die Mineralölsteuer erhöhen. Ohne Verwaltungskosten bringt ein Cent 400 Millionen im Jahr, fünf Cent wären 2 Milliarden.

[Interview: Marion Busch, Eric Janacek]



Der Grünen-Politiker Michael Cramer ist Mitglied des Europäischen Parlaments und seit Juli Vorsitzender des Verkehrsausschusses. Er lebt in Berlin und Brüssel.



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