Luftverkehr in Berlin-Brandenburg

13. November 2003 zur Übersicht

Die Diskussion über das zukünfige Luftverkehrskonzept ist wieder voll entbrannt, nachdem die CDU vom Konsensbeschluss abrückt und die Offenhaltung von Tegel und Tempelhof fordert.

Die SPD hält sich an den Beschluß, der im Mai 1996 vom damaligen Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU), dem Brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) und dem Berliner Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) unterschrieben wurde. Demnach soll Schönefeld zum Single-Airport ausgebaut, Tempelhof soll mit Rechtskraft der Planfeststellung (2002/2003) und Tegel mit Fertigstellung des Schönefeld-Ausbaus geschlossen werden.

Sttrittig ist aber die Frage, ob ein Flughafen mit Drehkreuzfunktion überhaupt benötigt wird. Darüber denkt der Senat nicht nach, für ihn ist pure Größe schon ein Wert an sich.

Der "Konsensbeschluss" wurde 1996 nach einer Debatte aus der Wendezeiteuphorie getroffen, als von einem Großflughafen für 60 Millionen jährlichen Fluggästen geträumt wurde, einem reinen "Märchenschloss" , wie Ex-Minister Wissmann (CDU) damals spottete.

Die zentrale Frage besteht darin, ob das erwartete Fluggastaufkommen, mit dem sich der Großflughafen rechnet, auch tatsächlich eintritt. Denn für einen Großflughafen ist die märkische Region mit einem Einzugsbereich von 5 Millionen Menschen einfach zu dünn besiedelt. Die vielen Versuche, eine Direktverbindung über den Atlantik zu realisieren, waren nicht wirtschaftlich - und wurden eingestellt. Wie lange die neueste Atlantikroute bestehen bleibt, vermag niemand zu sagen.

Gerne wird in Berlin auf Londons fünf Flughäfen verwiesen. Übersehen wird dabei jedoch,dass dort jährlich 104 Millionen Fluggäste gezählt werden, in Berlin mit etwa 13 Millionen, nur etwas mehr als ein Bruchteil des dortigen Aufkommens. Deshalb ist die CDU-Vorstellung von drei Berliner Flughäfen ökonomisch und ökologisch falsch.

Auch mit Frankfurt am Main kann sich Berlin nicht messen. Dort umfasst der Einzugsbereich mit 20 Millionen Einwohnern das Vierfache von Berlin. Leere Slots, dort heiß begehrt, werden hier wie Sauerbier angeboten. Während von Frankfurt pro Woche 600 interkontinentale Ziele direkt angeflogen werden, sind es in Berlin lediglich 30. Der Umsteigeverkehr in Frankfurt liegt bei 60 %, in Berlin beträgt er nur 3 %. Auch die Hauptstadtfunktion hat daran nicht viel geändert. Köln/Bonn ist schließlich trotz Regierungssitz auch kein Luftkreuz geworden und das Bankenviertel in Frankfurt am Main erzeugt mehr Flugverkehr als der Parlaments- und Regierungssitz. Zudem gibt es in Berlin 60 % Kurzstreckenflüge unter 600 km, die sukzessive durch die Fertigstellung der schnellen Eisenbahn-verbindungen reduziert werden.

Schon 1997 wurde die Fahrzeit von Berlin nach Hamburg auf gut zwei und die nach Hannover auf gut eineinhalb Stunden verkürzt. Der ICE-Sprinter nach Frankfurt am Main benötigt nur dreieinhalb Stunden, der nach Leipzig demnächst nur 59 Minuten. Da die Eisenbahn direkt von Stadtmitte zu Stadtmitte fahren kann, wird sie auch dann bevorzugt, wenn die Reisezeit von Tür zu Tür eine Stunde länger dauert als mit dem Flugzeug. Deshalb wird der innerdeutsche Flugverkehr zukünftig bis auf wenige Ausnahmen durch die Eisenbahn ersetzt werden.

Die Einbindung Berlins in den internationalen Flugverkehr ist notwendig. Sie ist aber schon mit der in Schönefeld vorhandenen südlichen Start- und Landebahn gesichert. Für den notwendigen interkontinentalen und Langstreckenverkehr reicht sie mehr als dreimal aus. Entscheidend für die Leistungsfähigkeit eines Flughafens ist nämlich weniger die Kapazität der Landebahn als die der Abfertigungsanlagen. Während die Landebahn eine Kapazität für 15-18 Mio. Fluggäste hat, liegen die Abfertigungskapazitäten in Schönefeld derzeit nur bei 4 Mio. Fluggästen pro Jahr. Voraussetzung für die Schließung von Tegel ist demnach die Fertigstellung der für den Single-Airport in Schönefeld notwendigen Abfertigungsanlagen.

Der Flughafen Tempelhof schlägt gegenwärtig mit jährlich 25 Mio. DM Defizit zu Buche. Er könnte sofort geschlossen werden. Problemlos ließen sich die 80.000 jährlichen Fluggäste von Tempelhof nach Schönefeld verlagern, weil dieser Airport nur zur Hälfte ausgelastet ist.

Im Flächennutzungsplan, der 1994 für Gesamt-Berlin im Abgeordnetenhaus beschlossen wurde, ist Tempelhof schon nicht mehr als Flughafen enthalten. Bis auf die CDU wollen ihn auch alle Parteien schließen. Für die Nachnutzung der Fläche hat der Senat ein Konzept entwickelt, dass auf die jahrzehntelange Funktion als Flughafen Rücksicht nimmt. Der "Park der Luftbrücke" behält die Weite und Offenheit des Tempelhofer Feldes, wodurch auch die ökologische Funktion als Kaltluftentstehungsgebiet und wichtiger stadtklimatischer Faktor gesichert werden soll. Die Landebahnen sollen in ihrer Lage beibehalten, mit einer Höhendifferenz betont und begrünt werden. Die neue Parkanlage soll auch räumlich einen Zusammenhang mit der Hasenheide darstellen.
Der Gebäudekomplex des Flughafens ist mit rund 300.000 m2 Geschossfläche eines der größten Europas. Er steht unter Denkmalschutz. Für die spätere Nutzung bieten sich viele Möglichkeiten an.

Tempelhof könnte schon sofort geschlossen werden, Tegel erst mit Inbetriebnahme des BBI. Bis zur Fertigstellung des Single-Airports Schönefeld könnte der Flugverkehr so aufgeteilt werden, dass die internationalen Flüge in Schönefeld und die nationalen in Tegel abgefertigt werden. Da wegen des Ausbaus der Eisenbahnverbindungen die nationalen Flüge abnehmen, wird dadurch automatisch die Schließung von Tegel vorbereitet.

Die bisher dem Flugverkehr gewährten hohen Subventionen lassen sich zukünftig nicht mehr aufrechterhalten. Man muss sich doch einmal vergegenwärtigen, dass das hochverschuldete Land Berlin, das jeden Tag 11 Mio. DM an Zinsen zahlen muss - ohne Tilgung wohlgemerkt - der BBF für die Jahre 1993 bis 1996 zunächst 164 Mio. DM als zinsloses Darlehen und dann als Geschenk zur Verfügung gestellt hat.

Zudem ist der Flugverkehr - im Gegensatz zur Eisenbahn - z. B. von der Mineralölsteuer und die internationalen Flugtickets sind von der Mehrwertsteuer befreit. Werden diese Zuwendungen gestrichen, kommt es zu einer Erhöhung der Flugpreise und zum Einsatz größeren Fluggeräts.

Von daher wird es nicht möglich sein, in der dünn besiedelten Region von mehreren Standorten aus Direktflüge über den Atlantik anzubieten, die sich wirtschaftlich rechnen. Da es weder ein nationales, geschweige denn ein europäisches Luftverkehrskonzept gibt, bleiben nur zwei Alternativen: Kooperation der Flughäfen miteinander oder mörderische Konkurrenz gegeneinander, die zu Lasten der Steuerzahler und der Sicherheit der Fluggäste ausgetragen wird.

Berlins Flughäfen stehen in Konkurrenz mit anderen Airports in ihrer Nachbarschaft. Es wird nicht täglich ein Flugzeug von Berlin, Hannover, Hamburg, Leipzig und Halle/Dresden mit einer Auslastung von 20 % nonstop in die USA jetten können. Warum fliegen diese Fluggäste nicht alle zusammen in einer großen Maschine beispielsweise montags von Berlin, dienstags von Halle/Leipzig, mittwochs von Hannover, donnerstags von Hamburg und freitags von Dresden über den großen Teich. Der heutige Umsteigeverkehr in Frankfurt am Main entfiele, weil die Menschen in der Region ihren täglichen Direktflug in die USA hätten. Die Flugzeuge wären ausgelastet, die Zubringerfunktion würde die Bahn übernehmen.

Deshalb ist die Verkehrsanbindung der Flughäfen von größter Bedeutung. Was die Schienenwege anbetrifft, so konnte durchgesetzt werden, dass statt eines Kopfbahnhofes in Schönefeld die Integration des zukünftigen Terminal-bahnhofs in das Eisenbahnnetz so realisiert wird, dass der Flughafen von allen Himmelsrichtungen mit der Schiene erreichbar ist. Bei der Straßenanbindung herrscht allerdings noch das Denken der 50er und 60er Jahre vor, wenn trotz knapper Kassen die Teltowkanal-Autobahn als Zubringer für den Flughafen gebaut werden soll. Sie verliefe parallel zu einer sechsspurig ausgebauten Schnellstraße (Adlergestell) und zur viergleisigen Görlitzer Eisenbahn, über die schon heute der Airport-Shuttle alle 30 und die S-Bahn alle 10 Minuten zum Flughafen verkehren.

Obwohl der Airport-Shuttle nur 20 Minuten von der City bis zum Flughafenbahnhof benötigt und der Autofahrer selbst mit der Autobahn die doppelte Zeit einkalkulieren muss, halten CDU und SPD diese Autobahn für unabdingbar. Intelligenter haben die Londoner das Zubringer-Problem gelöst. Für den Flughafen London-Heathrow, an dem 60 Millionen Fluggäste pro Jahr abgefertigt werden, gibt es im innerstädtischen Bahnhof Paddington-Station einen Voll-Check-In für 27 Airlines. Die Fluggäste fahren ohne Gepäck zum Flughafen, ihre Flugreise beginnt in Paddington-Station. Wer will da noch mit dem Auto fahren? Das Londoner System auf Berlin übertragen, würde die Flugreise am Lehrter Bahnhof und nicht am 25 Kilometer entfernten Flughafen beginnen lassen. Bahnchef Mehdorn hat deshalb auch zugesagt, dass am Lehrter Bahnhof ein Voll-check-in für alle Airlines eingerichtet wird.

Ein überdimensioniert ausgebauter Flughafen in der märkischen Region hätte zur Folge, dass alle Anstrengungen unternommen würden, um möglichst viele Menschen in möglichst viele Flugzeuge zu bekommen, damit er wenigstens halbwegs wirtschaftlich rentabel ist. Dies stünde aber im eklatanten Widerspruch zu den ökologischen Anforderungen, zu denen sich die Bundesregierung und auch die Bundesländer hinsichtlich der CO2-Reduzierung verpflichtet haben.

Wenn der Pan-Am-"Airbus 310" mit maximal 200 Passagieren von Frankfurt am Main nach New York startet, müssen fast 160 t Gesamtgewicht in den Himmel gewuchtet werden. Nach etwa 10 Std. Flugzeit für knapp 7.000 km sind 50.000 l Kerosin verbrannt worden.

Die Schadstoffemissionen, die mit der Verbrennung enormer Treibstoffmengen zu 80 % bei Start und Landung entstehen, werden unmittelbar in die Luft der zu den Flughäfen zugehörigen Ballungsräume abgegeben. So rieseln jährlich infolge des Flugverkehrs auf den Großraum Frankfurt am Main etwa 5.000 t an Kohlenmonoxyd und 2.000 t an Kohlenwasserstoff nieder. Zugleich trägt das entstehende Kohlendioxyd zur Erderwärmung bei (Treibhauseffekt). Die Klima-Enquete-Kommission des Bundes-tages errechnete, dass 15 % aller verkehrsbedingten CO2-Emissionen in Deutschland aus Flugzeugmotoren kommen.

Zudem werden beim Streckenflug in großer Höhe die Schadstoffe in die Stratosphäre emittiert und gelangen von dort direkt in die Ozonschicht in 20-30 km Höhe. Es darf als gesichert gelten, dass sie wesentlich dazu beitragen, das schützende Ozonschild abzubauen.

Neben den Umweltauswirkungen werden in der öffentlichen Diskussion auch die Sicherheitsfragen vernachlässigt. Die rapide Zunahme der Beinahe-Unfälle wird ebenso wie die zunehmende Zahl von Warteschleifen - 50.000 Flugstunden über Frankfurt am Main im Jahr sind keine Seltenheit - verschwiegen.

Von den Befürwortern des über-dimensionierten Ausbaus wird immer wieder auf die Funktion als "Job-Maschine” hingewiesen. Dabei ist nicht absehbar, dass nach der Konzentration des Flugverkehrs in Schönefeld mehr Arbeitsplätze zur Verfügung stehen als bisher. Das Rad des Flughafens wird in Berlin ja nicht neu erfunden. Die Arbeitsplätze und auch die Beschäftigten sind bereits vorhanden. Deshalb ist eher zu befürchten, dass ein Verlust von Arbeitsplätzen die Folge sein wird. Wahrscheinlich darf man zufrieden sein, wenn niemand wegen der Umstrukturierung entlassen wird. "Blühende Landschaften" wird es auch durch den Flughafen Schönefeld nicht geben.
Angesichts der negativen Begleiterscheinungen muss der Flugverkehr auf das notwendige Maß zurückgedrängt werden. Ein überdimensionierter Großflughafen in der märkischen Region wirkt allen Bestrebungen entgegen, die CO2-Emissionen zu senken. Er konterkariert eine umweltgerechte und klimaschonende Verkehrspolitik. Darüber hinaus ist er mit einem marktwirtschaftlichen Konzept nicht vereinbar.