Lkw-Maut in Belgien: Maßstab für Europa

29. April 2016 zur Übersicht

Belgien setzt mit seinem Mautsystem Maßstäbe in Europa. Es war nicht unbedingt zu erwarten, dass sich die drei Regionen des Landes auf ein gemeinsames Konzept einigen würden.

DVZ-Deutsche Logistik-Zeitung

Von Werner Balsen

29 April 2016

Das bewegt Brüssel

Belgien hat eine LKW-Maut eingeführt. Das System gefällt der EU-Kommission. Denn es erfüllt die Kriterien, die deren Experten von einer effizienten Straßengebühr erwarten.

Michael Cramer ist in Brüssel ein viel gefragter Mann. Als Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Europäischen Parlament ist der deutsche Grüne gern gesehener Gastredner oder, wie es hier heißt, „keynote speaker“. Wer beruflich das Vergnügen hat, die Abende bei Verkehrs- und Logistikveranstaltungen zu verbringen, wird den Mann häufig reden hören. Und der Zuhörer wird auf dem Sterbebett zwei Zahlen auch dann noch mit Leichtigkeit wiederholen können, wenn ihm ein biblisch langes Leben beschieden ist: Für 100 Prozent des europäischen Schienennetzes fallen Streckengebühren an. Aber nur 0,9 Prozent der Straßen zwischen dem Schwarzen Meer und dem Atlantik sind mautpflichtig. Cramer wiederholt diese Zahlen bei jeder Gelegenheit – sei sie gut oder schlecht. Und er hat Recht damit. Denn klarer als mit diesem Verhältnis lässt sich kaum beschreiben, wie Straßentransporte in der EU – allen Sonntagsreden zum Trotz – gegenüber der Bahn bevorzugt sind. Und wie viel Spielraum besteht, das von der EU-Kommission geforderte „user pays“- oder „polluter pays“-System zu installieren. Ob EU-Staaten eine Straßengebühr einführen, ob sie das auf allen Straßen oder nur auf einigen tun und welche Fahrzeuge sie belasten, ist allein Sache der nationalen Regierungen. Der Brüsseler Rahmen ermöglicht ihnen, eine Maut zu erheben, verpflichtet sie aber nicht. Daran muss erinnert werden, weil in den Medien gelegentlich von einer „EU-Maut“ die Rede ist. Das ist Unsinn und dient oft genug nur dazu, dass sich der Bundesverkehrsminister mit knackigen Widerreden ins Gespräch bringen kann. Die EU-Kommission will nur Mitgliedsländer, die eine Maut einführen, dazu bringen, ein Minimum an Regeln zu beachten, damit die Gebührensysteme nicht zu stark voneinander abweichen. Mit einiger Sympathie schauen ihre Experten auf ein Beispiel vor der Haustür: Das kleine Belgien erhebt seit Anfang April Straßengebühren für Fahrzeuge, die schwerer sind als 3,5 t. Das belgische System, das die Vignette abgelöst hat, dürfte in vieler Hinsicht in der EU-Kommission als vorbildlich gelten. Denn die belgische Maut wird nach der Entfernung berechnet. Wer viele Kilometer zurücklegt, zahlt viel. Anders als die in diversen Staaten noch übliche zeitbasierte Vignette, wird die Gebühr also nicht relativ preiswerter, je mehr ein Fahrzeug unterwegs ist und die Infrastruktur in Anspruch nimmt. Ein weiterer Faktor für die Höhe der Kosten sind die Schadstoffemissionen. LKW der Euroklasse VI zahlen weniger als Fahrzeuge mit höheren Emissionen. Gerade erst hat Verkehrskommissarin Violeta Bulc ihre Gewissheit bekundet, dass ein solches System Unternehmen zum Kauf schadstoffarmer Fahrzeuge motiviert. Drittens spielt für die Höhe der Maut die Gewichtsklasse eine Rolle. Als fortschrittlich darf das belgische System darüber hinaus deshalb gelten, weil es in der Lage ist, die Maut nach einzelnen Straßen– innerstädtische Routen, Landstraßen, Autobahnen – zu staffeln. Das gibt den Behörden Möglichkeiten, den Verkehr über den Straßenpreis zu lenken. Die Regierung der überlasteten Hauptstadtregion Brüssel etwa hat sich entschlossen, relativ hohe Mautsätze festzulegen. Und noch ein weiteres Faktum dürfte die EU-Kommission mit Wohlwollen zur Kenntnis nehmen: Das elektronische Mauterhebungssystem ist interoperabel. Das heißt, es gibt– anders als in Deutschland– nicht einen einzigen Anbieter der Technik, sondern vom ersten Mauttag an waren zwei Firmen im Rennen – auch wenn eine klar im Vordergrund stand und steht. Weitere können sich beteiligen. Da der Service mit den On-Board Units bei Einführung des neuen Systems für viel Frust sorgte, tut sich für serviceorientiertere Konkurrenten möglicherweise ein lukratives Geschäftsfeld auf. Belgien setzt so mit seinem Mautsystem einen Maßstab für Europa. Es war nicht unbedingt zu erwarten, dass sich die drei Regionen des Landes, sonst spinnefeind, auf ein gemeinsames Konzept einigen würden. Die Mautbehörde Viapass ist die erste interregionale Institution im Land. Viele hätten auch nicht darauf gesetzt, dass sich die Regierung der Wallonie Protesten und Straßenblockaden von Transportfirmen widersetzen und an der Maut festhalten würde. Aber erwartete Einnahmen von 635 Mio. EUR im Jahr nach Abzug der Erhebungskosten haben die Politiker zusammengeschweißt. Und wer weiß: Vielleicht nennt der Grüne Cramer bei der nächsten Rede ja schon – zumindest leicht – geänderte Zahlen, wenn er die unterschiedlichen Gebühren auf Straße und Schiene geißelt. Solche, die den Fortschritt in Belgien berücksichtigen.

balsen@dvz.de

Belgien setzt mit seinem Mautsystem Maßstäbe in Europa. Es war nicht unbedingt zu erwarten, dass sich die drei Regionen des Landes auf ein gemeinsames Konzept einigen würden.