Anrede,
Eine chronique scandaleuse ist die wohl treffendste Beschreibung für das Wirken des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz in den letzten Jahrzehnten.
Die Methode Roland Koch hat in Berlin schon jahrelange Vorbilder: Nur das zugeben, was bereits bekannt ist oder gerade hoch kocht.
Die letzten zehn Jahre sind gekennzeichnet von einer permanenten Unkontrollierbarkeit und Verselbstständigung des Amtes. Hier exemplarisch einige unrümlichen Stichworte - jeder kennt sie:
der Schmücker-Skandal,
die Ausspitzelung des Abgeordneten Pätzold,
die versuchte Unterwanderung der Grünen, wobei über 60 Spitzel bis in die höchsten Parteigremien platziert wurden.
Lummer und die Stasi,
das Mykonos-Attentat,
die Erstürmung des Israelischen Generalkonsulats
Die Nennung aller Skandale würde die Redezeit überschreiten. Trotz immer wiederkehrender Versuche, das Amt umzustrukturieren - es blieb, wie es war. Da konnte auch die Boeden-Kommission nicht mehr helfen.
Selbst der letzte Chef - Vermander - bezeichnete kurz vor Toresschluss sein Amt immer noch als "besseres Detektivbüro". Auch er versuchte sich an einer Umstrukturierung - die Neuerungen nach zwei Jahren erschöpften sich dann auf das Anbringen eines Amtsschildes an der Villa-Eingangstür und setzten sich fort mit Namensschildern an den Bürotüren.
Mit Ausnahme der rot-grünen Regierungsphase hat die Amtsleitung und auch der Innensenator zu keinem Zeitpunkt zugegeben oder erkannt, in welchem Ausmaß ihr eigenes Verhalten Fehlentwicklungen befördert bzw. zugelassen und gedeckt hat. Immer wurde behauptet, alles sei richtig und gut.
Statt dessen wurde akribisch nachgeforscht, wo die undichten Stellen sind.
Was folgte? Das Amt lief vollkommen aus dem Ruder: die undichten Stellen wurden immer undichter, die Indiskretionen immer indiskreter.
Zu den internen Problemen kam noch die Beschäftigung zwielichtiger Gestalten zum Schutz der Verfassung hinzu: Der Einsatz von V-Leuten mutierte regelmäßig zu öffentlichen Skandalen.
Beispielhaft sind hier genannt: die Verwendung von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern als V-Leute. Allen bekannt ist die Denunzierung des Polizeidirektors Dreksler als vermeintliches Scientology-Mitglied.
Da halfen auch nicht die eigenen Arbeitsanweisungen, denn diese wurden regelmäßig nicht eingehalten. Die Angeworbenen traten häufig als agent provocateur auf, deren Übereifer das Landesamt nicht zu bremsen vermochte.
Eine ordentliche Personalführung fand nicht statt. Nicht umsonst kursierte über den Zustand des Amtes bei Insidern:, wenn alle Verfassungsschützer über Nacht in einen großen Raum im Amt eingesperrt würden, wäre am nächsten Tag niemand mehr übrig.
Deshalb unser Asntrag, das Landesamt für Verfassungsschutz - so wie es ist - aufzulösen. Wir begrüßen, dass der Senat das nun ebenfalls will. Aber - ist die geplante Abteilung etwas grundsätzlich anderes als vorher?
Dem vorliegenden Gesetzentwurf der großen Koalition zur Reform des Verfassungsschutzes können wir nicht zustimmen, denn mit der Umstrukturierung des Landesamtes ist keine wirkliche Auflösung verbunden. Die in unserem Antrag geforderte Auflösung des Amtes ist nach wie vor notwendig, um den chirurgischen Schnitt zu machen.
Versprochen wurden parlamentarische Kontrolle und Transparenz. Das fordern wir ein! Für uns heißt das:
- Wenn denn schon mit nachrichtendienstlichen Mitteln gearbeitet werden soll, dann muss dies an die vorherige Zustimmung durch den Verfassungsschutzausschuss gebunden sein.
- Der Ausschuss muss weitergehende Kontrollmöglichkeiten sowie das Recht auf umfassende Akteneinsicht erhalten.
Der von SPD und CDU formulierte Kompromiss zur Reform des Verfassungsschutzes geht bisher nicht in diese Richtung. Zu befürchten ist vielmehr, dass die eingesetzte Vertrauensperson die Kontrollmöglichkeiten des Verfassungsschutzausschussesbeschneidet.
Wir wollen weg vom Geheimdienst hin zu einer Dienstleistungsbehörde, die die Öffentlichkeit informiert, insbesondere über die Gefahren von Rechts.
Das heißt für uns, alle noch bestehenden konkreten Arbeitsaufträge müssen überprüft werden.
Wir wissen, dass die Beobachtung der linken Szene der Großen Koalition bisher doppelt soviel Geld wert ist, wie die Überwachung der rechten Szene. Angesichts der gewalttätigen Terroranschläge des Rechtsextremismus, die durch Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus motiviert waren, ist das ein Skandal!
Die gesamte Praxis wird Gegenstand der parlamentarischer Beratungen in den Ausschüssen sein, wobei wir nicht nur den Verfassungsschutzausschuss, sondern auch den Rechtsausschuss beteiligen wollen.
Die angekündigten Reformen dürfen sich nicht abermals darin erschöpfen, dass die Villa Schlapphut zwar geschlossen wird, die Schlapphüte uns aber erhalten bleiben.