Von Marion Trimborn
Osnabrück. In der Debatte um einen kostenlosen Nahverkehr sieht der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, Michael Cramer, keine europarechtlichen Hürden und empfiehlt für Deutschland einen Umstieg wie in der estnischen Hauptstadt Tallinn. Europas Städteverband warnt davor, die Lasten auf die Kommunen abzuwälzen.
In einem Gespräch mit unserer Redaktion sagte der Europaabgeordnete Cramer: „Tallinn kann auch für deutsche Städte ein Vorbild sein.“ Dort werde der Nahverkehr vor allem über Steuern finanziert und die Fahrgastzahlen seien seitdem stark gestiegen. 2013 hatte Tallinn den ticketlosen Nahverkehr eingeführt, die Transportgesellschaft macht seitdem Gewinn. Cramer betonte, dass es nicht unbedingt ein Gratis-Nahverkehr sein müsse: „Wichtiger ist, dass Preis und Leistung stimmen. Preissenkungen – vor allem bei Abos und Sozialtickets – und neue Finanzierungsideen können sofort viel bewirken.“ Die EU-Kommission habe keine Einwände dagegen: „Nachdem die deutsche Bundesregierung jahrelang untätig war, fordert die EU jetzt vor allem eines: Schnelle Ergebnisse für saubere Luft. Wie genau die Bundesregierung das erreicht, ist zunächst ihre Sache.“
Weitere Schritte nötig
Grundsätzlich zeigten Studien zu kostenlosem Nahverkehr, dass Menschen eher vom Auto auf Bus und Bahn umsteigen, wenn die Nutzung des Autos teurer wird – anstatt, dass der Preis für das Nahverkehrsticket sinkt. Der Grünen-Verkehrsexperte forderte daher weitere Maßnahmen: „ So sinnvoll ein massiver Umstieg auf den ÖPNV ist, so wenig führt jetzt an echten Sofortmaßnahmen vorbei.“ Er fügte hinzu: „Fahrverbote für alte Diesel-Stinker – in Form der Blauen Plakette – und eine Streichung der Dieselsubventionen sind unabdingbar, um die Klage der EU noch abzuwenden.“
Städtenetzwerk warnt: Last nicht auf Kommunen abschieben
Das europäische Städtenetzwerk Eurocities warnte die Bundesregierung davor, mit einem kostenlosen Nahverkehr einfach die Last auf die Städte abzuschieben. „Der deutsche Vorschlag darf nicht die Verantwortung und die finanzielle Belastung auf die städtische Ebene verlagern“, sagte die Generalsekretärin von Eurocities, Anna Lisa Boni, unserer Redaktion. „Nationale Regierungen in ganz Europa müssen den Städten helfen, Luftverschmutzung anzugehen.“ Dem Netzwerk gehören mehr als 140 große europäische Städte an.