Politik, das sei das geduldige Bohren dicker Bretter. Max Weber hat mit seiner Aussage vor mehr als 80 Jahren vielleicht eine der treffendsten Beschreibungen von Politik abgeben. Und er hätte sie womöglich nochmals unterstrichen, hätte er zu seinen Zeiten erleben dürfen, welche Wege Entscheidungen auf europäischer Ebene gehen - zumal, wenn es um Politik geht, die gegen mächtige Interessen der Wirtschaft durchgesetzt werden soll.
Ein zentrales verkehrs- und umweltpolitisches Projekt scheint nun nach einer mehr als 10 Jahre währenden Debatte endlich den Durchbruch geschafft zu haben - die europaweite Besteuerung von Kerosin. Damit könnten die EU-Staaten schon bald ein erstes wirksames Instrument gegen den Klimakiller Flugverkehr starten. Und gleichzeitig einen wichtigen Schub für die Stärkung der Entwicklung vor allem in Afrika geben.
Die Dynamik ist mit dem G 7-Gipfel in London Anfang Februar gekommen. Der Druck auf die Industriestaaten, endlich mehr als nur Lippenbekenntnisse gegen Armut und Unterentwicklung in weiten Teilen der Welt hervorzubringen, hat die Belastung von Flugbenzin auf die Tagesordnung gebracht - als neue Einnahmequelle zur Aufstockung der Entwicklungshilfe. Nachdem Jacques Chirac und Gerhard Schröder grünes Licht gegeben haben, treibt der derzeitige EU-Ratspräsident, Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, die Sache voran. Er will schon bald zu konkreten Entscheidungen auf EU-Ratsebene kommen - wenn nötig auch im Alleingang ohne Absprache mit den USA.
Neben dem Nutzen für die Entwicklungshilfe liegt der Reiz von Kerosin-Steuern gerade in der ökologischen Lenkungswirkung. Denn die unfairen Rahmenbedingungen zwischen den Verkehrsträgern sind nicht nur uns Grünen ein Dorn im Auge. Während zum Beispiel die Bahnen für Energie und Diesel Steuern zahlen, ist der Treibstoff für den Flugverkehr abgabenfrei. Dabei stellt gerade das Fliegen eine enorme Belastung für das Klima dar. Jenseits des Steuerprivilegs kommt der Flugverkehr auch beim Kyoto-Protokoll, der gerade in dieser Woche in Kraft getretenen weltweit zentralen Klimaschutzmaßnahme, ungeschoren davon. Seine Emissionen werden abgesehen von nationalen Verbindungen schlicht nicht mitgerechnet. Die Liste ließe sich fortsetzen, zum Beispiel mit den Strukturhilfen der EU für den Ausbau von Flughäfen, die insbesondere von Billigfliegern genutzt werden.
"Fliegen zu Taxipreisen" ist nur möglich, weil die Politik bisher eine ganze Branche aus Angst vor angedrohten Standortverlagerungen auf Händen getragen hat. Erst vor wenigen Monaten sah es so aus, als sollte dieser Status quo verbindlich festgeschrieben werden. Auf Betreiben der USA wollte die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) noch im Oktober ein quasi weltweit gültiges Verbot von Kerosin-Steuern durchsetzen. Es war die Initiative der Grünen, die zunächst im Europaparlament eine Mehrheit fand und die EU-Kommission bei der ICAO-Konferenz auf eine Haltung festlegte, die den Plänen der USA einen Strich durch die Rechnung machen sollte. Schließlich beschloss die ICAO, dass gerade Organisationen wie der EU die Erhebung von Flugbenzin-Steuern ermöglicht wird. Mit unserem grünen Protest hatten wir also nicht nur schlimmeres verhindert, sondern auch das Thema Kerosin-Steuer zurück auf die internationale Tagesordnung gebracht.
Wir werden Rat und Kommission antreiben, damit die Dynamik der Stunde in Gesetzesform gegossen wird. Eine EU-weite Kerosin-Steuer wird zwar - so viel Realismus bleibt geboten - bei weitem nicht die wahren durch den Flugverkehr verursachten Kosten für Umwelt und Mensch widerspiegeln. Aber sie wird sie ihnen ein Stück näher bringen als bisher. Für alles weitere gilt - insbesondere in der Verkehrspolitik - die Methode Max Webers.
Dieser Beitrag ist am 18. Februar 2005 in der Tageszeitung Neues Deutschland erschienen.