Von Michael Cramer
Der Verkehr ist in der EU der einzige Sektor, in dem die CO2-Emissionen seit 1990 gestiegen sind. Ohne eine Veränderung der Mobilität ist der Klimawandel deshalb nicht zu stoppen. Während die Emissionen in der Industrie um 36 Prozent gesenkt wurden und in den Haushalten um 23 Prozent, nahmen sie im selben Zeitraum beim Verkehr um 25 Prozent zu.
In Deutschland sind seit 1990 die Emissionen im Verkehr ebenfalls nicht gesunken. Das hätte auch die Pkw-Maut nicht bewirkt. Denn sie hätte nur ausländische Autos betroffen, die machen aber lediglich 5 Prozent des Verkehrs aus. Da die deutschen Fahrzeuge keinesfalls belastet werden durften, hätte die Maut weder zu größeren Einnahmen geführt, noch wären die Emissionen im Verkehr gesenkt worden. Einer Untersuchung der Universität Dresden zufolge subventionieren in Deutschland die Steuerzahler jedes Automobil jedes Jahr mit 2100 Euro.
Die Bundesregierung hatte sich in der Verkehrspolitik seit mehr als fünf Jahren fast ausschließlich um die "Pkw-Maut für Ausländer" gekümmert. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur geplanten Maut vom Juni ist zu begrüßen, denn mit dem EU-Recht ist sie unvereinbar. Diese europaweite Blamage zeigt auch, dass die Bundesregierung den Zusammenhang von Klima und Verkehr weiterhin ignoriert. Denn sie thematisiert nicht den unfairen Wettbewerb im Verkehrssektor.
So ist in der gesamten EU das umweltfreundliche Schienennetz zu 100 Prozent bemautet und das klimaschädliche Straßennetz nur zu drei Prozent. Denn jede Lokomotive muss - ob groß oder klein, Güter- oder Personentransport, im Nah- oder Fernverkehr - auf jedem Streckenkilometer eine Maut bezahlen, die in der Höhe unbegrenzt ist. Auf der Straße sind die Mitgliedstaaten indessen frei, ob sie eine Maut erheben. Sie ist europaweit in der Höhe gedeckelt, damit Österreich nicht eine so hohe Maut erheben kann, wie es das Nicht-EU-Land Schweiz tut. Dort ist sie dreimal so hoch wie in Deutschland, sie gilt auf allen Straßen und für alle Lkw ab 3,5 Tonnen. Aus diesem Grund gibt es in der Schweiz auch keine Verlagerung von Autobahnen auf Landstraßen oder von großen auf kleine Lkw. Mit einer solchen Regelung wären die Probleme in Tirol sofort gelöst. In Deutschland gilt die Lkw-Maut aber nur auf Autobahnen und Bundesstraßen sowie nur für Lkw ab 7,5 Tonnen.
Anstatt diesen unfairen Wettbewerb abzubauen, hatte der frühere Verkehrsminister Alexander Dobrindt ihn noch verschärft. So erhöhte er die Schienenmaut um 13 Prozent und senkte die Lkw-Maut um 16 Prozent. Damit veränderte er den Preisunterschied zwischen der umweltfreundlichen Schiene zugunsten der klimaschädlichen Straße um fast 30 Prozent. Zudem zahlen die Fluggesellschaften - im Gegensatz zu den Kunden der umweltfreundlichen Bahn, die das alles bezahlen müssen - keine Kerosinsteuer und auf internationalen Flügen auch keine Mehrwertsteuer. Nur sechs EU-Länder erheben auf internationale Bahnverbindungen die Mehrwertsteuer, Deutschland nimmt dabei mit 19 Prozent eine Spitzenposition ein.
Die Schifffahrt zahlt ebenso keine Mehrwertsteuer, sie kennt auch keine Maut. Sie verwendet zudem Schweröl, einen Sondermüllabfall der Rohölproduktion. Deshalb sind die Hochsee- und auch die Kreuzfahrtschiffe quasi Sondermüllverbrennungsanlagen ohne Filter. Der dreckigste Diesel aber ist um ein Vielfaches besser als Schweröl. Noch immer ist Schweröl nicht verboten, obwohl Diesel das Schweröl technisch ersetzen könnte. Nur aus Profitgründen wird die Umwelt aber massiv belastet.
Der Widerwillen von CDU, CSU und SPD gegenüber der Schiene wird auch dadurch deutlich, dass die Schweiz pro Einwohner jedes Jahr 378 Euro in die umweltfreundliche Eisenbahn investiert, Deutschland aber nur 64 Euro - und dann wird dieses wenige Geld auch noch falsch ausgegeben! In Stuttgart werden 10 Milliarden Euro investiert, um die Gesamtkapazität des Bahnhofs zu halbieren. Mit nur einem Prozent dieser Summe könnte die Elektrifizierungslücke zwischen Cottbus und der polnischen Grenze geschlossen werden, die Fahrzeit würde auf 2,5 Stunden halbiert. Als Breslau im Jahr 2016 die Kulturhauptstadt Europas wurde, strich die Bahn den Fernverkehrszug, da er nicht rentabel war und der Fernverkehr in Deutschland nicht subventioniert werden darf. Würde diese Regel auch im Luftverkehr gelten, müssten in Deutschland 17 von 23 internationalen Flughäfen geschlossen werden, weil sie nicht rentabel sind.
Gleiches Recht für alle würde bedeuten, dass auf der Straße eine Maut für alle Fahrzeuge erhoben wird. Angesichts der vorherrschenden Blicke durch die Windschutzscheibe wäre eine Erweiterung der bestehenden Maut auf alle Lkw ab 3,5 Tonnen der erste und schnellste Schritt, um wenigstens die Kosten der gescheiterten "Pkw-Maut für Ausländer" wieder auszugleichen, die wegen der vorzeitigen Verträge an die Maut-Betreiber aufzubringen sind.
Der Autor war von 2004 bis 2019 für Bündnis 90/ Die Grünen Mitglied im Europäischen Parlament.