Selten wurde so lange und so leidenschaftlich über ein eher sprödes Regelwerk der EU gestritten. Genau genommen sind die Bodendienste - mit Unterbrechungen - seit Mitte der 90er-Jahre eine umstrittene Sache. Am Dienstag hat das Europa-Parlament mit deutlicher Mehrheit einen weiteren Schritt zur Liberalisierung der Bodendienste beschlossen. Gewerkschafter und Flughafenbetreiber befürchten Lohndumping als Folge. Airlines begrüßten die Entscheidung.
Es geht um die Tätigkeiten am Flughafen, von denen der Passagier in der Regel wenig mitbekommt: das Betanken von Flugzeugen, die Gepäckabfertigung und verschiedene Dienste auf dem Vorfeld, wo die Flugzeuge stehen. Künftig soll für Großflughäfen mit mehr als 15 Millionen Passagieren jährlich gelten, dass mindestens drei Anbieter bei diesen Dienstleistungen aktiv sind. Entsprechende Ausschreibungen für die Ausgabe von Lizenzen müssten dann die Behörden auf den Weg bringen. Bislang konnte deren Zahl auf zwei beschränkt werden, gleichgültig wie viele Firmen sich um Aufträge für diese Dienstleistungen bemühten. Das Regelwerk muss noch durch den EU-Ministerrat. Gut möglich, dass da noch einiges modifiziert wird. Insider rechnen damit, dass die Bestimmungen Ende des Jahres in Kraft treten.
Hintergrund: Brüssel gefällt nicht, dass in vielen Ländern eine enge Verknüpfung zwischen den Behörden und Betreibern der Airports besteht, denn diese sind vielfach in staatlicher Hand. Darin steckt der Vorwurf, dass gekungelt wird, um die private Konkurrenz zu behindern.
Hierzulande gehören alle großen Flughäfen entweder komplett dem Bund, den Ländern und Kommunen oder diese halten zumindest die Mehrheit. Zugleich ist die Airport-Aufsicht Sache der Landesregierungen. Und ein Großteil der Bodendienste wird von den Staatsbetrieben erbracht. In Frankfurt etwa kontrolliert die Flughafengesellschaft Fraport, die mehrheitlich dem Land und der Stadt Frankfurt gehört, rund 90 Prozent der Bodendienste.
Mindeststandards vorgesehen
Schon 1996 wurde in einem ersten Schritt ein großer Teil der Dienstleistungen an den Airports für private Anbieter und die Airlines selbst geöffnet. Dazu zählt die Abfertigung der Fluggäste - hier sind also behördliche Restriktionen bei der Zahl der Anbieter nicht zulässig.
Mit den mindestens drei Anbietern für das Tanken und die Arbeit auf dem Vorfeld hofft die EU nun, die starke Stellung der staatlichen Airport-Betreiber knacken zu können. Das soll mehr Wettbewerb, mehr Effizienz und eine höhere Qualität bei den Bodendiensten bringen. Dazu gehört auch, dass das Parlament in Abänderung der Vorschläge der EU-Kommission bestimmte Mindeststandards für die Dienstleister festgelegt hat. Das Parlament definierte etwa eine maximale Wartezeit beim Check-in oder einen Mindestvorrat an Enteisungsmittel.
Gleichwohl gab es massiv Kritik an dem neuen Regelwerk. Michael Cramer, Europaparlamentarier der Grünen, sprach von einem "Musterbeispiel sinnloser Gesetzgebung". Sie finde auf nur wenige Flughäfen Anwendung - hierzulande sind es Frankfurt, München, Düsseldorf und Berlin. Zudem würden mit den Liberalisierungsschritten Sozial- und Beschäftigungsstandards weiter untergraben. Auch Gewerkschafter haben gegen die neue Verordnung mobilgemacht. Sie befürchten, dass das Tor für Lohndumping aufgestoßen wird. Keinen Deut anders sehen es die hessische Landesregierung und der Flughafenverband ADV. Seit den ersten Liberalisierungsschritten seien Marktpreise und Löhne der Beschäftigten bereits drastisch gesunken, sagte Ralph Beisel, ADV-Hauptgeschäftsführer der Frankfurter Rundschau. Diese Entwicklung werde nun verstärkt. Eine weitere Marktöffnung werde unausweichlich zu Arbeitsplatzverlusten und schlechteren Arbeitsbedingungen führen.
Produktivität sinkt
Beisel rechnet auch mit sinkender Qualität bei der Abfertigung. Das hat laut ADV mit den Besonderheiten der Jobs auf dem Vorfeld zu tun. Der Arbeitsanfall ist stark schwankend, hängt von den ankommenden Flugzeugen ab. Je mehr Firmen an einem Flughafen aktiv sind, umso schwieriger wird es, die Kapazitäten flexibel einzusetzen. Die Gesamtproduktivität sinkt, der Kostendruck steigt.
Michael Hoppe, Generalsekretär des Airlineverbandes Barig, sieht das alles ganz anders. Schließlich habe das Parlament auch beschlossen, dass bei einem Wechsel der Anbieter die Beschäftigten vom Konkurrenten übernommen werden müssten, bei gleicher Bezahlung. Das garantiere erst einmal die Sozialstandards. Zugleich würden Airlines durch die neuen Regeln in eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber den Anbietern der Dienste gebracht. Kommentar
Dienstleister
Ein Großteil der Dienstleistungen an Flughäfen ist bereits seit 1996 liberalisiert. Es geht dabei um insgesamt sieben verschiedene Gruppen von Dienstleistungen. Dazu zählen das Catering, die gesamte Abfertigung der Fluggäste, die Reinigung der Airports oder die Transportdienste am Boden.
Bei der Betankung, der Fracht-, Post- und Gepäckabfertigung sowie bei verschiedenen Vorfelddiensten konnte ein Flughafenbetreiber bislang die Zahl der tätigen Firmen auf zwei beschränken, gleichgültig wie viele Unternehmen sich um die Dienstleistung bewerben. Deren Zahl wird nun auf drei erhöht.