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Mi 14.02.2018 | 15:05 | Interview
Mit kostenlosem ÖPNV möchte die Bundesregierungdie von Brüssel angemahnten zu hohen Schadstoffwerte in den Griff bekommen. Michael Cramer sitzt für die Grünen im Europaparlament und war Vorsitzender des Verkehrsausschusses. Er warnt angesichts der Pläne vor zu viel Euphorie: "Das klingt natürlich toll. Nur muss man sich fragen: Angenommen, jetzt hätten wir doppelt so viele Fahrgäste wie vorher – wo finden die Platz? Wir haben in Berlin jetzt schon große Probleme. Ich glaube, das ist ein Ablenkungsmanöver. Man will die Klage abwehren. Im Koalitionsvertrag steht nichts dazu. Wir haben immer noch die Dieselsubventionen, die blaue Plakette wird verhindert, wir haben keine Nachrüstung für die kriminell veränderten Dieselfahrzeuge, was die Hersteller bezahlen müssen. Das wären Maßnahmen gewesen, die sofort greifen."
Langfristig sei ein kostenloser ÖPNV aber auf jeden Fall sinnvoll, so Cramer: "Wenn wir uns mit Wien vergleichen – dort kostet das Jahresticket 365 Euro. Ein Euro pro Tag. Bei uns kostet es mehr als das doppelte mit 761 Euro. Also wenn wir das Wiener Niveau hätten, wären wir schon gewaltig weiter."
Kommunen: "Kurzfristig nicht umsetzbar"
Die Überlegungen der Bundesregierung für einen kostenlosen Nahverkehr in von Autoabgasen belasteten Städten stoßen auch andernorts auf viel Skepsis. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund verwies vor allem auf die Kostenfrage. "Die Kommunen und Verkehrsbetriebe können es jedenfalls nicht bezahlen", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der "Rhein-Neckar-Zeitung" (Mittwoch). Die Einnahmen von rund 13 Milliarden Euro pro Jahr im öffentlichen Nahverkehr würden auch benötigt, um besser zu werden und Angebote auszubauen. Gratis fahren könne höchstens ein langfristiges Zukunftsprojekt werden. Erforderlich seien deutlich mehr Fahrzeuge und Personal.
Auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) sieht größere Hürden. Zwar dürfe es bei der Vermeidung von Fahrverboten keine Denkverbote geben, sagte der VKU-Präsident und Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling der Deutschen Presse-Agentur. Er schränkte ein: "Kostenloser Nahverkehr ist eine visionäre Vorstellung, die auf jeden Fall mehrere Testballons braucht. Denn so einfach ist das nicht." Der Bund müsse sagen, wie er so etwas bezahlen möchte. "Zudem stelle ich mir die Frage, wie das in der Praxis umgesetzt werden soll", meinte Ebling. Mehr Menschen mit dem ÖPNV zu befördern, bedeute, neue Busse und Straßenbahnen zu kaufen und an die infrastrukturellen Gegebenheiten anzupassen. "Kurzfristig lässt sich so etwas nicht umsetzen."