Binnenmarkt und europäische Mobilität kann nur mit einem einheitlichen Schienennetzwerk funktionnieren
Loks und Schienenfahrzeuge, die in einem EU-Land zugelassen sind, müssen künftig auch automatisch in der gesamten EU anerkannt werden. Mit diesem Beschluss des Europäischen Parlamentes wird das Zusammenwachsen des europäischen Eisenbahnnetzes gewaltig gestärkt. Neue Aufsplitterungen drohen hingegen beim digitalen Signalsystem ERTMS.
Volkswagen, Volvo und Renault wären sicher schon daran verzweifelt, hätten sie denselben Anerkennungsmarathon für ihre Autos und LKWs zurückzulegen, dem sich die europäische Bahnindustrie bisher für ihre Loks, Triebzüge und Waggons aussetzen muss. Denn was den Franzosen Recht sein kein, ist dem Eisenbahnbundesamt oftmals bis dato noch lange nicht billig. Denn eine Lok, die bisher beispielsweise jenseits des Rheins die technische Zulassung erhalten hatte, musste hier dennoch langwierige und kostspielige Anerkennungsverfahren durchlaufen - und vice versa. Um eine zugelassene Lokomotive in einem anderen Mitgliedsstaat einsetzen zu dürfen, dauerte es oft drei Jahre und konnte bis zu 10 Mio. € kosten. Nicht erst im Europa der 27 war das eine Provokation - zum Nachteil der umweltfreundlichen Schiene!
Mit dieser Praxis hat die Europäische Union nun Schluss gemacht. Mitgliedsstaaten und Europäisches Parlament sprachen sich Ende Dezember für die Richtlinie zur "Interoperabilität des Eisenbahnsystems der EU" - die Cross Acceptance genannte gegenseitige Anerkennung von Schienenfahrzeugen innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten aus. In Zukunft gilt die Zulassung eines Schienenfahrzeugs in einem Land für alle 27 Staaten der EU - es sei denn, innerhalb von drei Monaten erhebt ein Mitgliedsstaat Einspruch und begründet, warum ein Betrieb aus Sicherheitsgründen nicht möglich ist. Und weder die Farbe eines Feuerlöschers noch die Größe des Seitenspiegels kann in Zukunft den Einsatz verhindern.
Bremserhäuschen Eisenbahnbundesamt
Die Beweislast wird nämlich umgekehrt: Gestern musste der Hersteller in mühseliger Kleinarbeit die Bedenkenlosigkeit beweisen, morgen müssen eventuelle Sicherheits-bedenken nachvollziehbar artikuliert werden. Ob diese dann berechtigt sind, entscheidet die Europäische Eisenbahn-Agentur (ERA), deren Kompetenz erweitert wird. Ist die Drei-Monatsfrist ohne Einspruch verstrichen, gilt die Zulassung für das gesamte Eisenbahn-Netz der EU. Dadurch können Schienenfahrzeuge in größerer Zahl hergestellt, ihre Kosten gesenkt werden.
Insbesondere das Deutsche Eisenbahn-Bundesamt (EBA) hatte sich bis zum Schluss gegen die Beschränkung ihrer Kompetenzen gewehrt. Es ist der von allen Fraktionen getragenen Hartnäckigkeit zu verdanken, dass ein tragfähiger Kompromiss gefunden und der Bericht nun im Einvernehmen und in erster Lesung von Kommission, Rat und Parlament verabschiedet werden kann.
ERTMS: Gefahr eines neuen Flickenteppich bei Signalen
Während beim Wagenmaterial damit endlich europäische Pfade betreten werden, droht bei den Signal- und Sicherheitssystemen auf Europas Schienennetz ein neuer Flickenteppich - entgegen aller Beschlüsse und Bemühungen des Europäischen Parlamentes. Dies hatte 2006 mit großer Mehrheit meinen Bericht beschlossen, der den Aufbau eines EU-weit einheitlichen Signal- und Sicherheitssytems zum Ziel hat. European Rail Traffic Management Systems, kurz ERTMS heißt die neue digitale Technik, die aus dem Flickenteppich von mehr als 20 verschiedenen Signalsystemen in Europa ein einheitliches Zugsicherungs-/Zugsteuerungs- und Signalgebungssystem schaffen soll. Mit den europäischen Bemühungen für ERTMS sollte vor allem eines verhindert werden: dass beim Übergang vom herkömmlichen System der Signalmasten hin zum digitalen Zeitalter erneut unterschiedliche Standards geschaffen werden.
Derzeit wird vielerorts in Europa ERTMS eingeführt - allerdings in unterschiedlichen Standards und Versionen. Wie bei Computersoftware kann es dann auch hier heißen, dass Signalsystem und Züge nicht zueinander passen. In Italien und den Niederlanden können moderne ERTMS-taugliche Loks nicht eingesetzt werden, weil die beiden Standards 2.2 und 2.3 nicht kompatibel sind. Bei der Modernisierung des norditalienischen Eisenbahnnetzes will man deswegen nun auf das alte landeseigene System setzen - und damit auf die Fortsetzung des Flickenteppichs auf hohem technischen Niveau.
Bereits jetzt ist die Existenz von mehr als 20 unterschiedlichen Signalgebungs- und Geschwindigkeitsüberwachungssystemen in der EU angesichts eines gemeinsamen Binnenmarktes mit wachsenden Verkehrströmen alles andere als zeitgemäß. Lediglich teure Mehrsystemlokomotiven können diese Grenzen überwinden - wie etwa der Thalys zwischen Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Für alle konventionellen Züge - vor allem im Güterverkehr- führt die Situation zu aufwendigen und zeitraubenden Lok- und Personalwechseln.
Auf meine Initiative hin hat der Verkehrsausschuss des Europäischen Parlamentes den Generaldirektor Energie und Verkehr, Matthias Ruete, den EU-Koordinator für die Entwicklung von ERTMS, Karel Vinck, und den Präsidenten der Europäischen Eisenbahnbehörde, Marcel Verslype, zu einem Gespräch eingeladen. Denn noch können milliardenteure Fehlentwicklungen bei der Modernisierung des Eisenbahnnetzes vermieden werden. Das wachsame EU-Parlament wird darauf achten, dass das gelingt.