Heiko Balsmeyer erwähnte noch einmal die historischen Daten. Seit 1999 sei bekannt, dass in der EU Grenzwerte für Stickoxide in der Luft eingeführt werden. Seit Anfang 2010 gelten sie. "Doch noch immer werden diese Werte flächendeckend nicht eingehalten", sagte Balsmeyer. Er ist der Koordinator des Projektes "Clean Air". Es soll sauberere Luft in den Städten bringen - der Bund für Umwelt und Naturschutz, der Naturschutzbund Deutschland, die Deutsche Umwelthilfe und der alternative Verkehrsclub Deutschland machen bei der Kampagne mit. Das Quartett hat am Montag von der Bundesregierung und den Ländern ein "Aktionsprogramm zur Verbesserung von Luftqualität" gefordert.
In den Ballungsgebieten liegt vieles im Argen. Deutlich wird das daran, dass die EU-Kommission inzwischen zwei Vertragsverletzungsverfahren auf den Weg gebracht hat, weil Deutschland sich nicht an seine Verpflichtungen in puncto Luftreinhaltung hält. Es geht einerseits um die Überschreitung der Werte bei Feinstaub in einigen Städten. Noch viel gravierender ist aber, dass in allen größeren Ballungsgebieten - von München über Stuttgart, Frankfurt und Köln bis Berlin und Hamburg - die Vorgaben für Stickstoffdioxid (NO2) seit fünf Jahren nicht eingehalten werden. Und nach derzeitigem Stand ist auch nicht zu erwarten, dass die Werte in den nächsten fünf Jahren erreicht werden. Die EU-Kommission hat deshalb gerade das zweite Vertragsverletzungsverfahren auf den Weg gebracht.
Es drohen Bußgelder, die bis in den Bereich zweistelliger Millionen-Euro-Beträge pro Kommune reichen könnten. Balsmeyer ist aber viel wichtiger als mögliche Strafen, dass die hohen NO2-Konzentrationen, die teilweise den Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft um das Doppelte überschreiten, schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen der Bürger bringen, nämlich Atemwegserkrankungen wie Asthma, und sogar die Gefahr von Lungenkrebs steigt. Wegen der schlechten Luft würden jedes Jahr etwa 70 000 Menschen vorzeitig sterben. Ursache für die hohen NO2-Werte sind Dieselmotoren, die sich bei den Pkw immer stärker breit machen.
Die vier Verbände verlangen nun, dass die Bundesregierung eine ganze Reihe von Vorhaben anstößt. Höchste Priorität hat dabei die Einführung einer "blauen Plakette". Gemeint ist damit eine Verschärfung der Bestimmungen für Umweltzonen. In Kommunen mit starker NO2-Belastung sollen nur noch die Autos in die Citys dürfen, die wenig Stickstoffdioxid in die Luft blasen - was mit einer blauen Plakette an der Windschutzscheibe markiert werden soll. Dieselstinker müssten dann draußen bleiben. Ganz konkret soll die neue Plakette Anfang 2016 kommen, sich an den strengen Vorgaben der neuen Euro-6- Abgasnorm und dem tatsächlichen Verbrauch der Autos orientieren - bislang gelten Werte, die auf einem Prüfstand ermittelt werden und teilweise massiv von der Realität im Straßenverkehr abweichen.
Es braucht Partikelfilter
Um das Erreichen der Vorgaben zu erleichtern, schlägt das Viererbündnis vor, dass der Staat die Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen mit Partikelfiltern erheblich stärker als bislang fördert. Das soll insbesondere auch für Busse gelten, die im Nahverkehr eingesetzt werden.
Doch nicht nur durch den Straßenverkehr wird viel Dreck in die Luft geblasen. Michael Cramer (Grüne), Vorsitzender des Verkehrsausschusses im EU-Parlament, verlangt, dass auch "Filterpflichten für Schienenfahrzeuge" geben müsse. Laut Cramer, Unterstützer des Clean-Air-Projektes, werden Dieseltriebwagen und Rangierloks hierzulande ohne Partikelfiltertechnik betrieben. Entsprechend seien die lokalen Belastungen an Bahnhöfen enorm hoch. Zu den bislang wenig beachteten Luftverschmutzern zählen auch Binnenschiffe, die in der Nähe von Häfen heftige Emissionen erzeugen. Und: "Die Schiffe fahren auf den Flüssen mitten durch unsere Städte durch", so Cramer. Die Umweltverbände und der Verkehrsclub machen sich deshalb unter anderem dafür stark, dass endlich Grenzwerte beim Partikelausstoß für neue Schiffe und Austauschmotoren festgelegt werden.
Sympathie für blaue Plakette
Wie es mit dem Vertragsverletzungsverfahren weitergeht, ist noch offen. Die Bundesregierung bastelt derzeit in puncto NO2 in Abstimmung mit den Bundesländern an einer Stellungnahme für Brüssel. Besonders forsch wird die Sache aber nicht angegangen. "Wichtig ist vor allem die schnelle und breite Marktdurchdringung von solchen Pkw der Abgasstufe Euro 6, die auch im Realbetrieb niedrige Stickoxid Emissionen aufweisen", heißt es auf Anfrage aus dem federführenden Wirtschaftsministerium. Ferner stünden die Automobilhersteller "in der Pflicht, bei der Fahrzeugkonzeption Mobilität und Gesundheitsschutz besser zu vereinbaren". Aber immerhin teilt das Ministerium zudem mit: " Auch eine entsprechende Fortentwicklung der Umweltzonen bietet sich an." Das Umweltministerium führe hierzu Gespräche mit den Ländern. Verschiedene Landesregierungen haben bereits ihre Sympathie für die blaue Plakette signalisiert.
STICKSTOFFDIOXID
Die Gesundheitsgefahren
durch Stickstoffdioxid wurden lange unterschätzt. Inzwischen ist aber klar: Erhöhte Konzentrationen in der Atemluft führen nicht nur zu Hustenreiz und Augenreizungen, sondern zur langfristigen Schädigungen der Atemwege. Mehrere Untersuchungen haben zudem nachgewiesen, dass in Städten mit großer NO2-Belastung die Zahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen markant steigt, dadurch liegt auch die Sterblichkeit höher als in Regionen mit geringen N02-Werten. Mehr noch: Ein Fachmagazin titelte vor einiger Zeit: "Stickstoffdioxid ist ein Killer." Untersuchungen
hatten ergeben, dass massive Beschwerden schon bei Patienten auftreten, die nur für wenige Tage hohen Konzentrationen ausgesetzt waren. Aus diesem Grund empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft als Grenzwert im Jahresdurchschnitt. In der EU gelten 40 Mikrogramm. Relativ wenig erforscht sind die Wirkungen von Stickstoffdioxid als Vorläuferstoff. NO2 begünstigt die Bildung von bodennahem Ozon und von sogenanntem Feinstaub, der krebserregend wirkt. Die wichtigsten Emittenten
von Stickstoffdioxid sind Dieselmotoren. Bei Benzinern zerlegt der Katalysator NO2 in harmlosen Stickstoff. Dies ist inzwischen aber auch mit modernen Dieselkatalysatoren möglich.