Grünes Licht für "grüne Korridore": Güter sollen in der EU umweltfreundlicher transportiert werden

17. Oktober 2008 zur Übersicht

Michael Cramer in der Verkehrszeitschrift "Signal" zu seinem Bericht "Güterverkehr in Europa"

Wie können wir der LKW-Plage in Europa Herr werden? Diese Frage steht derzeit im Zentrum der europäischen Verkehrspolitik. Im September hat das Europäische Parlament den von mir ausgearbeiteten Bericht "Güterverkehr in Europa" beschlossen und darin eine Verlagerung des Frachtverkehrs auf die Schiene und die Beseitigung von Engpässen im europäischen Bahnnetz gefordert. Insgesamt sollen die Transport-Korridore grüner werden - durch weniger Emissionen, besseren Lärmschutz und den Einsatz erneuerbarer Energien.
Europas Bürgerinnen und Bürger leiden zunehmend unter der Last des wachsenden Güterverkehrs, vor allem auf der Straße. Der Güterverkehr auf deutschen Straßen ist von 1991 bis 2002 um fast 45% gestiegen. Prognosen gehen von einer weiteren starken Zunahme des Güterverkehrs aus. Im Zuge der Osterweiterung der EU ist besonders der Ost-West-Verkehr überproportional gestiegen. Diese gewaltigen Zuwächse in kurzer Zeit würden nicht nur das Straßen-, sonder auch das Schienennetz zusammenbrechen lassen. Deswegen wollen die Grünen im Europäischen Parlament zu allererst vermeiden, verlagern und effizienter machen.
Dass Verkehrsvermeidung möglich ist, ohne auf etwas verzichten zu müssen, zeigt allein folgendes Beispiel: Großbritannien importiert jedes Jahr 1,5 Millionen Tonnen Schweinefleisch. Exakt dieselbe Menge Schweinefleisch wird jährlich aber auch exportiert. Lebensmitteltransporte haben so in den vergangenen Jahren in Europa um 20 Prozent zugenommen, ohne dass insgesamt mehr Lebensmittel konsumiert würden. In der Folge wachsen auch die vom Lkw-Verkehr verursachten Umwelt- und Gesundheitsschäden durch Abgase und Lärm. Dieselruß ist krebserregend, Stickoxide verursachen sauren Regen, erhöhen die Ozonbelastung und beschleunigen das Waldsterben, Kohlendioxid trägt zum Treibhauseffekt bei. Ein vorbeifahrender Lkw erzeugt einen Lärmpegel von 90 Dezibel. Schon 85 Dezibel können zu Hörschäden führen.
Die Probleme sind hinlänglich bekannt - und doch bewegt sich politisch leider nur wenig, dem drohenden Verkehrsinfarkt entgegenzusteuern. Das Europäische Parlament hat nun durch den Beschluss meines Berichtes zum Güterverkehr in Europa einen deutlichen Akzent gesetzt. Mit ihm kommen konkrete Vorschläge auf den Tisch, die der EU-Kommission klare Zielvorgaben geben, wenn sie demnächst ihren Aktionsplan zum Güterverkehr vorlegt. Dass die EU-Kommission hier offenbar Nachhilfe braucht, hatte sie im Vorfeld leider allzu deutlich bewiesen: die vor einem Jahr präsentierten Vorstellungen, wie Güter in Europa effizienter und grüner transportiert werden könnten, waren entweder realitätsfern oder bis zur Beliebigkeit unkonkret. Zwei Beispiele: beim Stichwort "grüne Korridore" fiel der Brüsseler Behörde nur ein, dass die LKWs künftig Agro-Sprit tanken könnten. Im Eisenbahnbereich hingegen schienen die Ambitionen der Kommission kaum zu stoppen. Ihr Vorschlag beinhaltete den Aufbau eines eigens für den Güterverkehr vorgesehenen Schienennetzes, das nicht durch den Personenverkehr gestört werden soll.
In meinem Bericht wird gerade letzteres eindeutig abgelehnt. Ein eigenständiges Eisenbahn-Güterverkehrsnetz in Europa ist ein schöner Traum - doch in den meisten Ländern sind auf der Schiene die Mischverkehre zuhause, d.h. Güter- und Personenzüge fahren auf denselben Gleisen. Das Parlament setzt dagegen auf Intelligenz statt Beton. Das Europäische Parlament fordert, zunächst auf die bestmögliche Ausnutzung und Verbesserung der technischen und logistischen Möglichkeiten der bestehenden Infrastruktur zu setzen. Angesichts knapper finanzieller Ressourcen auf europäischer wie auch nationaler Ebene muss dieser Schritt immer Vorrang haben.
Mehr Substanz hat der Bericht der Kommissions-Idee von "grünen Korridoren" gegeben. Der Verkehr soll auf umweltfreundliche Verkehrsträger verlagert werden, um nicht nur Unfälle, Stau und Lärm sondern auch Luftverschmutzung und Landschaftsverbrauch zu verringern. Eine wichtige Rolle sollen dabei die erneuerbaren Energien spielen, wobei Wind und Sonne ausdrücklich erwähnt werden. Mit der Aufnahme des "polluter-pays-principle", des Nutzer- und Verursacherprinzips für alle Verkehrsträger, gibt der Bericht auch in der Debatte um die Eurovignette eine klare Botschaft ab: der stark umweltschädliche LKW-Verkehr darf nicht länger subventioniert, die externen Kosten müssen internalisiert werden.
Die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene bleibt zentrales Ziel. In Europa werden nur etwa 17 Prozent der Güter mit der Bahn transportiert, im Highway-Land USA liegt der Anteil hingegen bei 40 Prozent. Die EU wird den wachsenden Güterverkehr nur dann bewältigen können, wenn sie ihre Bahninfrastruktur verbessert. Die Verkehrsminister der Mitgliedsstaaten werden dringend aufgefordert, den nationalen Blickwinkel zu überwinden und die für Europa notwendigen Investitionen in ihren Ländern zu veranlassen.
Wichtig ist auch die Verknüpfung der Verkehrsträger. Damit das Umladen von Gütern etwa vom LKW auf die Bahn nicht zum bürokratischen Spießrutenlauf wird, fordert der Bericht ein einheitliches Beförderungs-Dokument für Schiff, Bahn, LKW und Flugzeug. Das Parlament spricht sich auch für einen europäischen Seeverkehrsraum ohne Grenzen und eine nicht nur europäische sondern weltweite Norm für die intermodalen Lade-Einheiten aus. Um intermodale Transporte möglich zu machen, müssen auch die See- und Binnenhäfen besser mit dem Straßen- und Schienennetz des Hinterlandes verknüpft werden.
Leider haben Konservative und Sozialdemokraten einen wichtigen Aspekt des Berichtes abgeschwächt. Die Aufforderung an die Kommission, die zehn größten Engpässe und Problemstellen im europäischen Schienengüterverkehr zu benennen, haben sie verhindert. Gerade eine solche Analyse ist aber notwendig, um die Schwachstellen im Bahnnetz schnell zu beheben und so größere Kapazitäten zu schaffen. Die EU-Kommission selbst hat diese Idee meines Berichtsentwurfes übrigens sehr begrüßt. In ihrem Aktionsplan zum Güterverkehr sollte sie deshalb auf keinen Fall fehlen.
[box]Hintergrund: Wie die EU Gesetze macht
Politische Entscheidungen, die für fast 500 Millionen Menschen in der EU Geltung haben, sollten gut überlegt sein. Bevor die EU-Kommission konkrete Gesetzesvorschläge macht, lässt sie deshalb häufig bereits im Vorfeld Test-Ballons starten. In so genannten Mitteilungen zeichnet die Behörde ein Bild davon, was sie politisch vorhat. In nicht weniger als vier Mitteilungen hat die EU-Kommission im vergangenen Herbst genau das für die Entwicklung des Güterverkehrs in Europa getan, unter anderem in der "Mitteilung zur Entwicklung eines für den Güterverkehr bestimmten Schienennetzes in Europa".
Das EU-Parlament hat nun darauf geantwortet, indem es meinem Initiativ-Bericht zugestimmt hat. Damit hat die Kommission ein Bild davon, welche ihrer Vorschläge Unterstützung fänden und wo das Parlament andere Vorschläge macht. Erst jetzt beginnt der Gesetzgebungsprozess: die Kommission wird nun Entwürfe für Richtlinien vorlegen. Hier ähnelt sich der Gang der Gesetzgebung dem, was man aus der deutschen Politik kennt. In erster und zweiter Lesung befassen sich zunächst das EU-Parlament und dann der Ministerrat, die Kammer der Mitgliedsstaaten, mit dem Vorschlag der Kommission. Gibt es keine Einigung zwischen Parlament und Rat, wird - wie in Deutschland zwischen Bundestag und Bundesrat - der Vermittlungssauschuss angerufen.
Anders als in Deutschland hat auf EU-Ebene nur die Europäische Kommission das Recht, Vorschläge für Richtlinien und Verordnungen zu machen. Ein EU-Gesetz kommt nur dann zustande, wenn sich alle drei Institutionen geeinigt haben: das Europäische Parlament, der Ministerrat (die Regierungen der Mitgliedsstaaten) und die Europäische Kommission. Richtlinien müssen dann in der Regel innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden, in Deutschland also durch einen Gesetzesbeschluss des Bundestages. Verordnungen gelten hingegen nach ihrem Beschluss in Brüssel unmittelbar innerhalb der ganzen EU.[/box]