Michael Cramer, 56, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, macht sich für einen Rad-Wanderweg entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs stark
Sie haben gerade Gelder losgeeist für einen Radweg, der von Nord nach Süd durch Europa führt. Wer hatte die Idee zum Iron Curtain Trail? Michail Gorbatschow oder Michael Cramer?
Gorbatschow ist der Schirmherr des Projekts. Er setzt sich dafür ein, dass die Erinnerung an die Spaltung des Kontinents wach gehalten und der ehemalige Eiserne Vorhang zum Naturschutzprojekt "Grünes Band" wird. Ich habe die Idee ins Europäische Parlament eingebracht und dafür auch eine große Mehrheit gefunden. Im diesjährigen EU-Haushalt ist der Iron Curtain Trail unter der Rubrik "Nachhaltiger Tourismus" erwähnt und wird finanziell gefördert. 19 Länder, darunter 12 EU-Mitgliedsstaaten, sind beteiligt. In allen Ländern Europas gibt es mittlerweile Gruppen, die sich für den Iron Curtain Trail einsetzen, in Deutschland ist das besonders der BUND. Auch Günter Verheugen, der für Tourismus zuständige EU-Kommissar, ist von dem Projekt begeistert.
Hatten Sie für Ihre Initiative ein Vorbild?
Ja, den Boston Freedom Trail. Das ist ein schöner Fußweg, ein fünf Kilometer langer Streifen, der an die Orte des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs in der Stadt erinnert und sie verbindet. Dieser Trail war die Anregung für den 160 Kilometer langen Berliner Mauerweg, den ich vor fünf Jahren zum 40. Jahrestag des Mauerbaus initiiert habe. Der Berliner Weg wurde ausgeschildert, sandige Strecken, an denen man das Rad schieben musste, wurden beseitigt und, für das letzte Maueropfer, Chris Geffroy, wurde eine Stele errichtet. Inzwischen ist die Route nahezu fertig. Auch in diesem Sommer führe ich wieder alle 14 Tage samstags Radtouren am Mauerweg entlang. So kann man Geschichte, Politik und Kultur in Berlin erfahren. Und jetzt übertrage ich diese Berliner Erfahrungen auf die europäische Ebene, denn nicht nur Berlin und Deutschland waren gespalten, sondern auch Europa. Deshalb der Iron Curtain Trail.
Wo führt der Weg denn entlang?
Das sind etwa 7000 Kilometer, von der Barentssee an der norwegisch-russischen Grenze bis zum Schwarzen Meer.
Das ist ja eine gewaltige Strecke.
Natürlich werden nur sehr wenige Radler den ganzen Weg abfahren, aber bestimmte Abschnitte sind schon heute in einem hervorragenden Zustand und stark frequentiert, weil sie auf traditionellen Radwegen verlaufen, die von den Staaten oder Regionen selbst bereits fertig gestellt wurden. Dazu gehören etwa der Ostseeradweg von Tallinn nach Riga, der Praha-Wien-Greenway oder der Donau-Radweg zwischen Serbien und Rumänien. In Deutschland konzentrieren wir uns auf den 1400 Kilometer langen deutsch-deutschen Grenzweg von der Ostsee zum Vogtland, der permanent ausgebaut und verbessert wird. Teilweise können auch die noch bestehenden Patrouillenwege der Grenzanlagen benutzt werden. Dieser sanfte Tourismus stärkt auch die lokale Wirtschaft, denn Radfahrer geben mehr Geld aus als Autotouristen.
Der politische Rückenwind durch die Europäische Union ist da. Aber wer soll das Projekt bezahlen? Ein Fernradweg muss ausgebaut, beschildert und erhalten werden.
Wie bei Straßen- und Schienenprojekten tragen das hauptsächlich die Mitgliedstaaten. Die Regionen können Gelder aus der Regionalförderung beantragen und die neuen Mitgliedsstaaten aus den sogenannten Kohäsionsfonds.
Wie können sich Radtouristen schon heute über das Projekt informieren?
Im Moment erstelle ich eine Broschüre mit Karten und Wegebeschreibungen. Dort liste ich auf, wo man fahren kann, wie nah man an die Grenze herankommt, wie die Beschaffenheit der Strecke ist. Das ist auch eine Grundlage für die jeweils örtlichen Behörden, um zu entscheiden, welche Lücken sie noch schließen müssen. Was wir noch brauchen, ist ein Symbol, ein Logo, für die einheitliche Beschilderung in allen Ländern. Wenn wir dann in den nächsten zehn Jahren den gesamten Weg fertig bekommen, wäre ich sehr zufrieden.
Wie soll der frühere Todesstreifen zum attraktiven Touristenpfad werden?
Einmal wollen wir die Natur im gesamten Grenzstreifen schützen. In Deutschland und Finnland zum Beispiel war er stellenweise 30 bis 40 Kilometer breit. Dort konnten sich Flora und Fauna so ungestört entwickeln wie nirgendwo sonst in Europa. Aber damit er nicht nur der Natur überlassen bleibt, wollen wir ihn zugänglich machen für den sanften Tourismus. Das Projekt "Grünes Band" ist die Umwandlung des Todesstreifens in einen Lebensraum.
Seit 17 Jahren ist der Eiserne Vorhang zwischen Ost und West geöffnet. Wie können Radler nicht nur die Natur, sondern auch die Geschichte am ehemaligen Grenzstreifen erfahren?
An der Grenze findet man zum Beispiel viele Kreuze, die an erschossene Flüchtlinge erinnern, es gibt Grenztürme, die zu Museen ausgebaut wurden und es gibt mehrere Grenzlandmuseen wie in Schnackenburg. Wir wollen die Vergangennheit für die zukünftigen Generationen anschaulich machen. Denn für die meisten jungen Menschen ist der Eiserne Vorhang heute schon Geschichte.