Von Peter Kirnich
Die Grünen haben die Bundesregierung und die EU aufgefordert, von gigantischen transeuropäischen Verkehrsprojekten Abstand zu nehmen. "Auf teure Prestige-Projekte wie die geplante Fehmarnbelt-Brücke zwischen Deutschland und Dänemark müssen wir verzichten", sagte der Europa-Abgeordnete der Grünen, Michael Cramer, der Berliner Zeitung. Nach der jüngsten Einigung der EU-Staats- und Regierungschefs über die Haushaltsplanung bis 2013 stehe für die transeuropäischen Verkehrsnetze wesentlich weniger Geld zur Verfügung als geplant. "Statt der vom EU-Parlament geforderten 20 Milliarden Euro wurden für diese Projekte bisher nur sieben Milliarden zugesichert", sagte der Verkehrsexperte. Tatsächlich werden die Kosten für die 30 Projekte auf 160 Milliarden Euro geschätzt.
Häfen werden abgekoppelt
Nicht nur angesichts der knappen Mittel müssten die Verkehrsplanungen unter zwei Gesichtspunkten überprüft werden: "Welchen verkehrspolitischen Effekt haben sie, und wie wirken sie sich auf die Umwelt aus." Für die rund 20 Kilometer lange Fehmarnbelt-Querung sei da kein Platz. Die gigantische Brücke in der Ostsee zwischen Deutschland und Dänemark soll nach bisherigen Plänen 2017 fertig werden. Für das Projekt setzt sich vor allem Schleswig-Holstein ein.
Geplant wurde es bereits vor der deutschen Einheit. "Seither haben sich aber die Verkehrsströme in Europa gewaltig verändert", so Cramer. Vom schwedischen Trelleborg gebe es heute täglich mehr als zehn Schiffsverbindungen nach Rostock und Sassnitz. Vom dänischen Gedser würden moderne und schnelle Fährschiffe im Zwei-Stunden-Takt rund um die Uhr nach Rostock fahren. "Sollte die Brücke tatsächlich gebaut werden, wären die mit Milliarden-Investitionen modernisierten Häfen in Mecklenburg-Vorpommern und Südschweden am Ende", sagte Cramer. Nicht nur Ostdeutschland, ganz Ost-Europa würde vom Nord-Süd-Verkehr der EU abgekoppelt. Auch für den Lübecker Hafen wäre eine feste Belt-Querung Gift.
Etwa 20 Prozent der südschwedischen Verkehre, die heute über Travemünde liefen, würden dann wegfallen. Aus diesem Grunde hält auch der Lübecker Wirtschaftssenator Wolfgang Halbedel (CDU) nichts von der Belt-Querung:
"Das Projekt ist ökonomisch und ökologisch Unsinn."
Auch aus umweltpolitischer Sicht mache die Belt-Querung wenig Sinn. Denn die Brücke würde dem Lkw einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber Schiff und Bahn verschaffen, begründete Cramer. Da parallel zur Bahnstrecke auch eine Straßenbrücke gebaut werden soll, würde die Verlagerung auf die Schiene nicht stattfinden. "Vielmehr würde der Lkw-Verkehr zwischen Skandinavien und Ost-Europa mit kilometerlangen Umwegen quer durch Schleswig-Holstein laufen." Auch ohne das Brückenbauwerk wachse die Region Schleswig-Holstein/Ostdänemark/Südschweden immer enger zusammen. Seit sechs Jahren verkehren moderne Doppelend-Fähren auf der sogenannten Vogelfluglinie Puttgarden-Rødby rund um die Uhr, 96 mal am Tag, das ganze Jahr. Die Überfahrt dauert nur 45 Minuten. Die Kapazität der Schiffe wurde für Pkw und Lkw erweitert. Die Wartezeiten wurden fast vollständig abgebaut.
Viele der transeuropäischen Verkehrsnetze seien "die reine Wunschliste nationaler Egoismen", sagte Cramer weiter. Sie würden viel Geld verschlingen, verkehrspolitisch aber von bescheidenem Nutzen sein. Auch für die Bundesregierung habe der Bau der Fehmarnbelt-Brücke offenbar keine Priorität. Ein Positionspapier für die konventionellen Güterverkehrsnetze, das zwischen der Bundesregierung, der Deutschen Bahn und dem Eisenbahnbundesamt abgestimmt wurde, sehe vor, "den Skandinavienverkehr über die Öresund-Brücke zwischen Dänemark und Schweden zu leiten". Die Brücke sei aber bei weitem nicht ausgelastet. Deshalb soll die Eisenbahnstrecke zwischen Hamburg und Flensburg elektrifiziert und modernisiert werden.
Ost-West-Strecken ausbauen
Cramer setzte sich dafür ein, statt in unsinnige Prestige-Projekte stärker in die europäischen Ost-West-Verkehrsverbindungen zu investieren.
"Fast zwei Jahre nach der Wiedervereinigung Europas und mehr als 15 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sind gerade die Eisenbahnlinien nach Osten noch immer in einem schlechten Zustand", kritisierte Cramer. Die Züge von Berlin nach Tallin seien heute doppelt so lange unterwegs wie im letzten Jahrhundert: "Damals schaffte die Dampflok die Strecke in 27 Stunden, heute braucht man 60 Stunden." Von Berlin nach Breslau habe sich die Fahrzeit von einst zweieinhalb auf heute sechs Stunden verlängert.
"Der Franzose Jacques Barrot wäre ein sehr erfolgreicher EU-Kommissar für Verkehr, wenn er am Ende seiner Amtszeit verkünden könnte, dass er im Europa des 21. Jahrhunderts im Ost-West-Schienenverkehr wenigstens das Tempo der Dampflok erreicht hätte!".