Geisterfahrer beim Klimaschutz

07. Januar 2008 zur Übersicht

Ein Tempolimit würde dazu animieren, umweltfreundlichere Autos zu produzieren - Kommentar von Michael Cramer in der tageszeitung

In Brüssel kursiert folgender Witz: "Was haben Afghanistan und

Deutschland gemeinsam? Sie sind die einzigen Länder ohne Tempolimit auf

Autobahnen. Was unterscheidet sie? Afghanistan hat keine Autobahnen."
Offenbar ist dieses Bonmot mittlerweile auch beim Präsidenten der

EU-Kommission José Manuel Barroso angekommen. Der konservative

Portugiese, alles andere als ein Vorreiter in Sachen Umweltschutz,

empfahl erst vor kurzem, die Deutschen sollten ihre Sonderrolle aufgeben

und eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf ihren Autobahnen einführen. Dies

gelte umso mehr angesichts der Tatsache, dass der Verkehr in Europa für

knapp 30 % der CO2-Emissionen verantwortlich ist: 70 % des importierten

Erdöls wird auf europäischen Straßen verbrannt.
Während die Industrie etwa ihre CO2-Emissionen senken konnte, haben sie

im Verkehr hingegen seit 1990 um ein Viertel zugenommen. Im Luftverkehr,

wo sie drei- bis viermal so gefährlich sind wie auf der Erde, stieg der

CO2-Ausstoß sogar um 100 Prozent. Wer aber den Klimawandel bekämpfen und

weg vom Öl will, der muss auch in der Verkehrspolitik umdenken.
Aufgrund der aktuellen Klimadebatte gibt es in Deutschland endlich eine

Mehrheit für ein Tempolimit auf Autobahnen, jedenfalls in der

Bevölkerung und auch im Bundestag; auch die SPD hat sich auf ihrem

letzten Parteitag dafür ausgesprochen. Offensichtlich sind die

Bürgerinnen und Bürger klüger und umweltbewusster als die Bundesregierung.
Es gibt auch Landespolitiker, die ein Tempolimit begrüßen: Der

brandenburgische Verkehrsminister Reinhold Dellmann etwa begründet seine

Position mit den guten Erfahrungen, die auf der A 24 zwischen Berlin und

Hamburg gesammelt wurden. Nach der Anordnung von Tempo 130 haben sich

auf dem als "Todesautobahn" gefürchteten Abschnitt zwischen den

Dreiecken Havelland und Wittstock innerhalb eines Jahres die Unfälle

halbiert - und das trotz wachsenden Verkehrs! Früher donnerten auf der

Überholspur Autos mit 180, 200 oder gar 220 km/h entlang. Die

Reaktionszeit der Raser war für einen schnellen Stopp oft zu kurz, wenn

langsamer fahrende Fahrzeuge nach links ausscherten. Heute sind Raser

auf dieser Piste die Ausnahme.
Dellmanns Beobachtung deckt sich mit früheren Erfahrungen während der

Ölkrise 1973/74. Damals wurde in Deutschland nämlich nicht nur ein

Sonntagsfahrverbot verhängt, sondern auch Tempo 100 auf Autobahnen

verordnet. Hans-Jochen Vogel, damals Minister im Kabinett von Willy

Brandt, wies seinen Fahrer an, sich daran auch zu halten. Der oft als

"Oberlehrer mit Klarsichthülle" verspottete Vogel legte Wert darauf,

dass Wort und Tat übereinstimmen.
Das Ergebnis der 111 Tage jedenfalls war beeindruckend: Der

Spritverbrauch sank, ebenso die Zahl der Unfalltoten. Im Januar 1974

ging sie sogar um 60 Prozent zurück. Als Folge der ADAC-Kampagne "Freie

Fahrt für freie Bürger" wurde die Geschwindigkeitsbegrenzung wieder

aufgehoben. Dabei war allen klar, dass es damit wieder mehr Verletzte

und Tote auf Deutschlands Autobahnen geben würde.
Ein Tempolimit ist aber auch aus ökologischen Gründen geboten. Denn bei

einer Fahrgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern benötigt ein Pkw der

Mittelklasse nur etwa 5,2 Liter Benzin. Bei Tempo 120 km/h steigt der

Verbrauch bereits auf 6,5 Liter, bei Tempo 160 km/h gar um das Doppelte

(!), auf rund 10,5 Liter. Ähnlich verhält es sich beim

Mittelklasse-Diesel. Ein Tempolimit würde deshalb eine CO2-Reduktion von

30 Prozent ermöglichen, schätzt das Umweltbundesamt.
Nach einer Senkung der Höchstgeschwindigkeit könnte zudem auch das

Gewicht der Autos verringert werden. Mit einem Tempolimit könnte schon

heute - mit leichteren Materialien - ein umweltfreundlicherer

Mittelklassewagen für vier Personen gebaut werden. Damit erreicht man

eine Verbrauchsreduktion um gut ein Viertel: Statt 7,2 Liter Benzin

verbraucht das Fahrzeug bei gleicher Leistung dann nur noch 5,5 Liter

Benzin. Leichtere Sitze verringern das Gewicht, schmalere

Leichtlaufreifen den Rollwiderstand. Würde dann noch die

Höchstgeschwindigkeit technisch auf 160 km/h begrenzt, so könnte die

Leistung des Motors verringert, der Verbrauch dann sogar auf 4,4 Liter

pro 100 km gesenkt werden. Auch der CO2-Ausstoß verringert sich dann um

ein Drittel!
Würde etwa der VW Golf zu so einem Niedrigenergieauto umgebaut, könnte

das Fahrzeug am Ende weniger als 1.000 kg wiegen und würde nur noch 4

Liter Diesel verbrauchen - gegenüber vorher 5,6 Litern. Der VW Golf wäre

so das erste familientaugliche Fahrzeug, das auf einen CO2-Ausstoß unter

100 g/km käme. Dabei würde das Auto mit modernster gewichtsparender

Technik ausgestattet. Die Hintertüren würden dann aus

Naturfaserverbundwerkstoff hergestellt, der eine Gewichtsersparnis

bringt. Der Motor stammt aus dem 3-Liter-Lupo und wird an den Golf

angepasst. Die Leichtlaufreifen weisen, bei gleicher Sicherheit, einen

um 60 Prozent verringerten Rollwiderstand auf.
Die Bundesregierung kennt diese Berechnungen, sieht für die

CO2-Reduktion aber "nur" ein Einsparpotenzial von 2,5 Millionen Tonnen.

Maßnahmen in diesem Bereich lohnten sich deshalb nicht, sagen

Umweltminister Gabriel und Verkehrsminister Tiefensee. Logisch nicht

mehr nachvollziehbar bei einer solchen Argumentation ist aber, dass sie

im Kabinett dann einem Gebäudesanierungsprogramm zugestimmt haben, mit

dem lediglich 1 Million Tonnen an Kohlendioxid eingespart werden können.

Im Unterschied zu einem Tempolimit würde dieses Programm auch erst in

einigen Jahren volle Wirkung zeigen - und bis dahin 1 Milliarde Euro

kosten. Warum die Bundesregierung angesichts dessen auf ein kostenloses

Instrument zum Klimaschutz verzichtet, ist rational nicht mehr zu

erklären. Die Auto-Lobby lässt grüßen.
Diese Irrationalität lähmte auch Rot-Grün: Als die SPD 1998 an die

Regierung kam, stand das Tempolimit zwar im Wahlprogramm von SPD und

Grünen. Gerhard Schröder verhinderte aber mit einem "basta" die

Verankerung im Koalitionsvertrag. Unterstützt wurde er dabei von Oskar

Lafontaine, der heute für die "Linke" im Bundestag einen Antrag zum

Tempolimit unterschreibt. Er hätte es einst, als Parteivorsitzender der

SPD, mit Hinweis auf das Wahlprogramm durchsetzen können.
Heute ist Angela Merkel gefragt. Beim Kampf gegen den Klimawandel kann

sie nur glaubwürdig sein, wenn sie sich von der Geisterfahrt beim

Tempolimit verabschiedet. Sonst müssen sich die Deutschen den Vorwurf

gefallen lassen, dass sie nur dann für Klimaschutz sind, wenn ihre

Industrie davon profitiert.
Nur einen Verlierer gäbe es bei der Einführung eines Tempolimits in

Deutschland: Es sind die Verkäufer von All-inclusive-Paketen an

internationale Autotouristen, die nur deswegen nach Deutschland fliegen,

um einmal mit 250 Stundenkilometern über die Autobahn donnern zu können.

MICHAEL CRAMER