Zur schier unendlichen Kette von Problemen und Pannen beim Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) kommt ein weiteres Glied hinzu. Die Entscheidung der Europäischen Kommission vom Donnerstag, ein Verfahren gegen Deutschland wegen Verstößen gegen EU-Umweltrecht bei der Flugroutenplanung einzuleiten, schafft neue Unsicherheit - und löste unmittelbar danach Debatten über die
Versäumnisse der Politik und über den Standort Schönefeld aus.
Was genau beanstandet die Europäische Kommission?
Brüssel vermutet, dass Deutschland bei der Planung des Luftverkehrs generell die EU-Richtlinien zur Umweltprüfung und zum Erhalt natürlicher Lebensräume teilweise missachtet. Ob konkret bei der Änderung der ursprünglichen Flugrouten am BER die Folgen für die Umwelt ausreichend untersucht wurden, hält sie für ungeklärt. Die Stellungnahme der Bundesregierung dazu werde geprüft, so ein Sprecher.
Wer legt die Routen fest?
Letztlich das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BFA), nach Abstimmung mit betroffenen Gemeinden und Fluglinien. Das BFA teilte gestern mit, die Kritik der EU werde geprüft. Bisher hielt es eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung nach Korrektur der Flugrouten Anfang 2012 für überflüssig.
Was ist daran strittig?
Anwohner und Umweltschützer kritisieren, dass die abknickenden Routen über Vogelschutzgebiete etwa am Müggelsee und bei Rangsdorf (Teltow-Fläming) und zudem über Wohngebiete führen. Parallel zur EU-Beschwerde klagen sie deshalb vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, das bereits geplante Flüge über den Wannsee kippte. Am 11.Juni wird darüber erneut und in Sachen Müggelsee verhandelt, Mitte September über die Route über den Rangsdorfer See.
Kann das Verfahren den Start des BER zusätzlich verzögern?
Das ist unwahrscheinlich, aber nicht ganz auszuschließen. Geflogen werde so oder so, wenn der Flughafen fertig ist, heißt es bei den Gesellschaftern - die Frage sei nur, auf welchen Routen. Die jetzt geplanten wurden mit der Drehkreuzfunktion des BER begründet. Kippen sie, müsste neu geplant werden - mit unabsehbaren rechtlichen und finanziellen Folgen.
Wie geht es weiter?
Das Vertragsverletzungsverfahren der EU hat drei Stufen. Am noch fernen Ende könnte eine Klage der Brüsseler Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg stehen, der Zwangsgeld oder Strafzahlungen gegen Mitgliedstaaten verhängen darf. Soweit kommt es aber in der Regel nicht. Die Opposition und Kläger fordern unmittelbare Konsequenzen. Renate Künast, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, sagte der Berliner Zeitung: "Jetzt müssen die drei Gesellschafter Berlin, Brandenburg und Bund unverzüglich die Prüfung nachholen." Der Grünen-Europaabgeordnete Michael Cramer rief dazu auf, sich an EU-Recht zu halten. Der Bund habe über die Brüsseler Einwände hinweggehen wollen und erhalte nun wie Berlin und Brandenburg die Quittung.
Wie reagieren die unmittelbar Betroffenen rund um den BER?
Joachim Quast von der Bürgerinitiative Friedrichshagen sagte der Berliner Zeitung, das EU-Verfahren sei "ein Mosaiksteinchen" im Kampf gegen die Lärmbelastung. Am Ende müsse der Planfeststellungsbeschluss von 2004 geändert werden. Das dementierte aber die Brandenburger Landesregierung, die für die Genehmigung zuständig ist. Der Bürgermeister der vom Lärm stark betroffenen Gemeinde Blankenfelde-Mahlow, Ortwin Baier (SPD), erklärte: "Der Standort des BER ist und bleibt falsch."