Biathlon-Olympiasieger Björn Ferry schämt sich. Der Schwede ist einer der vielen privilegierten Menschen, die mehrmals im Jahr ins Flugzeug steigen können, um von Job zu Job zu jetten. Doch Ferry weiß: Fliegen ist Klimakiller Nummer 1. Deshalb hat der Ex-Sportler aus seiner Scham eine Tugend gemacht. Statt per Flieger bereist der Kommentator Weltcup-Orte mit dem Zug. Das Phänomen heißt in Schweden "Flygskam" und ist dort ganz normal. In Deutschland kommt es gerade erst an.
Reisen steht für Entspannung, Bildung und Freiheit. Es ist zum Statussymbol geworden, mit Löwen in der Serengeti Fotos zu machen oder zwischen Korallen im australischen Great Barrier Reef zu schwimmen - und sich in sozialen Netzwerken Applaus abzuholen. Das korrespondiert mit den boomenden Flugzahlen in Deutschland. Zugleich steigt das ökologische Gewissen. Der Forschungsgruppe Wahlen zufolge ist der Klimawandel in der Bevölkerung knapp hinter der Migration das dringlichste Problem. Das war Anfang des Jahres noch nicht so. Immer mehr Menschen befinden sich im Dilemma: Fliegen oder lieber nicht? Und ist Verzicht das richtige Mittel zum Klimaschutz? Nicht nur, sagen Umweltexperten.
Kein nationaler Alleingang
Einer, der seit Jahren den fehlenden Willen auf Bundes- und europäischer Ebene anprangert, ist der Grünen-Politiker Michael Cramer. Er fordert eine Kerosinsteuer in Deutschland und eine Mehrwertsteuer auf transnationale Flüge. Überlegungen für eine Kerosinsteuer wurden hierzulande bereits diskutiert. Das ist aber Jahre her. Die letzte Umweltministerin, die sich dafür einsetzte, war Angela Merkel (CDU). Sie wurde vom damaligen Kanzler Helmut Kohl (CDU) ausgebremst. Seitdem liegt das Thema brach. Zwar zeigt sich Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) offen gegenüber einer Besteuerung, doch passiert ist bisher nichts.
Das liegt daran, "dass deutsche Alleingänge bei diesem Thema nicht weiterführen", äußert Steffen Bilger, Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium, gegenüber dieser Zeitung. "Grundlegende regulatorische Änderungen sollten immer auf internationaler oder zumindest europäischer Ebene getroffen werden." Das sieht auch Cramer, der für die Grünen im Europäischen Parlament sitzt, so. Die Verantwortung liegt bei der Europäischen Union: "Die EU könnte vorangehen, indem innereuropäische Flüge besteuert werden." Ob eine Kerosinsteuer Ziel europäischer Politik wird, ist nicht absehbar, verdeutlicht Bilger. "Einer dafür erforderlichen Änderung der EU-Energiesteuerrichtlinie müssten alle EU-Mitgliedstaaten zustimmen."
Doch höhere Steuern bedeuten steigende Ticketpreise - das stinkt Vielfliegern und verprellt Wähler. Um dem zu entgehen, schlagen Umweltschützer wie Magdalena Heuwieser vor: "Man muss andere Verkehrsträger attraktiver machen." Heuwieser hat das Netzwerk "Stay Grounded" gegründet, das mit weltweit 118 Mitgliedsorganisationen Flugverzicht bewirbt und Lobbyarbeit für umweltfreundliche Verkehrsträger macht. "Zugtickets müssen billiger werden", fordert die Aktivistin. Der Grünen-Abgeordnete Cramer weiß wie: Die Mehrwertsteuer auf Bahnfahrten muss weg. "Es kann doch nicht sein, dass eine Bahnfahrt nach Paris wegen der Steuern das Fünffache von dem kostet, was ein Flugreisender zahlt."
Auf innerdeutschen Strecken konkurrieren Bahn und Flieger nur dann, wenn Passagiere schnell und billig ans Ziel kommen. Das verdeutlicht die Schnellfahrstrecke zwischen Berlin und München. Eine DB-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 46 Prozent der Gäste auf der Strecke heute den Zug nehmen, 30 Prozent das Flugzeug. Vor Einführung des Sprinters wurde der Flieger zu 48 Prozent und die Bahn zu 23 Prozent genutzt. Die DB erhofft sich dank weiterer Sprinter-Strecken, den Fluggesellschaften immer mehr Passagiere abzuluchsen. Doch die Umstellung auf das neue Zugsicherungssystem ist teuer und die Finanzierung nicht geklärt.
Um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, haben Fluggesellschaften deshalb zugesagt, von 2020 an CO2-neutral zu wachsen. Bis 2050 sollen die Emissionen der Luftfahrt verglichen mit 2005 sogar halbiert werden. Um das zu schaffen, investieren die Airlines in Biokerosin, neue Triebwerke und leichtere Maschinen. Das Problem: Das Ganze ist kostspielig. Ein Zusammenschluss von Gesellschaften, Triebwerkherstellern und Fluglotsendiensten fordert daher staatliche Unterstützung der Luftfahrt. Im Klartext: Ohne Finanzspritzen keine saubere Luft.
Jeder kann etwas tun
Doch nicht nur Gesellschaften, auch der Einzelne kann was tun. Damit zumindest werben Organisationen wie Atmosfair. Wer nicht auf den Flug verzichten möchte, zahlt eine Kompensation an die Initiativen. Die finanzieren Projekte, die CO2 in der Atmosphäre reduzieren. Beispiele sind die Wiederaufforstung des Urwalds oder Biogasanlagen in Asien, damit Bauern kein Holz mehr zum Heizen verbrennen müssen. Ob das etwas nützt, ist umstritten. Einer Studie des Öko-Instituts zufolge ist bei über 80 Prozent der untersuchten Projekte unwahrscheinlich, dass sie zusätzliche Emissionen reduzieren.
Bleibt am Ende also doch nur der Verzicht, wie ihn die Schweden praktizieren? Aktivistin Heuwieser meint: "Man kann ein lebenswertes Leben haben, ohne zu fliegen. Es geht auch nicht darum, das Fliegen generell abzuschaffen, sondern zu reduzieren und sich seiner Handlungen bewusst zu sein." Sie selbst verzichtet seit 2014 auf Flugreisen - dass sie aber nie wieder fliegt, will sie nicht ausschließen.