Die "Fehmarnbelt-Konferenz" hatten sich die Verkehrsminister von Dänemark und Schleswig-Holstein, Flemming Hansen und Dietrich Austermann, sicherlich anders vorgestellt. Das 128 Seiten starke Gutachten lag nur in englischer Sprache vor - es gab nur eine dreiseitige Kurzfassung in deutsch - und dass ein Milliardenprojekt während der Bauzeit Arbeitsplätze schafft, ist auch keine Neuigkeit. Dass kein Berliner Regierungsvertreter anwesend war, sprach offensichtlich für sich.
Über Geld wurde schon gar nicht geredet. Anstatt nach 20-jähriger Planung endlich eine Finanzplanung vorzulegen, erkannte der langjährige finanzpolitische Sprecher der CDU im Deutschen Bundestag, dass Schweigen Gold ist. "Ohne Moos, nix los" hätte er früher gesagt, denn die finanzielle Situation von Bund, Ländern und Kommunen war und ist ihm bestens bekannt.
Und er weiß auch ganz genau, dass die Bundesregierung für die Fehmarnbeltbrücke kein Geld hat. Und auch die EU hat keinen Dukatenesel - im Gegenteil: Schließlich war es seine Parteivorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den Kompromiß der Staats- und Regierungschefs für die Haushaltsplanung bis 2013 gerne auf ihre Fahnen schreibt. Dass die vom Europa-Parlament geforderten 20 Mrd. € für die Transeuropäischen Netze dabei auf ein Drittel zusammengestrichen wurden, vercshweigt nicht nur sie, sondern auch Austermann.
Nicht nur angesichts der knappen Mittel müssen alle Planungen unter zwei Gesichtspunkten überprüft werden: Welchen verkehrspolitischen Effekt haben sie, und wie wirken sie sich auf die Umwelt aus? Eine europäische Verkehrspolitik muss in erster Linie das Zusammenwachsen Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs befördern. Zudem muss aus ökologischen Gründen die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf Eisenbahn und Wasserstraße erreicht werden.
Was bedeutet das für die Fehmarnbeltquerung? Dieses Projekt war schon vor der Wende und der Aufnahme der neuen Mitgliedsstaaten geplant worden. Seit 1989 hat sich aber Europa gewaltig verändert und die Verkehrsströme nicht minder. Vom schwedischen Trelleborg gibt es heute täglich mehr als 10 Schiffsverbindungen nach Rostock und Sassnitz. Vom dänischen Gedser fahren moderne und schnelle Fährschiffe im Zwei-Stunden-Takt rund um die Uhr nach Rostock. Zudem wurde mit der Öresundbrücke im Jahr 2000 eine feste Verbindung zwischen Deutschland, Dänemark und Schweden für Straße und Schiene dem Verkehr übergeben.
Käme die fünf Mrd. € teure Fehmarnbeltbrücke noch hinzu, würden die mit Milliarden-Investitionen modernisierten Häfen in Mecklenburg-Vorpommern und Südschweden absterben. Nicht nur Ostdeutschland, ganz Ost-Europa würde vom Nord-Süd-Verkehr der EU abgekoppelt.
Für den Lübecker Hafen wäre eine feste Beltquerung Gift. Etwa 20 Prozent der südschwedischen Verkehre, die heute über Travemünde laufen, würden wegfallen. Die Brücke würde dem LKW einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber Schiff und Bahn verschaffen. Auch der Lübecker Wirtschaftssenator Wolfgang Halbedel (CDU) hält nichts von der Beltquerung: "Das Projekt ist ökonomisch und ökologisch Unsinn".
Auch ohne das gigantische Brückenbauwerk wächst die Region Schleswig-Holstein/Ostdänemark/Südschweden immer enger zusammen. Seit sechs Jahren fahren moderne Doppelendfähren auf der sogenannten "Vogelfluglinie" Puttgarden-Rødby rund um die Uhr, 96 mal (!) am Tag, das ganze Jahr. Die Überfahrt dauert nur 45 Minuten. Die Schiffe wurden mehrmals so umgebaut, dass sie zusätzlich PKW und LKW mitnehmen können. Die Wartezeiten wurden fast vollständig abgebaut, eine fließende Brücke ist entstanden. Die Fähren sind rund um die Uhr im Einsatz und sehr zuverlässig. Kein Wunder, dass schon heute viele Menschen aus Dänemark tagsüber Kiel, Lübeck oder Hamburg und umgekehrt besuchen.
Da parallel zur Bahnverbindung auch eine Straßenbrücke gebaut werden soll, würde die Verlagerung auf die Schiene nicht stattfinden. Im Gegenteil: Wegen der unfairen Wettbewerbsbedingungen würde der LKW-Verkehr zwischen Skandinavien und Ost-Europa mit kilometerlangen Umwegen über Schleswig-Holstein gezogen. Das wäre auch ökologisch unsinnig, weil die Menschen in dieser Region in Lärm, Stau und Abgasen ersticken würden.
Denn der Güterverkehr, den solche Rahmenbedingungen geradezu auf die Straße drängen, wird mehr und mehr zu einer schweren Belastung für die Umwelt, die längst verheerende Folgen zeigt: Laut einer Studie der EU sterben in Folge der Luftverschmutzung in Europa jährlich etwa 310.000 Menschen. Der Schwerlastverkehr ist einer der Hauptverursacher der gefährlichen Feinstäube.
Auch in Europa muss zusammenwachsen, was zusammen gehört. Deshalb muss das knappe Geld dort ausgegeben werden, wo der umwelt- und verkehrspolitische Effekt am größten ist. Die beschlossenen 30 Projekte der Transeuropäischen Netze im Gesamtwert von 225 Mrd. € sind die reine Wunschliste nationaler Egoismen. Dort findet man Prestige-Projekte, die zwar viel Geld verschlingen, verkehrspolitisch aber von bescheidenem Nutzen sind. Wollte man von den 30 nur vier Projekte realisieren - die Brücke über die Straße von Messina zwischen Sizilien und dem italienischen Festland, den Brenner-Basistunnel zwischen Österreich und Italien, den Eisenbahn-Tunnel zwischen Frankreich und Italien und die Fehmarnbelt-Brücke zwischen Deutschland und Dänemark - wäre das Geld schon mehr als verbraucht, ohne dass auch nur ein einziger sinnvoller verkehrspolitischer Effekt erzielt worden wäre.
Und auch für die auf der Konferenz abwesenden Bundesregierung ist der Bau der Fehmarnbeltbrücke - entgegen allen öffentlichen Beteuerungen - keine oberste Priorität. Das Positionspapier für die konventionellen Güterverkehrsnetze, das zwischen der Bundesregierung, der DB AG und dem Eisenbahnbundesamt abgestimmten wurde, sieht die Führung des Skandinavienverkehrs über die Öresundbrücke vor, die über große Kapazitätsreserven verfügt. Dementsprechend soll auch die Strecke zwischen Hamburg und Flensburg schnellstmöglich elektrifiziert und ertüchtigt werden. Eine Ausbauplanung für die Zubringerstrecke zur geplanten Fehmarnbeltbrücke ist demgegenüber in Deutschland nicht priorisiert und deshalb finanziell auch nicht hinterlegt.
All das müsste eigentlich auch dem Kieler Verkehrs-Minister Dietrich Austermann bekannt sein. Müsste er für die Brücke zahlen, kein einziges Wort käme über seine Lippen, denn auch Schleswig-Holstein ist pleite. Da auch die Bundesregierung knapp bei Kasse ist, hofft er - ebenso wie manche Träumer in Italien, Frankreich und Österreich - auf den Brüsseler Geldsegen. Aber auch in den Brüsseler Katakomben ist der Dukatenesel noch nicht gesichtet worden. Und bei den geplanten Tunnelröhren in den Alpen vermutet man Asbest und radioaktives Radon - die rettenden Gold- oder Silberminen hat noch niemand ins Spiel gebracht.
Fast zwei Jahre nach der Wiedervereinigung Europas und mehr als 15 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sind gerade die Eisenbahnverbindungen gen Osten noch immer in einem schlechten Zustand. Die Züge auf der Verbindung von Berlin nach Tallin z.B. brauchen heute mehr als doppelt so lange wie im letzten Jahrhundert. Damals schaffte die Dampflokomotive die Strecke in 27 Stunden, heute ist man 60 Stunden unterwegs. Von der deutschen Hauptstadt nach Breslau dauerte es einst lediglich zweieinhalb Stunden heute sind es sechs. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. Angesichts des stetig wachsenden Verkehrs zwischen alten und neuen EU-Mitgliedsstaaten ist diese Situation untragbar.
Europa braucht ein dichtes und zeitgemäßes Netz an Eisenbahnverbindungen, von Lissabon nach Tallin, von London nach Athen, von Paris nach Warschau. Soll die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene nicht nur der Sonntagsreden-Pflicht geschuldet sein, müssen statt der kostenträchtigen Prestigeprojekt im "alten Europa" die umweltfreundlichen "Verkehrsprojekte Europäische Einheit", die Eisenbahnverbindungen zwischen den alten und neuen Mitgliedsstaaten, die oberste Priorität in der EU bekommen.
Der Franzose Jacques Barrot wäre ein sehr erfolgreicher EU-Kommissar für Verkehr, wenn er am Ende seiner Amtszeit verkünden könnte, dass er im zusammenwachsenden Europa des 21. Jahrhunderts im Schienenverkehr zwischen Ost und West wenigstens das Tempo der Dampflokomotive erreicht hätte!
Dieser Beitrag erscheint in der Zeitschrift SIGNAL