Selbst wenn der Venezianer Marco Polo ein Aufschneider gewesen sein sollte und die Schilderungen über seine im 13. Jahrhundert absolvierte Fernost-Reise nur zum Teil der Wahrheit entsprochen haben – sie lösten in Europa eine anhaltende Begeisterung für China aus. Ganz in dieser Tradition erhielt das im vergangenen Jahr erbaute größte Container-Schiff der Welt den Namen „Marco Polo“. Der Gigant – länger als das Empire State Building hoch ist – stellt quasi das Flaggschiff der schwimmenden Brücke dar, die zwischen Asien und Europa besteht, um die gewaltigen Warenströme zwischen den Kontinenten zu bewältigen.
Wurden zu Marco Polos Zeiten – zumeist auf dem Landweg – erlesene Waren wie Seide, Gewürze oder Pelze in sehr überschaubaren Mengen transportiert, werden heute Jahr für Jahr auf dem Seeweg Millionen von Containern mit höchst unterschiedlichem Inhalt zwischen den Kontinenten hin- und hertransportiert. Rund 42 Prozent aller Importe in die EU stammten aus Asien, der Warenwert summierte sich im vergangenen Jahr auf fast 720 Milliarden Euro. Die meisten Container hatten und haben einen chinesischen Absender. Die extrem dynamische Wirtschaft Chinas steigert ihr Exportvolumen beständig; allein von 2010 auf 2011 legten die Ausfuhren um ein Fünftel zu.
95 Prozent kommen auf dem Seeweg
Wer die Etiketten in Textilien, die „Made in xxx“-Hinweise auf Werkzeug, Spielsachen oder in den Aufbau-Anleitungen von Möbeln liest, gewinnt eine Vorstellung, welche Vielfalt von Waren in den aus Asien kommenden Containern steckt. Aber auch Konserven, Fernsehgeräte, Solar-Module, Koffer, Computer, natürlich Reis und sogar Apfelsaftkonzentrat für die Apfelschorle-Produktion kommen auf diesem Weg nach Europa. Einen Überblick über die Produkte gibt die Internet-Seite www. made-in-china.com.
Etwa fünf Prozent aller Exportartikel nehmen den Luftweg, 95 Prozent aller importierten Waren reisen gemächlich in einer der genormten Blechkisten auf dem Seeweg an. Wenn die Reederei das Piraterie-Risiko am Horn von Afrika in Kauf nimmt und der Container-Frachter durch den Suez-Kanal fährt, dauert die Reise rund einen Monat. Die sicherere Route ums Kap der Guten Hoffnung ist um ein Viertel länger. Riesen wie die „Marco Polo“ müssen diesen Weg ohnehin nehmen – durch den Suezkanal passen „nur“ Schiffe mit einer Kapazität von 15 000 Containern mit 20 Fuß Länge (rund sechs Meter), der Koloss mit dem Namen des Venezianers kann 16 020 davon an Bord nehmen. Die meisten Container sind zwar 40 Fuß lang, aber Maß aller Dinge für die Universalkiste der Globalisierung bleibt der 20-Fuß-Behälter, deshalb wird in „Twenty foot Equivalent Units“ (TEU) gerechnet.
Die Niederlande bauen am Netz für 2035
Im vergangenen Jahr kamen im Hafen von Schanghai 31,4 Millionen TEU an oder verließen ihn. Damit ist die chinesische Metropole vor Singapur und Hongkong der weltgrößte Containerhafen. Erster europäischer Hafen in dieser Liste ist Rotterdam mit einem Umschlag von 11,9 Millionen TEU, die Hälfte davon stammt aus Asien; Hamburg belegt als erster deutscher Hafen in dieser vom Bremer Institut für Seeverkehrswirtschaft erstellten Liste mit neun Millionen TEU Platz 14.
30 Prozent der Container in Rotterdam wechseln nach Angaben des Hafens auf kleinere Hochseeschiffe, die übrigen werden mit Lastwagen, Binnenschiffen oder Zügen weiter befördert. Weil die Rotterdamer energisch ausbauen und in wenigen Jahren die doppelte Menge an Containern umschlagen wollen, arbeiten die Niederländer seit Jahren am Ausbau der Zubringer-Verkehrswege. Geplant ist, den Anteil der Lkw bis 2035 von derzeit knapp 50 auf 35 Prozent zu senken. Die Binnenschiffe sollen fast die Hälfte der Container übernehmen. Die Bahn will ihren Anteil bis 2030 von 13 auf 20 Prozent steigern. Vor allem für weiter entfernte Ziele – wie die Schweiz oder Italien – setzen die beteiligten Länder auf die Schiene.
Der Eiserne Rhein bleibt wohl außen vor
Brigit Gisybers vom Verkehrsministerium in Den Haag formulierte auf einer internationalen Konferenz in Köln, Rotterdam sei kein Hafen für die Niederlande, sondern für Europa. Deshalb hätten die Niederlande auch vier Milliarden Euro in eine leistungsfähige, großenteils neu erbaute Güterzugstrecke investiert, die von Rotterdam zur deutschen Grenze bei Zevenaar/Emmerich führt. Der Betuwe-Linie fehlt allerdings die passende Fortsetzung zwischen Emmerich und Oberhausen.
Die Entscheidung, wann dort ein drittes Gleis und der für die Anwohner so wichtige Lärmschutz kommen, ist noch nicht gefallen. Das Projekt steckt noch in der Planungsphase. Der Zug der Container verdichtet sich noch einmal in Köln, wenn die aus Belgien heranrollenden Mengen hinzukommen. Antwerpen belegt bei den Container-Häfen mit 8,7 Millionen TEU weltweit Platz 14 und will den Anteil der Schiene von derzeit elf auf 15 Prozent bis 2020 steigern. Der sogenannte Eiserne Rhein – eine zum Teil stillgelegte Bahnstrecke durch die südlichen Niederlande, die über Mönchengladbach und Viersen nach Duisburg führt – dürfte dabei wohl keine Rolle spielen.
Ein Tunnel als Herzstück
Im weiteren Verlauf dieser Container-Rollbahn Richtung Schweiz und Italien gibt es ein 40 Kilometer langes Nadelöhr im Badischen zwischen Offenburg und Riegel; der viergleisige Ausbau kommt nur schleppend voran, weil die Finanzierung nicht gesichert ist. Für 2022 stellt das Bundesverkehrsministerium die Fertigstellung in Aussicht. Das ist den Schweizern entschieden zu spät. Sie stemmen mit dem Gotthard-Basistunnel, der vielleicht bereits 2016 in Betrieb genommen werden kann, das Herzstück einer schnellen Bahnverbindung zwischen Nordsee und Mittelmeer.
Botschafter Tim Guldimann widerspricht deshalb höflich, aber entschieden, wenn der Vertreter des deutschen Verkehrsministeriums auf der Konferenz in Köln erklärt, es gebe keine festen Zusagen für den Ausbau der zum Gotthard führenden Strecken, der „Zulaufstrecken“. Die Schweizer sehen im 2003 geschlossenen Vertrag von Lugano (Vertragspartner: Niederlande, Deutschland, Schweiz, Italien) eine klare völkerrechtliche Verpflichtung, bis 2019 alle Zulaufstrecken fertigzustellen. Der grüne Europa-Abgeordnete Michael Cramer formuliert das Dilemma so: „Die Schweizer bauen schneller einen Tunnel als die Deutschen Planungsrecht schaffen.“
Die Schweiz hängt den Rest Europas ab
Auch beim Kampf gegen den Lärm, den alte Güterwagen-Bremsen erzeugen, hängen die Schweizer den Rest von Europa ab. Während die einen auf die knappen Margen im Frachtverkehr verweisen, die eine rasche Umrüstung aller Waggons nicht finanzierbar machten, haben die Eidgenossen schlicht ein Transit-Verbot für alte, laute Güterwagen angekündigt. Für Botschafter Guldimann ist Lärm der „limitierende Faktor“. Ohne Lärmminderung sei die Akzeptanz der Anlieger für den steigenden Güterschienenverkehr nicht zu erreichen.
Dass solche Überlegungen und der Ausbau der Transportwege keinen Aufschub dulden, zeigen die Wachstums-Erwartungen der größten Containerschiff-Reederei der Welt. Vor allem mit Blick auf den China-Verkehr hat Maersk zehn Schiffe bestellt, die die „Marco Polo“ übertreffen. Jeder der neuen Riesen kann 18 000 Container-Einheiten transportieren – 2000 mehr als der Gigant mit dem großen Namen.