EU sorgt sich um Kraniche und Seeadler Brüsseler Flugrouten-Schelte: Verfahren könnte vor dem Europäischen Gerichtshof landen / Hoffnung bei Anwohnern

01. Juni 2013 zur Übersicht

Ein Artikel, erschienen in der Märkischen Allgemeinen am 1. Juni 2013

POTSDAM Hoffnung und Skepsis halten sich bei betroffenen Anwohnern die Waage. Die BER-Flugrouten entlang des Rangsdorfer Sees (Teltow-Fläming) oder über dem Berliner Müggelsee könnten unter Umständen noch einmal verändert werden. Deutschland soll bei den Planungen EU-Umweltvorgaben nicht beachtet haben (MAZ berichtete). Das wurde am Donnerstag bekannt. Aber ist das wirklich realistisch?

Umweltschützer hoffen auf eine Korrektur der bestehenden abknickenden BER-Flugrouten – zugunsten bedrohter Kraniche und Seeadler. Einige Flüge führen über Vogelschutzgebiete, wenige Kilometer vom künftigen Flughafen in Schönefeld (Dahme-Spreewald) entfernt. Betroffen sind auch Schutzgebiete im märkischen Naturpark Nuthe-Niedlitz-Niederung und am Berliner Wannsee. Grüne Liga und Naturschutzbund begrüßten deshalb gestern die Ankündigung der EU, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

Welche Folgen hätte das? Im ungünstigsten Fall könnten wieder stärker bewohnte Gebiete überflogen werden – ein klassischer Zielkonflikt. Eine Veränderung der Flugrouten wäre juristisch überdies keine einfache Sache. Die Fluglärmkommission aus Vertretern von Anrainer-Kommunen, Fluglinien und Behörden müsste erneut zusammenkommen und neue Routen vorschlagen.

Die Verantwortung für die Flugrouten liegen beim Bund. Ob die Deutsche Flugsicherung, die dem Bundesverkehrsministerium zugeordnet ist, diesen Aspekt bei der damaligen Festlegung nicht ausreichend berücksichtigt hat, ist aber offen. Wenn nicht, müsste sie nachgeholt werden. Die EU-Kommission teilte wiederum mit, eine geänderte deutsche Gesetzgebung würde nicht rückwirkend gelten. Es zeichnet sich also ein Streit zwischen deutschem Luftverkehrsrecht und EU-Umweltschutzrecht ab. Die Bundesregierung hat nun zwei Monate Zeit, Stellung zu nehmen.

Gibt es keine einvernehmliche Lösung, könnte die EU-Kommission Klage zum Europäischen Gerichtshof in Luxemburg einreichen. Beschwerde hatten die Friedrichshagener Bürgerinitiative sowie der Nabu und die Grüne Liga in Berlin eingereicht. Die Vorsitzende der Bürgerinitiative, Sigrid Strachwitz, erklärt gestern, ihr Verein habe sich seit der Verkündung der neuen Flugrouten erfolglos an das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung und die Planfeststellungsbehörde gewandt, damit es eine Umweltprüfung gibt. Auch hier gelte ein weiteres Mal, dass beim BER „erst die Bürger dafür sorgen müssen, dass Recht und Gesetz gelten. Zur Not eben mithilfe der EU-Kommission.“ Aus Sicht des Nabu in Berlin bleiben der Kommission, falls sie die Beschwerde gegen die Flugrouten annimmt, nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Flughafengesellschaft veranlasst eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung für die Flugrouten oder sie wechselt auf die alten Flugrouten, für die die Umweltfolgen bereits geprüft wurden.

Politiker von Grünen und Linken nahmen das Verfahren gestern positiv auf. Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, sagte, die Interessen der Anwohner und der Schutzgebiete dürften nicht unter den Tisch fallen. Wenn die Vertragsverletzung festgestellt werde, was Gysi nach eigener Aussage erwartet, müsse die Umweltverträglichkeit noch geprüft werden. „Das bedeutet eine erhebliche weitere Verzögerung der Eröffnung des Flughafens“, so Gysi, der am Müggelsee seinen Wahlkreis hat.

Der Vorsitzende des Bundestagsverkehrsausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), sagte gestern, die EU leitet zu Recht das Verfahren ein. „Unter Umständen ist jetzt ein neues Genehmigungsverfahren notwendig. Es sind unter Umständen Vertragsstrafen fällig“. Die Verantwortung für die Flugrouten liege aber eindeutig beim Bund.

Der Grünen-Abgeordnete im Europaparlament, Michael Cramer, kritisierte, die Bundesregierung habe frühzeitige Warnungen aus Brüssel ignoriert und auf eine Umweltprüfung verzichtet. igo