Stark, transparent, vereinfacht und vor allem durchsetzbar - so sollten die Fluggastrechte für Passagiere sein. Jedenfalls hat das die EU-Kommission versprochen, die an einer Reform der Verordnung für Fluggastrechte arbeitet. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch: Die Verbraucherrechte werden teils massiv beschnitten. Der Europäische Fahrgastverband, Verbraucheranwälte und Politiker schlagen Alarm.
Die Reform höhle nicht nur bisher geltendes Recht aus, sondern falle sogar noch hinter die in langwierigen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erstrittenen Urteile zurück. Tritt die Reform in Kraft, so die einhellige Ansicht der Experten, die sich in Berlin trafen, hat kaum ein Fluggast mehr Anspruch auf Entschädigungen, wenn Flugzeuge stark verspätet sind. Seit einem richtungweisenden EuGH-Urteil stehen beispielsweise gestrandeten Passagieren Ausgleichszahlungen für ihr Ungemach zu - egal ob ein Flug annulliert wurde oder sich stark verspätet. Je nach Entfernung und Dauer der Verspätung wurden 250 bis 600 Euro gezahlt.
Einen Unterschied zwischen Annullierung und Verspätung gibt es nach geltender Rechtsprechung nicht, da das Ergebnis für den Passagier das gleiche ist: Er kommt später an. Mit der Reform der Verordnung jedoch wird genau dieser Grundsatz aufgehoben. Während für annullierte Flüge die Ansprüche auf Entschädigung zum größten Teil weiterhin gelten, sollen Passagiere verspäteter Flüge in Zukunft wieder deutliche Einbußen hinnehmen.
"Die neue Verordnung ist ein erheblicher Eingriff in die Rechte und stellt Passagiere so schlecht, dass es künftig keine oder kaum noch Ansprüche geben wird", sagt Ronald Schmid, Professor für Luftverkehrsrecht in Dresden und Anwalt für Fluggastrechte. "In erster Linie profitieren die Luftfahrtunternehmen." Der Europäische Fahrgastverband (EPF) schätzt, dass in Zukunft rund 72 Prozent der Fluggäste leer ausgehen werden, die derzeit Entschädigungen einfordern könnten.
In Zukunft soll ein Anspruch auf eine Entschädigung bei einem Flug innerhalb Europas erst nach fünf Stunden erfolgen, derzeit sind es drei Stunden. Für außereuropäische Flüge ist ebenfalls eine neue Staffelung für die Wartezeiten und Entfernungen geplant: Bei Flügen zwischen 1500 und 3500 Kilometern müssen Fluggäste künftig fünf Stunden Verspätung hinnehmen, erst danach steht ihnen eine Entschädigung von 250 Euro zu. Wer weiter fliegt, muss länger ausharren: Neun Stunden Wartezeit ohne Entschädigung gilt es zu überbrücken bei Flügen zwischen 3500 und 6000 Kilometern, danach gibt es 400 Euro. Und wer noch weiter weg fliegt, soll künftig zwölf Stunden ohne Anspruch auf eine Ausgleichszahlung warten, erst danach werden 600 Euro fällig.
"Der Witz an der Sache ist: Wer beispielsweise nach Los Angeles fliegt, in München zwölf Stunden verspätet losgeflogen ist, aber 11 Stunden 50 Minuten zu spät in L.A. ankommt, der bekommt dann gar nichts", veranschaulicht Schmid. "Drei Stunden Verspätung sind unangenehm, aber sechs bis zwölf Stunden sind unzumutbar." Fünf Stunden sollen Fluggäste künftig auch in einem Flugzeug ausharren müssen, das bereits auf dem Flugfeld losgerollt ist, bevor sie aussteigen dürfen. Immerhin: Nach einer Stunde muss die Airline sie kostenlos mit Wasser versorgen, und die Toilette darf auch gratis benutzt werden. Diese Regelungen fielen weit hinter die geltende Rechtsprechung zurück, sagte Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament. "Der EuGH hat fünf Stunden Wartezeit bereits abgelehnt, aber nirgends kümmert die Kommission ein Urteil so wenig wie im Luftverkehr."
Die Idee hinter der Fluggastrechteverordnung, durch die Ausgleichszahlungen erzieherisch auf die Airlines einzuwirken, werde nach Ansicht der Experten ad absurdum geführt. Ein finanzielles Risiko sei mit der Neubewertung der Fluggastrechte für die Airlines nicht mehr gegeben und damit auch kein Anreiz dafür zu sorgen, pünktlich am Ziel anzukommen. Die Ersparnisse, die mit der Reform der Verordnung allerdings für Fluggesellschaften verbunden sind, würden auf auf etwa ein bis drei Milliarden Euro pro Jahr geschätzt, sagte Schmid. Schon heute allerdings, so die Einschätzung des Luftverkehrsrechtsexperten, würden die Zahlungen für Entschädigungen auf den Flugpreis umgelegt.
Zwar sind lediglich ein bis 1,5 Prozent aller Flüge tatsächlich von den massiven Verspätungen betroffen, doch durch die Vielzahl von Flügen summierten sich die Entschädigungszahlungen - die heute schon sehr schwer ohne anwaltliche Hilfe durchsetzbar sind. Die Wartezeit für eine Entschädigungsleistung ist allerdings nur ein Aspekt der neuen EU-Verordnung. Schwerer nachvollziehbar für den Fluggast werde auch die Einschätzung, wann eine Airline für die Verspätung verantwortlich gemacht werden könne, so Rechtsanwalt Robert Weist.
"Technische Probleme, heute klar in der Verantwortung der Fluggesellschaft, tauchen nun auch auf Seiten der außergewöhnlichen Umstände auf, die Airlines nicht zu vertreten haben", erläutert Weist. Trete etwa ein Defekt erst nach dem Start auf, falle er künftig nicht mehr in die Verantwortung der Airline.
Wer lange auf einen verspäteten Flug warten muss, hat normalerweise nach drei Stunden Wartezeit Anspruch auf Entschädigung. Die EU-Kommission will das ändern.