EU-Politiker warnt vor zu langen Flugdienstzeiten für Piloten

28. September 2013 zur Übersicht

Ein Interview mit Michael Cramer von Thomas Strünkelnberg (Insight-EU-Interview), erschienen am 28. September 2013. Auch (teilweise) erschienen im

Kölner Stadtanzeiger und im Wiesbadener Tagblatt.

Interview: Thomas Strünkelnberg, dpa =

 

Schlafende Piloten im Cockpit und drohende Fehler wegen Übermüdung - Grund genug für die EU-Kommission, die Flugdienstzeiten von Piloten neu zu regeln. Ein grüner Europaparlamentarier aber warnt: Geht es um Sicherheit oder die Interessen der Airlines?

 

Brüssel (dpa Insight) - Im Streit um neue Flugdienstzeiten für Piloten knickt die EU-Kommission nach Ansicht des Europapolitikers Michael Cramer vor den Airlines ein. Gleichzeitig ignoriere die Behörde die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, die sie selbst in Auftrag gegeben habe, kritisierte der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament im Interview mit dem Informationsdienst dpa Insight EU. Demnach dürften Piloten nachts höchstens auf zehn Stunden Flugdienst kommen, die Kommission wolle aber elf Stunden durchsetzen.

 

Hintergrund seien Strecken wie etwa die Verbindung von Frankfurt an die US-Ostküste: «Der Flug dorthin – mit Vorbereitung der Maschine und Boarding - dauert knapp elf Stunden, daher müsste man einen dritten Piloten einsetzen, wenn die Flugdienstzeit auf zehn Stunden beschränkt wird», erklärte Cramer. Der Parlamentarier betonte, die Kosten für die Cockpit-Crew machten nur sechs Prozent der Gesamtkosten eines Fluges aus, mögliche Mehrkosten seien also gering. Er beklagte, offensichtlich müsse es erst zu einem Unfall kommen, bevor das Gesetz geändert werde.

 

Zusätzlich zu den Flugdienstzeiten haben Piloten auch Bereitschaftsdienste. Cramer betonte: «Ich möchte eigentlich nicht von einem Piloten geflogen werden, der bis zu 22 Stunden - einschließlich Bereitschaft - im Dienst ist.» Am Montag (30. September 2013) wird der Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments über die zukünftigen Flugdienstzeiten von Piloten abstimmen.   

 

dpa: Herr Cramer, ein Zwischenfall dürfte viele Menschen erschreckt haben: Pilot und Kopilot einer britischen Passagiermaschinen sind im August während eines Fluges eingeschlafen. Ist das ein Einzelfall - oder ganz normal?

 

Cramer: «Das hört sich wie ein Einzelfall an, ist aber ein generelles Problem. Eine Untersuchung hat ergeben, dass mehr als ein Drittel, nämlich 36 Prozent der Piloten schon mal eingeschlafen sind - und dass sogar in jedem zweiten Fall beide Piloten eingeschlafen sind. Also: Es ist kein Einzelfall, deshalb müssen wir uns dagegen wehren. Es ist eine Gefährdung für die Besatzung, aber auch für die Fluggäste.»

 

dpa: Die EU-Kommission will nun die Flugdienstzeiten der Piloten neu regeln, die Pilotenverbände laufen allerdings Sturm gegen das Vorhaben. Warum ist der Entwurf so problematisch?

 

Cramer: «Es ist richtig, dass die EU-Kommission sich damit befasst, die Arbeitszeiten von Piloten zu verändern. Falsch ist aber, dass die Kommission eine von ihr in Auftrag gegebene Untersuchung völlig ignoriert: Die Wissenschaftler sind zu dem Schluss gekommen, dass zehn Stunden Flugdienst in der Nacht die Höchstgrenze der menschlichen Leistungsfähigkeit sind, mehr dürfe es nicht sein. Und es gibt einen Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofs, wonach generell Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit zählt. Ich möchte eigentlich nicht von einem Piloten geflogen werden, der seit bis zu 22 Stunden - einschließlich Bereitschaft - im Dienst ist.»

 

dpa: Dennoch bringt die Neuregelung im Vergleich zu den bisherigen Vorschriften doch Verbesserungen.

 

Cramer: «Es ist gibt in der Tat einzelne Verbesserung, die reichen aber nicht aus. Die EASA (Europäische Agentur für Flugsicherheit oder «European Aviation Safety Agency»; d. Redaktion) hat selber eine Studie bei den Wissenschaftlern in Auftrag gegeben...»

 

dpa: ...den sogenannten Moebus-Report, wonach Müdigkeit im Cockpit ein echtes Problem ist.

 

Cramer: «Genau. Die Wissenschaftler sagen, zehn Stunden seien das Höchstmaß. Und jetzt interessiert sich die Kommission offensichtlich nicht mehr für die Ergebnisse und macht elf Stunden daraus - ohne das begründen zu können. So geht es nicht. Wenn die Sicherheit die oberste Priorität hat - und die muss sie haben -, dann muss man der wissenschaftlichen Erkenntnis folgen oder begründen, warum man das nicht tut. Beides ist nicht der Fall.»

 

dpa: Welche Rolle spielt eigentlich diese ominöse eine Stunde, worin sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Entwurf unterscheiden? Hängt das mit bestimmten Strecken zusammen, für die zusätzliche Piloten eingestellt werden müssten?

 

Cramer: «Das ist genau der Punkt: Das ist beispielsweise die Strecke von Frankfurt nach Miami. Der Flug dorthin dauert – mit Vorbereitung der Maschine und Boarding - knapp elf Stunden, daher müsste man einen dritten Piloten einsetzen, wenn die Flugdienstzeit auf zehn Stunden beschränkt wird. Aber: Die Kosten der Besatzung, der Piloten, machen gerade einmal sechs Prozent der Gesamtkosten aus. Das ist nicht viel Geld. Und dann wird der Flug eben teurer, aber das gilt dann doch für alle Airlines. Laut Studien würde das jeden Passagier zwei Euro mehr kosten – aber dafür hätte ich das Gefühl, sicher zu sein. Das ist doch besser, als elf Stunden lang im Flugzeug zu sitzen und permanent Angst haben zu müssen, dass die beiden Piloten einschlafen.»

 

dpa: Der Verkehrsausschuss des Europaparlaments stimmt jetzt über die Flugdienstzeiten und eine Resolution gegen die Neuregelung ab - wie ist die Stimmungslage im Ausschuss?

 

Cramer: «Das kann man nicht einschätzen. Es wird ein knappes Ergebnis geben. Ärgerlich ist das Komitologieverfahren: Wir haben kein ordentliches parlamentarisches Verfahren, das es uns erlaubte, Änderungen einzubringen, sondern der Ausschuss kann nur Ja oder Nein sagen. Nur wenn wir den Entwurf ablehnen, geht er weiter ins Plenum des Europaparlaments und kann dort behandelt werden. Der Ausschuss aber kann nicht darüber diskutieren - das ist nicht gerade ein Vorbild an Demokratie.

 

Ich habe mit einigen Abgeordneten gesprochen, die das Vorhaben befürworten. Die sagen, in vier oder fünf Jahren könne die Regelung verbessert werden. Aber eines ist klar: Wenn es morgen zu einem Unfall kommt, weil Piloten eingeschlafen sind, dann wird dieses Gesetz sofort geändert. Warum also müssen wir erst warten, bis es zum Unfall kommt, statt ab sofort der Empfehlung der Wissenschaftler zu folgen?»

 

dpa: Europäische Airlines begrüßen den Entwurf. Welche Rolle spielt der wachsende Wettbewerbsdruck für die Fluggesellschaften - und wie stark haben sich Lobbyisten bei dem Entwurf durchgesetzt?

 

Cramer: «Ob Flugdienstzeiten oder Passagierrechte - im Luftverkehr hat man den Eindruck, die Lobbyisten schreiben geradezu die Gesetzestexte. Nicht umsonst wird die EASA als größte und erfolgreichste Lobbygruppe bezeichnet. Sogar der Europäische Rechnungshof kritisiert die EASA wegen ihres Umgangs bei Interessenkonflikten. Das macht sich immer wieder bemerkbar. Ein mir vorliegender interner Vermerk der Association of European Airlines (AEA) bestätigt diesen Eindruck: In diesem Schreiben freut man sich über die erfolgreiche Mitwirkung bei der Erarbeitung des Vorschlags und schlägt vor, in Zukunft nur noch Studien von eigens ausgewählten Wissenschaftlern anfertigen zu lassen.

 

Natürlich gibt es Konkurrenzdruck, aber wenn wir in Europa Gesetze erlassen, dann gelten die für alle Airlines. Das Argument, sich im Wettbewerb gegen die anderen nicht durchsetzen zu können, zählt dann überhaupt nicht. Sogar in den USA wurde kürzlich die Nachtarbeitszeit von Piloten auf neun Stunden gesenkt, also zwei Stunden weniger als es der Europäische Gesetzesvorschlag vorsieht. Man stelle sich nur einmal vor, die beiden Piloten, die über Großbritannien eingeschlafen sind, hätten einen Unfall verursacht. Dann wäre der Gesetzestext schon längst vom Tisch.»

 

dpa tst