EU-Gipfel: Krach beim Klimaschutz?

17. März 2008 zur Übersicht

Michael Cramer im Interview auf Inforadio des RBB über die Beratungen der 27 EU-Länder zum Thema Klimaschutz.

Wie halten wir es mit dem Klimaschutz? - diese Frage haben heute die 27 Staats- und Regierungschefs Europas in Brüssel beraten. Nach außen ist man zwar bemüht, Einigkeit zu demonstrieren, hinter den Kulissen allerdings wird heftig gerungen: Wer ist bereit etwas zu leisten - oder auch nicht?
Ab dem Jahr 2012 sollen für die Industrie neue Auflagen zum Klimaschutz gelten. Entsprechende Vorschläge dafür will die EU-Kommission aber erst ein Jahr zuvor - also 2011 - unterbreiten. Kanzlerin Merkel sagt, das sei zu spät und gerade mit Blick auf energieintensive Industrien wie Stahl oder Aluminiumbranche müsse früher Planungssicherheit gelten - somit schon 2009 Auflagen festgelegt werden.
Michael Cramer, Mitglied des Europa-Parlaments und verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, befragt von Heiner Martin.
Das Interview im Wortlaut:
Heiner Martin: Teilen Sie diese Einschätzung?
Michael Cramer: Es ist natürlich richtig, mit den Vorstellungen so früh wie möglich zu beginnen. Alle sollen sich darauf einstellen, und eigentlich hätten wir ja gestern beginnen müssen. An diesem Punkt teile ich ihre Auffassung. Aber die Haltung der Bundesregierung zu dem Vorschlag der Kommission - wie wir den Klimawandel bekämpfen können - die war allerdings kontraproduktiv zu dem, was sie sagt, denn das hört sich nach Verzögerung an.
Martin: Darüber hinaus vertritt Frau Merkel ja die Interessen dieser energieintensiven Branchen, indem sie für Ausnahmeregelungen kämpft, sie sollen wie bisher kostenlos Emissionsrechte zugeteilt bekommen. Haben Sie Verständnis dafür?
Cramer: Überhaupt nicht. Die Klimakiller dürfen wir doch nicht schützen. Sondern wir wollen den Klimawandel bekämpfen, und deshalb wollen wir einen Marktpreis für Energie haben und für Emissionsrechte. Und am besten wäre dieser Marktpreis herzustellen, wenn man alles auktionieren würde, d. h. die Rechte der Verschmutzung werden versteigert, am Anfang wären sie noch billig - nachher teurer. Das wäre der Anreiz, die Industrie so schnell wie möglich umzustellen, dass wir wenig emittieren natürlich zugunsten der Gesundheit von Menschen, aber auch zum Überleben des Planeten.
Martin: Im kommenden Jahr soll in Kopenhagen ein Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls beschlossen werden. Welchen Sinn macht es eigentlich, vorher auf EU-Ebene irgendetwas festzuklopfen - gerade mit Blick auf die Schwerindustrie?
Cramer: Ja, das haben wir aber auch in Bali gesehen: Wenn die EU klare Ziele formuliert, und die ehrgeizig sind, möglicherweise reichen sie nicht aus, aber weltweit als Vorbild angesehen werden, dann ist es leichter die anderen Staaten zu überzeugen. Wenn man allerdings selber nichts tut und keine konkreten Vorstellungen hat, sondern nur verbale Bekundungen äußert, wird man die anderen auch nicht zu konkreten Maßnahmen überzeugen können. Deshalb ist es sinnvoll, dass die EU zeigt, wir meinen es ernst damit, dass auch Deutschland es zeigt, wir meinen es ernst damit. Beispielsweise dass man sagt, o. k., das Tempolimit führen wir jetzt sofort ein. Und wir hören auf mit dem Widerstand gegen die Großen und sagen, dass wir uns benachteiligt fühlen als deutsche Industrie. Die Vorbildfunktion ist entscheidend für den Durchbruch weltweit, den wir brauchen.
Martin: Weiterer Punkt: Da geht es nach den Plänen der EU-Kommission. Dann soll die CO2-Emission von allen PKW ab 2012 auf 120 Gramm pro Kilometer begrenzt werden, wer drüber liegt, muss Strafe zahlen. Und das wird ja vor allem die deutschen Autobauer mit ihrem Premiumsegment treffen. Kanzlerin Merkel sagt, das ist Wettbewerbsverzerrung und mit uns nicht zu machen. Wirtschaftliche Interessen gegen Klimaschutz - ist diese Aufrechnung zulässig?
Cramer: Die ist überhaupt nicht zulässig, und da verspielt auch Deutschland eine Chance. Die deutsche Bundesregierung möchte ja gerne Europameister in Sachen Umweltschutz sein. Aber wenn es zu konkreten Maßnahmen kommt, wie Tempolimit, wie Geschwindigkeitsreduzierung, wie leichtere Autos, dann heißt es, das ist industrieschädlich. Das kann es nicht sein. Der Kompromiss, den die Europäische Kommission gefunden hat - auch im Zusammenhang mit den deutschen Autos - der war ein fairer Kompromiss, niemand behauptet, dass das nicht ginge.
Martin: Grundsätzlich gesprochen: Wenn man sich diese Verhandlungen anschaut, könnte man schon den Eindruck gewinnen, es geht zu wie auf einem Basar: Es wird gehandelt, geschachert, und jeder versucht, für sich bzw. für sein Land das beste Ergebnis zu erzielen. Ist dieser Eindruck so falsch?
Cramer: Nein, der ist nicht falsch. So ist es. Was ärgerlich ist, die Kanzlerin hat als Ratspräsidentin eine gute Figur gemacht in Sachen Klimaschutz. Und dass sie sich jetzt auf dieses Niveau begibt - hier: ich suche nur meinen eigenen Vorteil - das ist schädlich für den Klimaschutz aber auch für die deutsche Position in Europa. Denn wer selber nicht handelt, wird nicht ernst genommen, wenn er anderen vorschreiben soll, er solle das oder jenes tun.

Nachzulesen auch hier auf den Seiten des RBB-Inforadios.