EU-Gelder in die Bahn!

07. November 2008 zur Übersicht

Michael Cramer in der Zeitung "Neues Deutschland" über die Verweigerung des rot-roten Senats EU-Gelder für den öffentlichen Nahverkehr einzusetzen

Obwohl Berlin wenig Geld hat, weigert sich der rot-rote Senat, die zugeteilten EU-Gelder für den öffentlichen Nahverkehr einzusetzen. Wider besseren Wissens behauptet er, dass das aufgrund der EU-Regularien nicht möglich sei. Aufgrund der Debatte der letzten Jahre müsste doch jedem klar sein, dass der Kampf gegen den Klimawandel für die Zukunft eine zentrale Rolle spielt. Angesichts der Tatsache, dass der Verkehr in Ballungsräumen für 40 Prozent der CO2-Emissionen und für 70 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich ist, muss ein nachhaltiger und umweltverträglicher Stadtverkehr oberstes Ziel des Senats sein - und Brüssel blockiert nicht, Brüssel kann helfen.
Die Bedingungen für eine zukunftsträchtige Mobilität sind in Berlin optimal: 90 Prozent aller Haushalte sind nur fünf Fahrradminuten von der nächsten Haltestelle der S-, U- oder Straßenbahn entfernt. Jeder zweite Berliner Haushalt hat gar kein Auto, 90 Prozent der Autofahrten in der Stadt sind kürzer als sechs Kilometer und der Fahrradanteil hat sich in den letzten zehn Jahren von sechs auf zwölf Prozent verdoppelt. Trotzdem beschränkt Berlin sich in der laufenden Förderperiode fast ausschließlich auf die Neuerschließung von Brachen durch neue Straßen. Weder die Defizite der Teilung Berlins noch die Fehlplanungen der 1960er Jahre, als die "autogerechte Stadt" noch das Leitbild der Stadtentwicklung war, werden behoben. Es ist doch ein Skandal, dass das Märkische Viertel auch 40 Jahre nach seiner Entstehung noch immer keine Bahnerschließung hat. Dabei gibt es zur nicht-finanzierbaren U-Bahn seit dem Fall der Mauer eine schnell und sehr preiswert zu realisierende Alternative durch die Verlängerung der Tram von Rosenthal zum S- und U-Bahnhof Wittenau. Mit einer Wendeschleife durch das Großviertel wäre für 80 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner die Haltestelle nur fünf Gehminuten entfernt.
Die Ko-Finanzierung durch die EU wird vom rot-roten Senat nicht in Betracht gezogen. Stattdessen flossen EU-Millionen in die Tangentialverbindung Ost zwischen Spindlersfeld und Glienicker Weg, die A 113 zum Flughafen Schönefeld und die Straßenbrücke am Spandauer Damm.
Begründet wird diese Politik "back to the fifties" mit der autofixierten EU-Politik. Das ist allerdings falsch, denn andere europäische Städte handeln anders. Madrid - wie Berlin "Ziel-2-Gebiet" - finanziert mit EFRE-Mitteln (Strukturfonds) den Ausbau von Linien des Nahverkehrs und des Stadtverkehrs, den Bau einer Taxistation und einer U-Bahn-Linie. Ähnlich umweltfreundlich verfahren auch Sachsen und Brandenburg.
"Arm aber sexy" - so lautet die allseits bekannte Stärken-Schwächen-Analyse, auf der die Berliner Gesamtstrategie basiert. Deshalb sollte der Senat erst recht die zur Verfügung stehenden EU-Gelder für den Ausbau und den Erhalt der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur einsetzen. Für die EU-Förderperiode 2007-2013 stehen Berlin 875 Millionen Euro zur Verfügung. Davon sollen etwa neun Prozent für die Förderung der Umwelt-, Verkehrs- und Mobilitätsmanagementsysteme verwendet werden. Wenn dieses Geld klug und zukunftsfähig eingesetzt wird, macht es Berlin weniger arm. Voraussetzung ist aber, dass der Senat seinen Kurs grundlegend korrigiert. Denn eine neue Autobahn in der Stadtmitte, die man doch gerade durch die Einführung der Umweltzone zu entlasten versucht, ist alles andere als sexy.
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