Sehr geehrte Damen und Herren,
Für die Einladung, als Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und Tourismus im Europäischen Parlament zu Ihnen sprechen zu dürfen, möchte ich mich recht herzlich bedanken.
Wie der Name schon sagt: Verkehr und Tourismus stehen in engem Zusammenhang, wobei für mich der nachhaltige Tourismus sehr wichtig ist. Denn wir wissen, dass Tourismus den Tourismus auch zerstören kann. Deshalb muss er nachhaltig sein.
Die Vielfalt in der EU ist ein Reichtum, deshalb müssen wir sie bewahren! Der Kulturtourismus kann unsere Vielfalt erlebbar machen und das Bewusstsein für unsere Geschichte wach halten.
Historische Ereignisse können auch kulturell aufgewertet werden und internationale Bedeutung bekommen. Wegen der Geschichte kommen 80% der Touristen in meine Heimatstadt Berlin. Der 300. Geburtstag von Friedrich dem Großen war 2012 für die Potsdamer Kulturlandschaft ein besonderer kulturhistorischer Höhepunkt. In Italien erinnert das Projekt „Linea Gotica“ an den Zweiten Weltkrieg. Aber auch der Fall des Eisernen Vorhangs vor 25 Jahren hat europaweit kulturpolitische Aufmerksamkeit bekommen.
Attraktiv für den Tourismus ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Die EU-Donaustrategie und die für den Ostseeraum sind hervorragende Beispiele für ein koordiniertes Vorgehen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit einer ganzen Region. Dabei ist die Stärkung einer gemeinsamen Identität besonders zu begrüßen.
Auf diese beiden Beispiele möchte ich näher eingehen und sie mit dem Fahrradtourismus verbinden, der in Europa seit mehr als zwei Jahrzehnten mit einer jährlichen Steigerung von mehr als 20%. wächst.
In Italien denke ich an den 600 Kilometer langen Po-Radweg von Mailand bis zur Adria oder den grenzüberschreitenden Drau-Radweg von Bressanone über Klagenfurt nach Maribor.
Radtouristen - das belegen viele Untersuchungen - geben im Urlaub täglich mehr Geld aus als die Autotouristen. Die Radler sind nämlich keinesfalls arme Leute. Ich kenne viele, die ihren Mercedes in der Garage lassen und mit dem Rad ihren Urlaub verbringen. Und wenn ich an die Ostsee denke: Die Badesaison dauert vielleicht zwei oder drei Monate, die Radelsaison dagegen drei bis viermal so lang.
Die Fahrradinfrastruktur im Winter für den Skilanglauf zu nutzen, ist nicht nur in Skandinavien längst Realität. Auch in Bayern, in Österreich und in Tschechien werden die Radwege im Winter für die Langlauf-Loipen genutzt.
Investitionen in die Fahrradinfrastruktur sind nicht sehr kostenintensiv, der finanzielle Benefit aber umso größer. Deshalb ist der Radtourismus nicht nur ein ökologisches sondern auch ein ökonomisches Erfolgsmodell!
Die Donaustrategie beweist das ganz praktisch. 2008 waren in Serbien auf dem Donau-Radweg, das ist die EuroVeloRoute 6, insgesamt 500 Radtouristen unterwegs. Um das zu ändern, schilderte Serbien den Donau-Radweg aus, was mit Hilfe der „Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) auch gelang. Nach nur vier Jahren wurden 2012 am serbischen Donau-Ufer 13.000 (!) Radler gezählt.
Und warum kann Rumänien solche Zahlen nicht vorweisen? Weil es in Rumänien - ich glaube dem einzigen EU-Mitgliedstaat - per Gesetz verboten ist, auf Autostraßen Hinweisschilder für den Radverkehr aufzustellen. Ich finde, das muss sich umgehend ändern!
Sowohl zur Donau-Strategie als auch zur Ostsee-Strategie gehört der „Europa-Radweg Eiserner Vorhang“. Er verläuft entlang der Westgrenze der ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten als EuroVeloRoute 13 von der Barentssee an der norwegisch-russischen Grenze bis zum Schwarzen Meer an der türkisch-bulgarischen Grenze.
Auf einer Länge von 10.000 Kilometern tangiert er 20 Länder, von denen heute 15 Mitgliedstaaten der EU sind. Auf ihm kann man Geschichte, Politik, Natur und Kultur im wahrsten Sinne des Wortes erfahren.
Er führt auch durch viele entlegene Gegenden, die als damalige „Zonenrandgebiete“ unter der Spaltung Europas sehr gelitten haben. Und heute sind sie attraktiv gerade wegen dieser Geschichte.
In diesem Jahr 2014 erinnern wir uns an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren, des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren und an den Fall des Eisernen Vorhangs vor 25 Jahren. Und alle diese Daten gehören zusammen. Ohne den Ersten hätte es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben und ohne den Zweiten Weltkrieg nicht die Spaltung und Wiedervereinigung Europas.
Das Projekt „Iron Curtain Trail“, das mit großer Mehrheit aus allen Ländern und allen Fraktionen im Europäischen Parlament beschlossen wurde, verbindet diese Historie. Deshalb ist es nur konsequent, dass Ausschilderung und fahrradfreundlicher Ausbau vom „Europa-Radweg Eiserner Vorhang“ von der EU-Kommission rund um den südlichen Abschnitt mit ca. 1,4 Millionen Euro gefördert wird. Dabei kann der Ko-Finanzierungs-Anteil der EU bis zu 85% betragen.
Wie gesagt, nachhaltiger Tourismus ist auch ökonomisch interessant. In der EU arbeiten etwa 12 Millionen Menschen im Tourismussektor, der mehr als 10% des Bruttoinlandsproduktes der EU erwirtschaftet. Bis auf wenige Ausnahmen ist die Tourismusbranche ein mittelständiger Wirtschaftszweig, der Arbeitsplätze und Einkommen vor Ort schafft. Deshalb ist der Tourismus ein wichtiges Standbein der örtlichen und regionalen Wirtschaft. Investitionen in die touristische Infrastruktur erhöhen deshalb vor allem die Lebensqualität der einheimischen Bevölkerung.
Und bei guten Angeboten freuen sich auch die Touristen - und kommen dann gerne wieder. Ein wunderbarer Kreislauf für alle Beteiligten.