Von Werner Balsen
Der Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments (EP) hat sich für das Ende der Eurovignette für LKW ausgesprochen. In der ersten Abstimmung über das umfangreiche Mobilitätspaket der EU-Kommission stimmten die Abgeordneten des Gremiums für die Abschaffung der zeitbasierten Straßengebühren für schwere Nutzfahrzeuge und Lieferwagen bis 2023 sowie für die Interoperabilität der Mautsysteme in der EU.
Das heißt: Kein EU-Staat wird verpflichtet, seine Straßen gebührenpflichtig zu machen. Wenn sich eine Regierung aber dazu entscheidet, muss das System für die Erhebung der Maut entfernungsabhängig (nicht mehr zeitbasiert) sein. Die Einnahmen aus der Maut sollen dem Ausbau der Straßen zugutekommen. Eine spezielle Gebühr für überlastete Straßen (congestion charge) lehnten die Abgeordneten ab.
Einheitliche Mautsysteme
In einer zweiten Abstimmung votierte der Ausschuss für die Harmonisierung der verschiedenen Techniken bei der Mauterhebung auf Europas Straßen. Für den zuständigen Berichterstatter, den konservativen Italiener Massimiliano Salini ist das „ein positiver Schritt für viele Trucker in Europa“. Endlich würden die verschiedenen Mautsysteme in der EU vereinheitlicht.
Der Verkehrsausschuss stimmte ebenfalls dafür, dass Staaten, die eine Straßengebühr für Nutzfahrzeuge erheben, die Unternehmen steuerlich entlasten dürfen, um Doppelbelastungen zu verhindern.
Der deutsche Abgeordnete der Grünen, Michael Cramer, würdigt, dass die EU-Staaten die Möglichkeit erhalten, „in bergigen Regionen, in denen Einwohner und Umwelt besonders gefährdet und Infrastrukturkosten für Tunnel und Brücken hoch sind“, den Mautbetrag heraufzusetzen.
Die Umweltorganisation Transport & Environment (T&E) lobt das Abstimmungsergebnis. Das Votum für entfernungsabhängige Straßengebühren bedeutet, dass LKW und Lieferwagen für die Emissionen zahlen, die sie verursachen. T&E würdigt ausdrücklich die Differenzierungsmöglichkeiten bei der Maut erhebung: Bei Dreckschleudern kann die Straßengebühr mit einem Malus erhöht, bei sehr sauberen mit einem Bonus gesenkt werden.
Freude löst das Abstimmungsergebnis auch bei der Bahnlobby CER aus. Deren geschäftsführender Direktor Libor Lochman sieht darin den Versuch des EP-Verkehrsausschusses, das bestehende Ungleichgewicht zwischen der Bahn, deren Streckennutzung komplett gebührenpflichtig ist, und den nur zu einem sehr geringen Anteil bemauteten Straßen aufzuheben.
Widerstand kommt dagegen von der Internationalen Straßentransportunion (Iru). Sie hatte lange intensiv dafür gekämpft, dass den EU-Staaten die Wahl gelassen wird zwischen einem entfernungs- und einem zeitbasierten Mautsystem.
Der Leiter des Brüsseler Iru-Büros, Matthias Maedge, spricht von einem „enttäuschenden Abstimmungsergebnis“. Er hofft, dass im weiteren Gesetzgebungsverfahren die Ausschussentscheidung korrigiert wird.
Schwierige Dossiers kommen erst
Am 4. Juni will der Verkehrsausschuss über die deutlich komplizierteren sozialen Dossiers des ersten Mobilitätspakets abstimmen. Bei den Themen liegen die Auffassungen der Abgeordneten weit auseinander. Dabei trennt sie weniger die Partei- als die Länderzugehörigkeit.
Die Spaltung der EU in – grob gesagt – Nord-West- und Südost-Staaten hemmt derzeit auch Fortschritte im Ministerrat, der parallel zum EP bis zum 7. Juni seine Position festlegen will. In einer gemeinsamen Erklärung kritisieren elf Länder, die sich zur „Road Alliance“ zusammengeschlossen haben, die bulgarische Präsidentschaft scharf. Der Verkehrsminister des Balkanstaates hat den Vorsitz in dem Gremium und ist für die Ausarbeitung von Kompromissen zuständig. Die Allianz wirft den Bulgaren – in bemerkenswert offener, also undiplomatischer Form – vor, dabei zu versagen. Hinter vorgehaltener Hand fällt die Kritik an der Präsidentschaft noch deutlicher aus. Die bulgarische Regierung vertrete im Rat zu sehr die Standpunkte der heimischen Transportwirtschaft. Erst Mitte Mai hatte das Parlament in Sofia die bulgarische Regierung einstimmig aufgefordert, die Interessen der heimischen Transporteure bei der EU zu verteidigen.
Es gilt in Brüssel als ausgemacht, dass eine Verabschiedung des ersten Mobilitätspakets in der laufenden– im Frühsommer 2019 endenden – Legislaturperiode nur dann eine Chance hat, wenn EP-Verkehrsausschuss und die EU-Verkehrsminister in ihren Sitzungen Anfang Juni ihre Positionen bei den komplizierten Themen Lenk- und Ruhezeiten, Entsendevorschriften für LKW-Fahrer und Kabotage festlegen. Die Trilogverhandlungen, bei denen beide Gremien ihre jeweiligen Auffassungen zu einem Kompromiss zusammenführen, müssten unmittelbar danach beginnen.