Die Maut verärgert die Nachbarn

05. Dezember 2016 zur Übersicht

Artikel erschienen in "Aachener Zeitung" am 3.12.2016

Die Niederlande planen, gegen die Pläne aus Deutschland zu klagen - Belgien, Österreich und Dänemark werden sich wohl anschließen. Machte die Bundeskanzlerin Druck auf EU-Kommissionschef Juncker?

Von Detlef Drewes

 

Der Ärger ist groß.

 

Am Tag Eins nach dem Durchbruch für die deutsche Pkw-Maut war vor allem eines abzusehen: Die Nachbarn der Bundesrepublik tun sich zusammen. Das Ziel ist eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, die die Einführung der Straßengebühr zumindest verzögern, wenn nicht gar stoppen könnte. »Besorgniserregend« seien die Pläne von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), erklärte seine niederländische Amtskollegin Melanie Schultz van Haegen. »Diese Sorgen können nur ausgeräumt werden, wenn die Maut nicht eingeführt wird.« Österreich, Belgien und Dänemark dürften sich dem Widerstand wohl anschließen. »Die Diskriminierung von Ausländern wird nicht beseitigt, wenn man alle deutschen Autobesitzer von den Kosten befreit, nur eben einige noch ein bisschen mehr«, hieß es in Wien.

Denn genau das plant Dobrindt: Deutschen Auto-Besitzern wird über einen Nachlass bei der Kfz-Steuer erstattet, was die Abgabe kostet. Wer ein sauberes Fahrzeug mit Euro-VI-Norm fährt, erhält sogar noch mehr Rabatt. Das eigentliche Aufkommen zahlen die ausländischen Nachbarn, die für eine Zehn-Tages-Vignette zwischen 2,50 und 20 Euro bezahlen sollen - je nach Schadstoffklasse ihres Wagens. Dem hatte die Kommission am Donnerstag zugestimmt. Nun wächst die Kritik an EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc.

»Wir wollen wissen, warum die Kommissarin plötzlich umgefallen ist«, erklärten Abgeordnete des österreichischen Parlamentes.


Mit dieser Verwunderung stehen die Volksvertreter aus der Alpenrepublik nicht allein da. Auch in Belgien zeigte man sich »sehr erstaunt über den Meinungsumschwung der Europäischen Kommission«, betonten Regierungskreise. »Die Maut wird definitiv allein von den ausländischen Autofahrern bezahlt«, hieß es aus dem Umfeld des belgischen Verkehrsministers François Bellot.

Tatsächlich ist vor allem der Umfaller der Brüsseler Kommission erstaunlich. Die machte zwar nie einen Hehl daraus, dass sie Straßennutzungsgebühren für alle Mitgliedstaaten begrüßen würde. Herzstück dieser Idee war jedoch stets eine entfernungsabhängige Abgabe, damit nur der zahlt, der auch viel fährt.

Davon ist jetzt jedoch keine Rede mehr. Kommissarin Bulc meinte sogar, das deutsche System könne eine Basis für eine europaweite Maut sein.

Das erscheint schwer vorstellbar: In den meisten Ländern, die auch bisher schon für ihre Autobahnen kassieren, steigen die Nutzungsgebühren mit der Entfernung. In Deutschland werden EU-Ausländer nach Tagen abkassiert - egal, wie viel jemand fährt. Der Chef des Verkehrsausschusses im Europäischen Parlament, Michael Cramer (Grüne), sprach offen von einem »faulen Kompromiss«, der »antieuropäisch« sei, weil letztlich nur die ausländischen Fahrer zur Kasse gebeten werden.

Hinter den Kulissen der Kommission, so war gestern zu hören, sei tatsächlich heftig gerungen worden. Sollten die Spekulationen stimmen, dann hat sich Verkehrskommissarin Bulc offenbar heftig gegen den Kompromiss gewehrt. Erst als der Chef der EU-Behörde, Jean-Claude Juncker, nach einem Gespräch mit der Kanzlerin »massiv eingegriffen« habe, sei eine Verständigung zustande gekommen.

Pendler im Nachteil


Aus belgischen und niederländischen Regierungskreisen gab es gestern erste Überlegungen, im Fall einer deutschen Pkw-Maut selbst eine Straßenbenutzungsgebühr einzuführen, bei der ebenfalls die ausländischen Pkw-Fahrer den Großteil zu tragen hätten. Eine solche Revanche träfe damit vor allem die Nachbarn aus der Bundesrepublik, die zwar zu Hause nichts zusätzlich zahlen müssten, bei der Fahrt über die Grenze dafür aber umso mehr.

Man sei, so hieß es in Brüssel, außerdem »darüber sauer, dass Herr Dobrindt auch keine Entlastungen für den sogenannten kleinen Grenzverkehr vorgesehen« habe. Denn dadurch würden sich »die Deutschen auch noch an den Pendlern bereichern, die jeden Tag zur Arbeit in die Bundesrepublik fahren«. Mit diesem Argument, betonten Regierungskreise in Den Haag, werde man »noch einige Staaten mehr bewegen, sich einer Klage anzuschließen«. Gedacht wird bei dieser Aussage an Frankreich, die Schweiz, Polen und Tschechien. Es könnte eine Klagewelle werden.