Von Joachim Wille
Von außen? Ein ganz normaler Kühlschrank. Doch der "Greenfreeze" hatte es in sich. Das Gerät stellte vor 25 Jahren eine technische Revolution dar. Es war das erste Kühlgerät, das nicht mit dem Ozon-Killer FCKW funktionierte, sondern mit einem natürlichen Kältemittel, das weder die sensible Schutzschicht vor UV-Strahlung in der Stratosphäre zerstört noch zum Treibhauseffekt beiträgt. Inzwischen ist die Greenfreeze-Technik praktisch weltweit Standard - mit Ausnahme der USA. Doch selbst hier bahnt sich der Schwenk an, auch die US Hausgerätehersteller wollen nachziehen. In anderen wichtigen Sektoren allerdings hapert es mit der "grünen Kälte-Revolution".
US-Chemiekonzerne pushen den Einsatz von umweltkritschen Ersatz-Chemikalien nicht nur in Auto-Klimaanlagen, sondern unter anderem auch in Kühlsystemen von Supermärkten und bei der Klimatisierung von Gebäuden. Es geht um einen globalen Milliardenmarkt.
Dass der erste FCKW-freie Kühlschrank im Jahr 1993 vom Band lief, ist der Umweltorganisation Greenpeace und dem früheren DDR-Unternehmen Foron zu verdanken. Auslöser der Innovation Made in (East-)Germany war das 1987 geschlossene Montreal-Abkommen zum Schutz der Ozonschicht. Es schrieb vor, die ozonschädigenden chlorhaltigen Substanzen auszumustern.
Alle anderen deutschen Kühlschrank-Hersteller setzten damals als Ersatz auf das vom US-Konzern DuPont entwickelte Kältemittel "R134a", einen teilfluorierten Kohlenwasserstoff (HFKW). Diese Chemikalie hat zwar den Vorteil, die Ozonschicht nicht zu ruinieren, aber auch einen gewaltigen Nachteil: Es ist ein starkes Treibhausgas. Ein Molekül davon wirkt 1430 mal so stark wie ein CO2-Molekül. Bei Leckagen, Fehlern bei der Befüllung der Kälteanlagen oder der Entsorgung gelangt der Klimakiller in die Atmosphäre.
Die Entwickler von Foron aus Sachsen zeigten, dass ein Kälteaggregat genauso gut mit dem natürlichen, zudem billigen Gas Isobutan funktioniert - und dabei noch Energie einspart. Kühlschränke mit Isobutan brauchen zehn Prozent weniger Strom als solche mit R134a. Der "David" der Branche ließ die "Goliaths" alt aussehen. Und die reagierten notgedrungen, weil die Alternative so viel besser war: Binnen weniger Monate schwenken alle anderen deutschen Hersteller ebenfalls um, von AEG über Liebherr bis Siemens. Foron allerdings half der Greenfreeze-Coup am Ende nicht - das Unternehmen ging 2001 pleite.
Der damalige Greenpeace-Campaigner Wolfgang Lohbeck, inwischen 73, ist heute noch stolz auf den Coup. "Wir haben es geschafft, einen neuen, umweltfreundlichen Standard zu etablieren." In den 25 Jahren sind weltweit rund 900 Millionen Kühlschränke mit der ursprünglich für Greenfreeze entwickelten Technik verkauft worden, der Marktanteil beträgt inzwischen 75 Prozent. Vor allem in den USA wird der Großteil der Kühl- und Gefriergeräte allerdings auch ein Vierteljahrhundert danach weiterhin mit dem Klimakiller R134a verkauft. Nun allerdings wollen die US-Haushaltsgeräte-Hersteller ihn ebenfalls ausmustern und komplett zu dem natürlichen Kältemittel wechseln. "Wir sind entschlossen, Isobutan einzusetzen", teilte ein Sprecher des US-Branchenverbandes AHAM der FR mit.
Ein Problem muss allerdings noch gelöst werden. Eine Vorschrift der US-Umweltbehörde EPA begrenzt die Menge an Isobutan, die in Kühlaggregaten eingesetzt werden darf, auf 57 Gramm. Das reicht nur für normalgroße europäische Kühlschränke, nicht aber für die in den USA üblichen doppeltürigen Kühlschrank-Kolosse. Deswegen spricht sich die AHAM dafür aus, das Limit, wie in Europa üblich, auf 150 Gramm zu erhöhen. Es wird erwartet, dass die EPA dem stattgibt. Denn das ursprüngliche Argument für die Begrenzung auf 57 Gramm, eine Gefährdung durch die Brennbarkeit von Isobutan, darf als entkräftet gelten. Die deutschen Hersteller, die den Stoff am längsten nutzen, sehen keine Probleme. "Die langjährige Erfahrung zeigt, dass dieses Kältemittel hervorragend für den Einsatz in Haushaltsgeräten geeignet ist", heißt es beim Marktführer Bosch-Siemens-Hausgeräte (BSH), der auch eine US-Tochter hat. Ziel sei es, "künftig in allen Kältegeräten weltweit Isobutan zu verwenden".
Eine Erfolgsgeschichte, die sich vervielfältigen ließe. Denn für praktisch alle Anwendungsbereiche von Kühlung und Klimatisierung gibt es natürliche Kältemittel, die preiswert, effizient sowie umwelt- und klimafreundlich sind, darunter neben Isobutan andere Gase wie Propan und CO2 - oder schlicht: Wasser. Umweltschützer favorisieren sie. "Anlagen mit natürlichen Kältemitteln sind nachhaltige und zukunftstaugliche Lösungen", heißt es zum Beispiel beim Umweltbundesamt (UBA). Doch die US-Chemiekonzerne, die mit Kältemitteln aus ihren Labors gute Geschäfte machen, seitdem dort in den 1930er Jahren die später als Ozonkiller identifizierten FCKW entwickelt wurden, wollen die Milliarden-Märkte natürlich nicht preisgeben. Bei den Auto-Klimaanlagen haben die führenden Kältemittel-Hersteller Honeywell und Chemours es fast geschafft, eine Revolution à la "Greenfreeze" zu verhindern. Anders als bei den meisten Kühlschränken war hier das R134a trotz des bekannten Treibhaus-Potenzials rund zwei Jahrzehnte lang standardmäßig eingesetzt worden, bis die EU als erster wichtiger Markt den Klimakiller sukzessive aus dem Verkehr zog. Als Nachfolger machte aber nicht das ursprünglich von der deutschen Autoindustrie favorisierte natürliche Kältemittel Kohlendioxid (CO2) das Rennen. Neuer "weltweiter Standard" ist inzwischen, wie Honeywell auf Anfrage stolz vermeldet, die gemeinsam mit dem Chemours-Vorläufer DuPont entwickelte Chemikalie "R1234yf", ein ungesättigter Fluorkohlenwasserstoff, auch als "Hydro-Olefin" (HFO) bezeichnet. Sie werde von amerikanischen, europäischen, koreanischen, japanischen und chinesischen Autoherstellern eingesetzt - inzwischen in über 45 Millionen Fahrzeugen. Auch in Deutschland würden "über 99,9 Prozent" der Neuwagen mit R1234yf ausgestattet, wie der Konzern betont.
Vor allem hierzulande ist das neue Kältemittel umstritten, seitdem es sich 2012 in Tests beim Autobauer Daimler entzündete. Dabei entstand Flusssäure, die hochgiftig ist und starke Verätzungen auslösen kann. Inzwischen wachsen jedoch auch die Umweltbedenken. Atmosphärenforscher finden Spuren von R1234yf bereits bei Messungen in den Schweizer Alpen, und zwar ansteigend. Im vorigen Jahr war die Chemikalie bereits in der Hälfte aller Proben nachweisbar. Problematisch sind vor allem die Zersetzungsprodukte des Kältemittels. Hier geht es insbesondere um Trifluoressigsäure (TFA), eine praktisch nicht abbaubare Verbindung, die als wassergefährdender Stoff eingestuft ist.
Das Umweltbundesamt (UBA) in Dessau sieht die Entwicklung kritisch, denn TFA wird mit den Niederschlägen aus der Luft ausgewaschen und gelangt so auf den Boden, in die Pflanzen und in die Gewässer. Die Experten befürchten ein neues schleichendes Umweltproblem. "Es gibt mittlerweile schon Messungen von TFA im Trinkwasser", berichtet UBA-Expertin Gabriele Hoffmann. Die Salze der Verbindung sind aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften bei der Trinkwasseraufbereitung praktisch nicht entfernbar. "Deshalb ist es wichtig, den Eintrag dieses Stoffes aus allen Quellen zu unterbinden", fordert Hoffmann Als Problem gilt außerdem, dass zur Herstellung von R1234yf der weltweit knappe und teure Rohstoff Fluorspat benötigt wird.
Noch besteht die Chance, dass sich eine Alternative für Auto-Klimaanlagen etabliert. Daimler hat nach dem Brand-Debakel ein System neu entwickeln lassen, das mit CO2 als Kältemittel arbeitet, bietet es bisher allerdings nur als Sonderausstattung in den Modellen S- und E-Klasse an. Auch Konkurrent Audi hat die CO2-Klimatisierung für das neue Topmodell A 8 angekündigt.
Sowohl bei den Stuttgartern als auch bei der Audi-Konzernmutter VW in Wolfsburg bekennt man sich zwar grundsätzlich zur CO2-Technik. Entscheidungen, sie in allen Modellen einzuführen, stehen aber noch aus. Gabriele Hoffmann sagt dazu: "Ist die umweltfreundliche Alternative mit CO2 in Kraftwagen im täglichen Einsatz auf der Straße ausreichend erprobt, müssen die Stückzahlen steigen, damit die Kosten für die Technik mittelfristig sinken können." Ein Pluspunkt, auf den die Expertin verweist: Die CO2-Klimaanlagen können im Winter zum effizienten Heizen verwendet werden, was insbesondere bei Elektro-Autos und bei Elektro-Bussen die Reichweiten-Verluste minimiert.
Doch die Kältemittel-Zukunft entscheidet sich nicht nur unter der Motorhaube. Zunehmend wird das umstrittene R1234yf auch in Kälteanlagen von Supermärkten und Discountern sowie stationären Klimaanlagen genutzt, etwa bei Bürogebäuden, Hotels und Kliniken. Auch dort ersetzt es den Klimakilller R134a. Und auch dort ist es nicht zwingend, auf die HFO-Chemikalie umzusteigen. "Überall gibt es Alternativen mit natürlichen Kältemitteln, die gut funktionieren und auch bereits seit Jahren erprobt sind", sagt Professor Michael Kauffeld, Sprecher des Instituts für Kälte-, Klima- und Umwelttechnik der Hochschule Karlsruhe.
Hier ist die Situation günstiger als im Auto-Bereich, denn international und national setzen eine ganze Reihe Unternehmen, darunter auch Weltkonzerne, auf natürliche Kältemittel. Der Coca-Cola-Konzern etwa wirbt damit, seine Brause in CO2-gekühlten Automaten zu verkaufen. Ein wegweisendes Beispiel aus Deutschland liefert der Discounter Lidl. Er hat eine "Integralanlage" entwickeln lassen, die sowohl Kälte für die Lebensmittel-Regale als auch Heizwärme für den Verkaufsraum erzeugt, basierend auf dem Kältemittel Propan. Weltweit gibt es inzwischen rund 12 000 große Supermarkt-Kälteanlagen mit natürlichen Kältemitteln, in Deutschland über 2000.
Experte Kauffeld hofft, dass sich diese Technologien gegen die Marktmacht der großen Chemiekonzerne durchsetzen, die nach Expertenschätzungen mit R1234yf und verwandten HFOs bereits über vier Milliarden US-Dollar Jahresumsatz machen. Er befüchtet: "Gelingt das nicht, werden wir vielleicht in zehn Jahren feststellen, dass wir uns mit den R1234yf-Abbauprodukten erneut ein kaum lösbares Umweltproblem eingehandelt haben - so wie bei den FCKW, die am Anfang auch für unbedenklich gehalten wurden." Hersteller Honeywell indes hält solche Befürchtungen für unbegründet. Es gebe "eine Vielzahl wissenschaftlicher Belege", wonach die Wirkung des Kältemittel-Abbauprodukts TFA "verschwindend gering ist", lässt der Konzern wissen.
Die EU-Kommission, die mit ihrer Kältemittel-Richtlinie indirekt den Anstoß für die Entwicklung von R1234yf gab, ist immerhin etwas hellhörig geworden. Es gebe bei Experten zwar keine "unmittelbaren Bedenken", heißt es dort. Doch die Kommission veranlasste inzwischen auch, dass künftig in den vierteljährlichen Berichten zur Umsetzung des Montreal-Protokolls auch über Entwicklung bei den Abbauprodukten informiert wird. Die Hersteller sind ohnehin verpflichtet, nach Brüssel zu melden, welche Mengen dieses Kältemittels und verwandter Produkte in Verkehr gebracht werden.
Der Europaabgeordnete Michael Cramer (Grüne), der bei der Kommission deswegen angefragt hatte, begrüßt zwar, dass nun regelmäßig über die Abbauprodukte in der Umwelt informiert wird. Er hält das aber nicht für ausreichend. "Statt Stoffe wie die gefährliche Trifluoressigsäure nur zu beobachten, sollten diese schon an der Quelle vermieden werden", sagte er der FR. Die richtige Strategie sei es, "schnellstens natürliche Kältemittel wie CO2 zu fördern".