Die klimapolitische Geisterfahrt des Verkehrssektors
"Europa ist wie ein Fahrrad - wenn es anhält, fällt es um", mit diesen Worten charakterisierte einst Jacques Delors, ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission, den Einigungsprozess unseres Kontinents. Und das gilt nicht nur im übertragenen Sinne: Denn mehr Mobilität ist zugleich Voraussetzung und Folge des zusammenwachsenden Europas. Wer ja sagt zur europäischen Integration, sagt auch ja zur Reisefreiheit für die Menschen und zum freien Austausch von Gütern.
Aber: Die Mobilität muss sich ändern. Denn der Verkehrssektor, der für ein Viertel der CO2-Emissionen verantwortlich ist, befindet sich auf einer klimapolitischen Geisterfahrt, die milliardenschwere Investitionen anderer Sektoren zunichtemacht. Während seit 1990 die CO2-Emissionen in der Industrie um 34%, im Energiesektor um 17% und bei den Haushalten um 14% gesenkt werden konnten, sind sie im Verkehr im selben Zeitraum um 27% gestiegen.
Zudem erreicht die Luftverschmutzung in vielen Städten bedrohliche Ausmaße, die Verkehrsunfälle kosten jährlich 35 000 Menschen in der EU das Leben, Straßen und Parkplätze beanspruchen einen großen Teil des öffentlichen Raums und das Wachstum des Straßenverkehrs wird oftmals auf Kosten der Sozial- und Arbeitsbedingungen erkauft. Die Kosten für diese Fehlentwicklung tragen die Umwelt, die Allgemeinheit und zukünftige Generationen.
Kurs auf Nachhaltigkeit? Das EU-Weißbuch Verkehr
Aus all diesen Gründen hat die EU übergeordnete Klimaziele definiert. Bis 2020 sollen 20% der Treibhausgasemissionen eingespart, 20% mehr Energieeffizienz erzielt und 20% der Energie aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden. Diese Ziele sind nur mit einer Verkehrswende erreichbar. Deshalb müssen wir die Mobilität sichern und das Klima schützen.
In ihrem Weißbuch Verkehr geht die Europäische Kommission davon aus, dass die EU bis 2050 im Vergleich zu 1990 eine Emissionsminderung um 80 bis 95% erreichen muss. Im Verkehr leitet ist eine Reduktion um mindestens 60 % gegenüber 1990 nötig. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um rund 20 % unter den Stand von 2008 gesenkt werden. Weil der zweite nicht ohne den ersten Schritt möglich ist, fordert das Europäische Parlament für 2020 eine Reduktion von 20% gegenüber 1990.
Städte und Metropolen: größtes Problem und größte Chance
Bis zum Jahr 2050 werden in der EU fast 85% der Bürgerinnen und Bürger in Städten leben. Zugleich ist der Verkehr dort eine der Hauptverschmutzungsquellen, weil er in den Städten für 40% der CO2-Emmissionen und für 70% aller klimaschädlichen Abgase verantwortlich ist. Konsequenterweise hat die Europäische Kommission in ihrem Weißbuch das Ziel ausgegeben, den innerstädtischen Verkehr bis 2050 vollständig CO2-neutral zu machen.
Die Städte haben das Potential für kurze Wege und den Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsmittel. Laut Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer sind auch 90% aller Autofahrten in deutschen Städten kürzer als 6 km (!) - ideale Entfernungen für den Umstieg auf Bus, Bahn, Rad- und Fußverkehr. Wenn man bedenkt, dass für jeden investierten Euro - so eine Studie aus Helsinki - ein Nutzen von 8 Euro erzielt werden kann, ist die Förderung des Radverkehrs nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch geboten.
Die Rolle der EU: Voraussetzungen schaffen, Anreize setzen
Die Gestaltung der Mobilität in Städten und Metropolen ist natürlich zuallererst Aufgabe der lokalen und regionalen Akteure. Trotzdem trägt die EU aber auch die Verantwortung für ein fairen Rahmen. Darüber hinaus muss sie ihre Finanzmittel im Einklang mit ihren Klimaschutzzielen vergeben.
Hier gibt es große Defizite. Noch immer fließen 60% der Mittel aus den Regional- und Kohäsionsfonds in den klimaschädlichen Straßenverkehr, aber nur 20 % in die umweltfreundliche Schiene. Wir Grüne fordern deshalb eine Deckelung der Straßenmittel auf einen Anteil von 20% und eine Anhebung der Ausgaben für den Bahnverkehr auf mindestens 40%.
Zudem gibt es einen unfairen Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern. "Im Verkehr ist die Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt", brachte der ehemalige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Johannes Ludewig (CDU), dieses Defizit auf den Punkt. So muss EU-weit jede Lokomotive auf jedem Streckenkilometer eine in der Höhe unbegrenzte Schienenmaut bezahlen. Die Erhebung einer Straßenmaut ist eine freiwillige Entscheidung der Mitgliedstaaten, in der Höhe gedeckelt, gilt in Deutschland nur auf Autobahnen sowie einigen Bundesstraßen und nur für LKW ab 12 t.
Obwohl die Emissionen in der Luft drei bis vier Mal so klimaschädlich sind wie am Boden, profitiert der Flugverkehr - anders als die Bahn, deren Kunden das alles bezahlen müssen - von einer Kerosin- und auf internationalen Relationen auch von einer Mehrwertsteuer-Befreiung. Die Zeche für dieses jährlich 30 Mrd. Euro teure Geschenk an die klimaschädlichen Airlines die Steuerzahler und die Umwelt, davon allein die Deutschen 12 Milliarden. All das ist ein hervorragender Rahmen für die Verlagerung der Verkehrsströme - nur genau in die falsche Richtung.
Gemessen an den wahren Kosten ist der Verkehr in Europa zu billig - nur der umweltfreundliche ist zu teuer! Und das ist politisch gewollt.
Investitionen: Cleverness statt Größenwahn
Aber auch die Investitionen müssen sich in die Gesamtstrategie einfügen. Statt milliardenschwerer Großprojekte, die die knappen Ressourcen über Jahre binden und die Effizienz allenfalls in die ferne Zukunft verlagern, muss der europäische und ökologische Mehrwert durch Lückenschlüsse und grenzüberschreitende Vernetzung die oberste Priorität bekommen.
Aber auch die Städte müssen die Weichen richtig stellen. Während zum Beispiel die Straßenbahn von Paris über Dublin bis Dubai weltweit eine Renaissance erlebt, hat sich Berlin nach dem Fall der Mauer entschieden, lieber 5 km U-Bahn in 30 Jahren zu bauen als 100 km Straßenbahn in 10 Jahren.
Fazit: Metropolen als Schlüssel zur Verkehrswende in Europa
All das zeigt: Die Städte und Metropolen spielen eine Schlüsselrolle nicht nur in der Verkehrswende, sondern auch in der gesamten Klimaschutzstrategie der EU. Wenn es nicht gelingt, die Mobilität in städtischen Räumen nachhaltig zu gestalten, können wir den Klimawandel nicht stoppen, die Lebensqualität und Gesundheit unserer Bürger nicht verbessern und das Auftürmen unbezahlter Rechnungen für künftige Generationen nicht beenden. Mobilität und Klimaschutz schließen sich nicht aus, sondern bedingen sich. Am Ende profitieren davon alle. Besonders auch unsere Metropolen, die aus ihrem Problem ihre größte Stärke machen können.