Seit mehr als zwei Jahren läuft die Debatte zwischen Brüssel und Berlin über die geplante Pkw-Maut auf deutschen Straßen, bei gleichzeitiger 1:1-Entlastung deutscher Autofahrer bei der Kfz-Steuer. Der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt sieht es als „Frage der Gerechtigkeit“, dass auch ausländische Autofahrer für Straßen in Deutschland zahlen. Die EU-Kommission ortete dagegen Diskriminierung und überproportionale Belastung anderer EU-Bürger und hat Deutschland bereits beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) geklagt.
Nun hat Berlin doch einen Kompromiss gefunden, der für die EU-Kommission tragbar scheint: Alle deutschen Autofahrer sollen mindestens in Höhe ihrer Maut bei der Steuer entlastet werden – besonders saubere Autos aber darüber hinaus. Zugleich werden die Kurzzeitvignetten günstiger und stärker gestaffelt. Eine Zehn-Tages-Maut soll je nach Auto 2,50 Euro, 4,0 Euro, 8,0 Euro, 14 Euro oder maximal 20 Euro kosten. Im ursprünglich vom Bundeskabinett verabschiedeten Gesetzesentwurf sind es 5, 10 und 15 Euro. Vignetten für zwei Monate sollen bei sieben Euro starten und maximal 40 Euro kosten, statt wie bisher 16 bis 30 Euro.
Die Einigung zeichnete sich bereits Anfang November ab. Am Donnerstag wurde sie von Dobrindt und EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc besiegelt. Dem Vernehmen nach soll das Kabinett von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine maßgebliche Rolle bei den Gesprächen gespielt haben – und nicht die zuständige Kommissarin.
„Ab und zu hat man den Eindruck, dass sich manche Länder leichter tun mit einer Einigung“, sagte Verkehrsminister Jörg Leichtfried, der am Donnerstag für ein Treffen mit seinen Ressortkollegen in Brüssel war. Aus österreichischer Sicht sei der neue Vorschlag „genauso diskriminierend wie der erste“. Leichtfried will nächste Woche in einem Schreiben an die EU-Kommissarin Österreichs Rechtsposition klarlegen und sucht dafür auch Verbündete. Die Verkehrsminister der Niederlande und Belgiens würden die deutschen Mautpläne ähnlich kritisch sehen, sagte er. Hoffnungen setzt er auch in Polen. Eine Klage Österreichs beim EuGH lässt Leichtfried weiter offen, will dafür aber den endgültigen Gesetzesbeschluss in Berlin abwarten, der voraussichtlich im März oder April erfolgt.
Auch Bulc will formal erst dann das Vertragsverletzungsverfahren einstellen, bis dahin liegt es auf Eis. Es sei gelungen, die europäischen Interessen zu verteidigen, sagte sie.Die Einigung sei ein erster wichtiger Schritt hin zu einem gemeinsamen europäischen Rahmen für Straßenbenutzungsgebühren.
Nach früheren Schätzungen des ÖAMTC wären rund zwei Millionen Österreicher von der Vignettenpflicht auf den deutschen Straßen betroffen. Allein 1400 Salzburger pendeln täglich zur Arbeit nach Bayern, unzählige fahren über das Deutsche Eck.
Ursprünglich sollte die Maut ab 2016 rund 600 Mill. Euro in die deutsche Staatskasse spülen. Wegen der Einwände der EU-Kommission wurde sie aber auf Eis gelegt. Jetzt ist die Rede von 500 Mill. Euro und Start der Maut ist erst 2018, also nach der deutschen Bundestagswahl. Das Geld soll komplett für den Straßenbau genutzt werden.
Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei und Parteikollege von Dobrindt, Manfred Weber, begrüßte den Konsens zwischen Berlin und Brüssel bei der Maut. Es habe von beiden Seiten Bewegung bedurft, „aber jetzt liegt eine europarechtskonforme Lösung vor“, sagte er. „Ich hoffe, dass das in Berlin auch schnell umgesetzt wird.“
Ganz anders sieht das Michael Cramer, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im EU-Parlament. Die Kommission winke einen faulen Kompromiss durch, kritisiert er. Sie lehne eine 1:1-Kompensation der Mautausgaben ab, „findet es aber irrsinnigerweise in Ordnung, wenn die Mehrbelastung deutscher Autofahrer durch Steuersenkungen sogar überkompensiert werden soll“ und am Ende nur ausländische Fahrer die Maut berappen. „Das ist antieuropäisch und wird Klagen vor dem EuGH provozieren“, so Cramer. Das Vignettensystem sei „das Gegenteil einer sozial gerechten und ökologischen Lösung für das 21. Jahrhundert, wie die EU-Kommission sie eigentlich fordert“. Tatsächlich wird in der EU seit Jahren über ein einheitliches, streckenbezogenes Mautsystem diskutiert. Bisher gibt es dafür keine Mehrheit.