Der unfaire Wettbewerb zwischen Bahn und Flugzeug schadet der Gesundheit vieler und ist ökonomischer Unsinn

03. Februar 2014 zur Übersicht

Artikel erschienen in der "Frankfurter Rundschau" am 03.02.2014, von Michael Cramer

Die Luftverkehrsindustrie verlangt derzeit nichts Geringeres als geltende Nachtflugverbote auf deutschen Flughäfen wieder aufzuweichen, die Abschaffung der Luftverkehrssteuer sowie die weitere Aussetzung des Emissionshandels für Airlines bis 2020. Ein entsprechendes Forderungspapier stellte jüngst der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) in Frankfurt vor.

Ohne Frage ist der darin enthaltene Vorschlag eines nationalen Luftverkehrskonzepts grundsätzlich sinnvoll. So könnte man zum Beispiel der Verschwendung von Milliarden Euro an Steuergeld beim Bau von überflüssigen und unrentablen Regionalflughäfen endlich ein Ende setzen. Denn aufgrund der verheerenden Fehlplanung schreiben derzeit 17 der 23 internationalen Flughäfen in Deutschland rote Zahlen. Deren Defizite werden zumeist mit öffentlichem Geld ausgeglichen.

Andererseits darf ein solches Luftverkehrskonzept nicht zu einem Wunschkonzert für die Wirtschaftsinteressen einiger Unternehmen auf Kosten der Allgemeinheit werden. Zwar beteuert die Branche, sie sei "selbstfinanziert" und käme ohne Subventionen aus. Das ist jedoch falsch. Denn die deutschen Steuerzahler subventionieren bereits heute jedes Jahr die Airlines allein mit zwölf Milliarden Euro, weil diese - im Gegensatz zur Bahn - von der Kerosinsteuer und auf Auslandsstrecken auch von der Mehrwertsteuer befreit sind.

EU-weit beläuft sich die Summe somit jedes Jahr auf stolze 30 Milliarden Euro. Die Kunden der umweltfreundlichen Bahn dagegen müssen das alles bezahlen. So ist es kein Wunder, dass die Passagierzahlen im Schienenfernverkehr seit 1994 auch wegen der 15-maligen Erhöhung der Ticketpreise gesunken sind, während die innerdeutschen Flüge um 70 Prozent zugenommen haben. Die derzeitigen Forderungen sind somit ein dreister Ruf nach noch mehr Pfründen.

Der wirtschaftliche Schaden, der für den Steuerzahler dabei entsteht, ist nur die eine Seite der Medaille. Der vorenthaltene Gesundheitsschutz für lärmgeplagte Flughafenanwohner die andere. Nachtflugverbote waren nie als Ärgernis für die Wirtschaft gedacht, sondern notwendig, um die Menschen im Einzugsgebiet großer Flughäfen wenigstens etwas vor dem Fluglärm zu schützen. Andernfalls drohen, da ist sich die Wissenschaft einig, stressbedingte Erkrankungen, wie Bluthochdruck und Herzkreislauferkrankungen. Diese Ruhezeiten wieder abzuschaffen, wäre blanker Hohn für die betroffenen Anwohner.

Im Übrigen hat sich der Luftverkehr zum größten Wachstumstreiber beim Emissionsausstoß im EU-Verkehrsbereich entwickelt. Seit 1990 haben seine Treibhausgasemissionen um 80 Prozent zugenommen. Angesichts dieser Zahlen sollte jedem klar sein, dass der Flugverkehr von den Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel nicht ausgenommen werden darf. Aus diesem Grund bezog die EU Anfang 2012 die Airlines halbherzig in das Emissionshandels-System ein.

Und auch hier wurden die Privilegien gesichert, weil die Airlines 85 Prozent der Emissionszertifikate geschenkt bekamen, während die Bahn über den Stromkauf voll eingebunden ist. Dieser Einstieg in die Anrechnung der Klimakosten kostete die Passagiere nicht mehr als ein Kaffee am Flughafen. Trotzdem wurde die Einbeziehung der Fluggesellschaften nach nicht einmal elf Monaten wieder ausgesetzt. Das Einknicken der EU ist ein weiteres Zugeständnis zugunsten der Luftfahrtbranche.

All diese Privilegien sowie die unerwünschten Nebenkosten des Fliegens, wie Verschmutzung und Lärmemissionen, werden nicht von den Airlines oder den Passagieren getragen, sondern von der Allgemeinheit. Der ehemalige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Johannes Ludewig (CDU), brachte das einmal so auf den Punkt: "In der Verkehrspolitik ist die Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt". Die Masse der Bevölkerung subventioniert nämlich die Flugreisen der Vielflieger und Manager. Das ist nicht nur unökologisch, sondern auch unsozial!

Und auch der neue Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) wird - inklusive der Mehrkosten in Milliardenhöhe - aus Steuergeld und nicht von den Airlines finanziert. Es wäre Aufgabe der Politik, den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern im Sinne des Gemeinschaftsinteresses fair zu gestalten. Dabei geht es nicht um Planwirtschaft, sondern darum, die Marktwirtschaft wiederherzustellen. Ein fairer Wettbewerb zwischen allen Verkehrsmitteln ist ein vernünftiges und marktorientiertes Ziel.

In der Realität sind wir von entsprechenden Maßnahmen aber weit entfernt. In den Koalitionsverhandlungen wollte die SPD sogar noch die Luftverkehrssteuer abschaffen, obwohl die Passagierzahlen seit deren Einführung nicht gesunken, sondern gestiegen sind. Nur weil die dabei entstehende Haushaltslücke in Höhe von einer Milliarde Euro nicht anders ausgeglichen werden konnte, musste die SPD auf diese Forderung verzichten. Und von einem "nationalen Alleingang" kann auch keine Rede sein, wenn man auf die Ticketsteuern in anderen europäischen Ländern wie Frankreich, England oder Österreich schaut.

Anstatt den Forderungen der BDL nach weiterem Subventionswucher nachzukommen, muss der Dschungel der Pfründe gelichtet werden. Die Ungleichbehandlung des umweltfreundlichen Schienenverkehrs im Vergleich zum klimaschädlichen Luftverkehr haben Politiker geschaffen - und nur sie können diese beenden. Das wäre ökonomisch sinnvoll, klimapolitisch geboten, sozial gerecht und nicht zuletzt ein Segen für die Gesundheit der Menschen.

Michael Cramer ist verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament.