Die EU-Kommission wirft den BER-Planern vor, die Umweltverträglichkeit der Flugrouten nicht geprüft zu haben und leitet ein Vertragsverletzungsverfahren ein. In Wirklichkeit aber geht es um mehr.
Kaum ein Monat vergeht, in dem der neue Hauptstadtflughafen (BER) nicht für neue Hiobsbotschaften sorgt. Nach dem Debakel um geplatzte Eröffnungstermine und ausufernde Kosten geht mit dem Vertragsverletzungsverfahren der EU nun der jahrelange Streit um die Flugrouten in eine neue Runde.
Brüssel wirft der Bundesregierung vor, die Folgen einzelner Flugrouten für die Umwelt nicht geprüft zu haben. Die Frage ist, ob die Routen nun neu festgelegt werden müssen. "Es könnte sein, dass alles bleibt, wie es ist", sagt der Sprecher der Deutschen Flugsicherung, Axel Raab.
Möglich sei aber auch, dass einige Flugrouten geändert werden müssten. "Das kann dann ein langer Prozess sein." Solange bliebe die Rechtsverordnung gültig, mit der das BAF im Januar 2012 die Routen festgelegt hatte. Flughafensprecher Ralf Kunkel sagte: "Auf die Fertigstellung und die Eröffnung des BER hat das Verfahren keinen Einfluss."
Rückendeckung erhielt die EU-Kommission von den Grünen aus dem EU-Parlament. "Die Kommission stellt zu Recht die Sicherheit des Flugverkehrs und den Schutz der Umwelt über die kurzfristigen Planungsbelange der Flughafenbetreiber", erklärte deren verkehrspolitischer Sprecher, Michael Cramer.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Renate Künast, forderte, die fehlenden Umweltprüfungen nachzuholen. Die Ankündigung aus Brüssel verweise erneut auf einen "eklatanten Fehler" bei der Flughafenplanung, sagte Künast der "Berliner Zeitung".
Der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, warf den Verantwortlichen eine "schlampige und arrogante Handlungsweise" vor. "Seit langem wurde von den Bürgerinnen und Bürgern und von unserer Fraktion beanstandet, dass bei den geplanten Flugrouten am BER die Umweltverträglichkeit nicht geprüft worden ist, obwohl dies europäisches Recht zwingend vorschreibt. Die Bundesregierung erwiderte auf diese Kritik lediglich, dass eine solche Prüfung im deutschen Recht nicht vorgesehen sei. Sie 'vergas' dabei, dass dann das europäische Recht unmittelbar gilt. Es ist notwendig und konsequent, dass die EU-Kommission jetzt ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet," so Gysi.
Das EU-Verfahren richtet sich gegen den Bund, der über das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung festlegt, wo die Maschinen entlang fliegen. Noch im Januar hatte das Bundesverkehrsministerium betont, es gebe keine Versäumnisse. Aus den EU-Richtlinien ergebe sich keine Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung. Das Ministerium kündigte an, die Begründung aus Brüssel zu prüfen und in der vorgesehenen Zweimonatsfrist zu antworten.
"Bis jetzt hat Deutschland uns nicht zugestimmt", sagte Joe Hennon, der Sprecher von EU-Umweltkommissar Janez Potocnik in Brüssel. Bleibt der Bund bei seiner Linie, könnten die Flugrouten ein Fall für den Europäischen Gerichtshof werden. Er könnte Deutschland mit Zwangsgeldern zwingen, die Prüfung nachzuholen.
Die Flugrouten sind in Berlin und Brandenburg seit fast drei Jahren umkämpft, weil sie vielfach anders verlaufen werden als der Flughafen es den Bürgern zuvor jahrelang glauben machte. Für die Grobplanung im 2006 genehmigten Planfeststellungsbeschluss wurde die Umweltverträglichkeit geprüft, für die 2012 verbindlich festgelegten Routen nicht.
Streng genommen geht es also bei dem Vorstoß aus Brüssel gar nicht vordergründig um den neuen Großflughafen. Die EU-Kommission stellt vielmehr in Frage, ob das deutsche Luftverkehrsrecht in Einklang mit europäischen Richtlinien ist. Konkret geht es darum, ob bei der Festlegung der Flugrouten immer eine Umweltverträglichkeitsprüfung gemacht werden muss.
Beim BER zum Beispiel wurde das im Fall der Route über den Müggelsee nicht gemacht. Und genau darauf berufen sich nun der Bürgerverein Friedrichshagen sowie die Umweltverbände Nabu Berlin und die Grüne Liga.
Sie haben die Rechtsanwälte Wolfgang Baumann und Franziska Heß von der Kanzlei Baumann aus Würzburg beauftragt, deswegen eine Beschwerde bei der EU-Kommission einzureichen. "Wir haben dort das grundsätzliche Problem mit den Flugrouten anhand der Lage in Berlin dargestellt", sagt Franziska Heß. In Brüssel hält man die vorgebrachten Einwände für nachvollziehbar.
Sollte die Angelegenheit am Ende vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg landen, würde damit das Problem zum BER zurückkehren. Denn dann müsste die Umweltverträglichkeitsprüfung für die Route über den Müggelsee im Südosten der Hauptstadt nachgeholt werden. Das dürfte voraussichtlich zwei Jahre dauern. Die Arbeiten am BER können derweil zwar weitergehen. Aber je länger sich die Auseinandersetzung hinzieht, desto mehr Probleme kommen dazu.
So müsste der Flughafen Tegel dann noch länger durchhalten als ohnehin. Für die Anwohner im Norden Berlins wäre das eine zusätzliche Belastungsprobe. Vermutlich hätten sie laut dem Fluglärmgesetz ab 2017 sogar Anspruch auf Schallschutz, wenn Tegel dann noch in Betrieb ist. Das würde zusätzliche Kosten in Millionenhöhe verursachen. Für die Anwohner des Müggelsees ist das Urteil aber erst Mal ein großer Erfolg.